Wissenschaftlicher Beirat sieht Anlass zu Modifikationen beim Morbi-RSA

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veröffentlicht am 29. November 2017

 

In seinem aktuellen Gutachten hält der Wissenschaftliche Beirat fest, dass „die Heterogenität der Risikostrukturen und Deckungssituationen innerhalb der Krankenkassenarten […] seit Einführung des Morbi-RSA zugenommen” habe. Gleichfalls habe sich die Marktkonzentration fortgesetzt. Der Beirat empfiehlt u.a., „die Primärhaftung im Falle einer Schließung, Auflösung oder Insolvenz einer Krankenkasse auf den GKV-Spitzenverband zu übertragen.”

 

[Sondergutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesversicherungsamt zum morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich vom 30. September 2017]

Der morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich (sog. Morbi-RSA) wurde als finanzielles Risikoausgleichssystem zwischen den gesetzlichen Krankenkassen in seiner jetzigen Form mit dem Jahr 2009 eingeführt. Ziel ist die Schaffung eines Ausgleichs für ggf. systembedingte, unterschiedliche Risikostrukturen und dadurch fairere Wettbewerbsgrundlagen. Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesversicherungsamt hat aktuell ein Sondergutachten zum Morbi-RSA vorgestellt. Darin weist er darauf hin, dass der Wettbewerb unter den Krankenkassen seinerseits kein Selbstzweck sei. Er solle vielmehr „der Verbesserung der gesundheitlichen Ergebnisse, d.h. der Erhöhung der Lebenserwartung und der Lebensqualität dienen”, wie der Beirat in der Zusammenfassung des Gutachtens schreibt.

 

Der Wissenschaftliche Beirat stellt weiterhin fest, dass sich der Wettbewerb unter den Kassen v.a. auf die Höhe der Zusatzbeiträge beschränkt. Die Spanne der Beitragssätze habe seit der Einführung des Morbi-RSA deutlich abgenommen. Allerdings sei  die „Höhe und Streuung von Zusatzbeiträgen als Kennzahl zur Überprüfung der Funktionsfähigkeit des Morbi-RSA weitgehend ungeeignet”. Der Beirat hält zudem fest, dass „die Heterogenität der Risikostrukturen und Deckungssituationen innerhalb der Krankenkassenarten […] seit Einführung des Morbi-RSA zugenommen” habe.

 

Gleichfalls habe die Marktkonzentration im Bereich der Krankenkassen weiter zugenommen. Für die Bundesländer Sachsen und Thüringen wird der Krankenkassenmarkt bereits als hochkonzentriert eingestuft. Dazu gibt der Beirat den Hinweis, dass die „Entwicklung […] sorgfältig beobachtet werden [sollte], da eine Marktkonzentration die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs um Qualität und Wirtschaftlichkeit beeinträchtigen kann.”

 

Mit Hinblick auf die zum Teil erhebliche regionale Varianz der Deckungsbeiträge der Krankenkassen stellt der Beirat fest, dass „die aktuelle Situation (keine Regionalkomponente im RSA und keine durchgängig regionalisierten Zusatzbeiträge) mit Blick auf die Chancengleichheit im Wettbewerb und mit Blick auf die Vermeidung von Anreizen für regionale Risikoselektion unbefriedigend ist.”

 

Der Beirat hat auch die Entwicklung der dokumentierten ambulanten Diagnosen im Zeitverlauf analysiert. Demnach zeigen sich „bei einigen Diagnosen […] nennenswerte Anstiege der Diagnosenennungen ab dem Zeitpunkt, ab dem die jeweilige Diagnose RSA-relevant wurde.” Weiter heißt es in dem Gutachten dazu: „Zwar lassen die Anstiege der Diagnosehäufigkeiten Maßnahmen zur Beeinflussung des Kodierverhaltens wahrscheinlich erscheinen, eine eindeutige Beurteilung bleibt aber auf der vorliegenden Datenbasis schwierig.” Dies sei jedoch ausdrücklich nicht als eine Empfehlung zu verstehen, „auf die ambulanten Diagnosen im Morbi-RSA künftig zu verzichten.”

 

U.a. mit Hinblick auf das Anfang 2017 auch unter dem Eindruck des sog. Upcoding verabschiedete Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz (HHVG) merkt der Beirat an, dass uneinheitliches Aufsichtshandeln zwischen Bund und Ländern oder zwischen einzelnen Bundesländern „zu Wettbewerbsverzerrungen führen kann”.

 

Der Beirat stellt fest, dass sich der Wettbewerb unter den Krankenkassen auch innerhalb der Kassen einer Kassenart abspielt. Er regt daher an, „die Primärhaftung im Falle einer Schließung, Auflösung oder Insolvenz einer Krankenkasse auf den GKV-Spitzenverband zu übertragen.” Die bisherige zweistufige Lösung, bei der zunächst die Krankenkassen der gleichen Kassenart haften, sei nicht länger sachgerecht.

 

Der Beirat hat insgesamt sieben Jahresausgleiche analysiert und dabei die Prognosequalität des aktuellen Modells mit dem sog. Alt-RSA, der entsprechend simuliert wurde, verglichen. Demnach kann die mitunter geäußerte Einschätzung, dass sich „Kranke [Versicherte] lohnen würden”, nicht bestätigt werden.

 

Nach Auffassung des Beirats gibt es „Belege für manipulative Aktivitäten der Krankenkassen zur Beeinflussung der Höhe der Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds im Rahmen des Morbi-RSA”, auch wenn sich diese nicht unmittelbar aus den Ergebnissen des Gutachtens herleiten ließen. Daher sollten nach Einschätzung des Beirats zusätzliche Maßnahmen zur Eindämmung von Manipulationsversuchen ergriffen werden. Dazu zählt der Beirat den Vorschlag von Transparency International zur Einrichtung eines zentralen Registers für Selektivverträge zwischen Krankenkassen und Vertragsärzten im ambulanten Bereich sowie eine Verhinderung von krankenkassenindividuellen Modulen innerhalb von Praxissoftwaresystemen im Rahmen der Zertifizierung solcher Software seitens der Kassenärztlichen Bundesvereinigung.

 

Weitere in dem Gutachten analysierte Fragestellungen betreffen Risikopools, Multimorbidität, die mögliche Wechselwirkung zwischen Präventionsangeboten einer Krankenkasse einerseits und andererseits der Berücksichtigung der mit der Prävention adressierten Erkrankungen im Morbi-RSA.

 

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Christoph Naucke

Betriebswirt (Berufsakademie), Zertifizierter Compliance Officer, Datenschutzbeauftragter DSB-TÜV, Prüfer für Interne Revisionssysteme (DIIR), Datenschutzauditor (TÜV), IT-Auditor IDW

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