Haftung des Geschäftsführers für Lohnsteuer kann bei einer hypothetischen Anfechtungsmöglichkeit nach den §§ 130 ff. InsO ausnahmsweise ausgeschlossen sein

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​veröffentlicht am 28. Februar 2018

 

Autorin: Jana Wollmann

 

Eine hypothetische Anfechtungsmöglichkeit - nach den §§ 130 ff. InsO - kann im Rahmen der Schadenszurechnung nach den §§ 69 ff. AO ausnahmsweise zu berücksichtigen sein (Leitsatz der Entscheidung).

 

(FG Niedersachsen, Beschluss vom 19. September 2017 - 14 V 161/17)

 

Sachverhalt:

Die Beteiligten stritten darüber, ob und in welcher Höhe der Antragsteller als Geschäftsführer der GmbH für die Abgabenrückstände der Gesellschaft in Anspruch genommen werden kann.


Die GmbH gab für die Lohnsteuer-Anmeldungszeiträume April und Juni 2015 Lohnsteuer-Anmeldungen jeweils am 10. des Folgemonats ab, allerdings zahlte sie auf die Lohnsteuer für den Lohnzahlungszeitraum April 2015 erst am 5. Juni 2015 und auf die für Juni 2015 bestehenden Steuerrückstände erst am 28. Juli 2015.


Durch Schreiben vom 18. September 2015 stellte der Geschäftsführer einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens beim zuständigen Insolvenzgericht. Das Insolvenzverfahren wurde am 19. Oktober 2015 eröffnet. Durch Schreiben vom November 2015 erklärte der vom Insolvenzgericht bestellte Insolvenzverwalter die Anfechtung nach den §§ 129 ff. InsO für Steuerzahlungen vom 5. Juni 2015 und vom 28. Juli 2015. Daraufhin zahlte das Finanzamt die – zunächst vereinnahmten – Lohn- und Folgesteuern für April und Juni 2015 an den Insolvenzverwalter aus. Das Finanzamt erließ wenig später einen auf § 69 in Verbindung mit § 34 der Abgabenordnung (AO) gestützten Haftungsbescheid. In diesem machte es gegenüber dem Geschäftsführer Steuerrückstände geltend.


Hiergegen gerichteten Einspruch wies das Finanzamt als unbegründet zurück. Daraufhin erhob der Antragsteller Anfechtungsklage und - nachdem der Antragsgegner die Vollstreckung gegen ihn begann – beantragte er die Aussetzung der Vollziehung. Zur Begründung der ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Entscheidung berief er sich insbesondere, darauf, dass das Wiederaufleben der Steuerschuld auf dem „vorauseilenden Gehorsam” des Finanzamtes beruhe. Ein Steuerschaden sei endgültig erst dadurch entstanden, dass der Insolvenzverwalter die Zahlungen angefochten und die Finanzbehörde die zwischenzeitlich erhaltene Steuer zurückerstattet habe. Die Anfechtungsvoraussetzungen hätten nicht vorgelegen bzw. seien vom Insolvenzverwalter nicht dargelegt worden. Ursächlich sei daher nicht die Pflichtverletzung des Antragstellers, sondern die Anfechtung des Insolvenzverwalters. In jedem Fall fehle es an einer kausalen Pflichtverletzung des Antragstellers für den Steuerausfall bzw. die Inanspruchnahme des Antragstellers sei ermessensfehlerhaft und damit rechtswidrig.

 

Aus den Gründen:

Das Gericht erachtete den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung hinsichtlich der Haftungsinanspruchnahme für den Lohnzahlungszeitraum Juni 2015 als begründet; hinsichtlich der Haftungsinanspruchnahme für den Lohnzahlungszeitraum April 2015 hatte das entscheidende Gericht dagegen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Finanzamtes.


Die in den §§ 34 und 35 AO bezeichneten Personen haften gem. § 69 AO, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt oder soweit infolgedessen Steuervergütungen oder Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund gezahlt werden. Diese Voraussetzungen waren nach Auffassung des Gerichts für den Lohnsteuer-Anmeldungs-Zeitraum Juni 2015 nach summarischer Prüfung mangels Zurechenbarkeit eines steuerlichen Schadens nicht erfüllt.


