Keine unbilligen und übertriebenen Anforderungen an den Nachweis einer erfolgten ärztlichen Risikoaufklärung

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Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteil vom 28. Januar 2014 (Az.: VI ZR 143/13) der Ärzteschaft den Rücken gestärkt. Er hat ein aus ärztlicher Sicht äußerst pragmatisches Urteil gefällt, das sowohl dem Klinikalltag Rechnung trägt als auch der Gefahr, dass die ärztliche Beweislast für haftungsrechtliche Zwecke durch Patienten missbraucht wird.
 
Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Kläger litt an einer angeborenen valvulären Aortenstenose. Bei ihm wurde eine schwere Aortenklappeninsuffizienz und Ektasie der Aorta ascendens diagnostiziert und die Indikation zum Ersatz der Aortenklappe und der Aorta ascendens gestellt. Für das streitgegenständliche Aufklärungsgespräch wurde ein Aufklärungsbogen verwendet, der zwar die Herzklappenoperation und die Aufrechterhaltung des Blutkreislaufes mit Hilfe einer Herz-Lungen-Maschine beschreibt. Eine Erörterung der möglicherweise ebenfalls relevanten Operationsmethode mit tiefhypothermem Kreislaufstillstand war jedoch nicht enthalten. Genau diese Operationsmethode kam dann jedoch zur Anwendung, und in deren Folge trat eine komplexe neurologische Störung auf, die auch durch zahlreiche Nachbehandlungs- und Rehabilitationsversuche nicht erfolgreich behandelt werden konnte. Der aufklärende Arzt konnte sich an das Aufklärungsgespräch nicht mehr erinnern. Der Patient machte daraufhin u. a. geltend, dass er über die Operationserweiterung „tiefhypothermer Kreislaufstillstand” nicht ordnungsgemäß aufgeklärt worden sei.
 
Der BGH kam trotz dieser eher ungünstigen Ausgangssituation zu dem Ergebnis, dass aufgrund der Gesamtumstände davon auszugehen sei, dass der Arzt die von ihm geschuldete Aufklärung vollumfänglich erbracht hat und insbesondere auch über die Thematik „tiefhypothermer Kreislaufstillstand” aufgeklärt hat. Der BGH stellte erneut ausdrücklich klar, dass an den dem Arzt obliegenden Beweis keine unbilligen und übertriebenen Anforderungen gestellt werden dürfen. Im Rahmen der Beweiswürdigung sei die besondere Situation, in der sich der Arzt während der Behandlung des Patienten befindet, ebenso zu berücksichtigen wie die Gefahr, die sich aus dem Missbrauch seiner Beweislast durch den Patienten zu haftungsrechtlichen Zwecken ergeben kann. Wenn „einiger” Beweis für ein gewissenhaftes Aufklärungsgespräch erbracht sei, so sollte dem Arzt im Zweifel geglaubt werden, dass die Aufklärung auch im Einzelfall in der gebotenen Weise geschehen sei. In vorliegendem Fall sei von einer ordnungsgemäßen Aufklärung auch über die in der Dokumentation nicht enthaltene Thematik „tiefhypothermer Kreislaufstillstand” auszugehen, obwohl der Arzt keine konkrete Erinnerung an das Gespräch hatte. In diesem Zusammenhang sei v. a. auch zu berücksichtigen, dass sich Patienten im Nachhinein an den genauen Inhalt solcher Gespräche nicht mehr unbedingt vollständig erinnern können. Das Fehlen der schriftlichen Aufzeichnungen dürfe für sich genommen nicht dazu führen, dass der vom Arzt zu erbringende Beweis von vornherein als nicht erbracht gilt. Der BGH stellte ausdrücklich klar, dass auch dem Arzt, der keine Formulare oder unvollständige Formulare benutzt und für den konkreten Einzelfall keine Zeugen zur Verfügung hat, eine faire und reale Chance bleiben muss, den ihm obliegenden Beweis zu führen.
 
Dieses Urteil ist für die Ärzteschaft schon deshalb von großem Vorteil, da es die vom BGH ausdrücklich erwähnte Missbrauchsgefahr voraussichtlich etwas verringern wird. Eine mangelhafte oder gar völlig fehlende Dokumentation schneidet dem Arzt nicht die Möglichkeit ab, den Beweis für ein ordnungsgemäßes Aufklärungsgespräch zu führen.
 
Obwohl dieses Urteil der Ärzteschaft zweifellos sehr stark entgegen kommt, darf nicht übersehen werden, dass es nur die Anforderungen, die an den Beweis zu stellen sind, erleichtert. Der Beweis selbst muss trotzdem erbracht werden. Im vorliegenden Fall hat bei der Beweiswürdigung u. a. der Umstand eine Rolle gespielt, dass ein anwesender Zeuge hinsichtlich der Risiken der angewendeten Methode besonders sensibilisiert war, weil er seine Ausbildung bei einem Mitbegründer der Methode gemacht hatte und insbesondere in den Anfangsjahren dieser Methode die Nebenwirkungen gesehen hat. Da nicht davon auszugehen ist, dass im Klinikalltag regelmäßig derartige besondere Umstände vorliegen, die eine umfassende Aufklärung auch ohne entsprechende Dokumentation beweisbar machen, stellt der BGH auch in diesem Urteil klar: „Schriftliche Aufzeichnungen über die Durchführung des Aufklärungsgesprächs und seinen wesentlichen Inhalt sind nützlich und dringend zu empfehlen.” Das Urteil darf daher – so begrüßenswert es ist – nicht dahingehend missverstanden werden, dass eine ordnungsmäße Dokumentation künftig verzichtbar ist.

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Gisela Meister

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