Der Antragsteller war zwar Vertreter i.S.v. § 34 AO und hat die Lohnsteuer für die Zeiträume April und Juni 2015 nicht fristgerecht entrichtet. Diese Pflichtverletzungen seien auch grob fahrlässig erfolgt- so das Gericht- allerdings sei nach summarischer Prüfung ernstlich zweifelhaft, ob ein etwaiger Steuerschaden – unter Berücksichtigung des Normzwecks des § 69 AO – zurechenbar auf eine grob fahrlässige Pflichtverletzung des Antragstellers im Hinblick auf Lohnsteuern für Juni 2015 zurückzuführen sei.


Der Steuerausfall sei nach Auffassung des Gerichts nämlich dann nicht zurechenbar, wenn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehe, dass eine Anfechtung auch im Falle einer rechtzeitigen Zahlung erfolgt wäre und der Antragsteller den Insolvenzantrag stellen müsste, um strafrechtliche Konsequenzen zu vermeiden. Diese Voraussetzungen lagen im Streitfall vor, denn auch bei rechtzeitiger Zahlung der Lohnsteuern wäre jedenfalls die Zahlung für Juni 2015 innerhalb des 3-Monats-Zeitraum des § 130 InsO erfolgt. In diesem Fall – also bei „rechtmäßigem (Alternativ-) Verhalten” – wäre somit die Lohnsteuer ebenso – wie im Streitfall – zunächst entrichtet worden. Diese Zahlung wäre mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit (auch) – aufgrund der Anfechtung - an den Insolvenzverwalter ausgekehrt worden. Insoweit handele es sich nach Auffassung des Senats nicht um einen unbeachtlichen hypothetischen Kausalverlauf. Vielmehr sei der Schaden unter Berücksichtigung des Normzwecks des § 69 AO im Streitfall nicht zurechenbar.


Außerdem musste der Geschäftsführer im Streitfall Insolvenzantrag stellen, denn es lag bereits zum Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung (19. August 2015) eine Zahlungsunfähigkeit i.S.v. § 17 InsO sowie eine Überschuldung i.S.v. § 19 InsO vor. Bei dieser Sachlage hat es der Insolvenzschuldner angesichts der strafrechtlichen Sanktionierung in § 15a Abs. 4 InsO - Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren oder Geldstrafe bei nicht rechtzeitiger oder unrichtiger Antragstellung - nicht „in der Hand“, die Stellung des Insolvenzantrages hinauszuzögern, ohne sich strafbar zu machen. Damit unterschied sich die Sachlage von Fallkonstellationen, in denen der Insolvenzantrag wegen drohender Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) gestellt werden kann und damit die Möglichkeit besteht, den Antrag hinauszuschieben. Diese Gefahr bestehe nach Auffassung des Gerichts nicht, wenn die Antragstellung nach § 17 InsO bzw. § 19 InsO zwingend vorgegeben wird. Anderenfalls würde man unterstellen, dass der Insolvenzschuldner bzw. dessen Vertreter eine Strafbarkeit wegen Insolvenzverschleppung in Kauf nimmt. Diese Annahme sei nach Auffassung des Senats nicht zulässig.


Bisher dürfte nicht abschließend geklärt sein, ob eine Anfechtung nach den §§ 130 ff. InsO auch in Sachverhalten in denen ein Insolvenzantrag nach § 17 InsO oder § 19 InsO gestellt werden musste, als lediglich hypothetische Tatsache zu beurteilen und damit bei der Würdigung der Kausalität außer Betracht zu lassen ist. Aus diesem Grund hat das Finanzgericht die Beschwerde vor dem BFH zugelassen. Das anhängige Verfahren beim Bundesfinanzhof wird unter dem Aktenzeichen VII B 164/17 geführt.

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Norman Lenger-Bauchowitz, LL.M.

Mediator & Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Fachberater für Restrukturierung & Unternehmensplanung (DStV e.V.)

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