Abgasskandal: Käuferrechte, Haftungsfragen und erste Gerichtsurteile

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veröffentlicht am 14. Juni 2017

 

Kaum ein Thema beschäftigt die deutsche Öffentlichkeit derzeit wie der sog. Abgasskandal. Die Debatte macht dabei nicht an Stammtischen und Titelseiten halt, sondern setzt sich nahtlos in Gerichtssälen fort. Die zentrale Frage ist hierbei stets: Haftet wer bzw. wer haftet?
 

 

 

Der Abgasskandal: Was bisher geschah

Der große Knall folgte auf eine von der „Environmental Protection Agency” (EPA) am 18. September 2015 veröffentlichten Notice of Violation. Darin warf die EPA der Volkswagen AG vor, eine illegale Abschalt­einrichtung in der Motorsteuerung ihrer Diesel-Fahrzeuge zu verwenden, um so die einschlägigen Abgas­normen einhalten zu können. Die „Schummelsoftware” führt auch tatsächlich dazu, dass die Fahrzeuge bei standardisierten Testkontrollsituationen („auf der Rolle”) weniger Stickstoff ausstoßen als später im Normalbetrieb („auf der Straße”). Am 15. Oktober 2015 ordnete das Kraftfahrtbundesamt den Rückruf von 2,4 Mio. betroffenen Fahrzeugen an. So war VW gezwungen, Anfang 2016 mit der kostenlosen Nachbesse­rung (durch Einbau einer entsprechenden Software) der Fahrzeuge zu beginnen. Amerikanischen Käufern gegenüber verpflichtete sich VW sogar zur Zahlung eines pauschalen Schadensersatzes. Zwischenzeitlich ist auch bekannt geworden, dass neben VW noch weitere Automobilzulieferer des VW-Konzerns vom Abgasskandal betroffen sind. Vor dem Hintergrund klagen Fahrzeugkäufer reihenweise vor deutschen Gerichten, meist auf Rückabwicklung des Kaufvertrages. Auch einige Internetportale und Anwaltskanzleien wittern das große Geschäft und ködern massenweise Käufer durch das (fragwürdige) Versprechen eines erfolgreichen Prozessausgangs. Fraglich ist allerdings, ob und gegen wen der Käufer eines betroffenen Fahrzeugs Rechte geltend machen kann. Im Regelfall erwirbt der Käufer sein Fahrzeug vom Händler, so dass nur gegen ihn vertragliche Ansprüche geltend gemacht werden können. Das heißt jedoch keinesfalls, dass der Hersteller hiermit aus dem Schneider wäre.

 

Welche Rechte hat der Käufer gegenüber dem Händler?

Regelmäßig wird sich der Käufer zunächst an den Händler als seinen Vertragspartner und nicht an den Hersteller wenden. Gegen den Händler kommen zunächst die üblichen Gewährleistungsansprüche in Be­tracht, die ein Käufer aus einem Kaufvertrag ableiten kann. Ist das Fahrzeug mit einem Mangel behaftet, so kann der Käufer zunächst Nacherfüllung innerhalb einer dem Händler zu setzenden angemessenen Frist verlangen. Sollte sie nicht erfolgen, kann der Käufer
  • den Kaufpreis mindern,
  • vom Vertrag zurücktreten oder
  • Schadensersatz verlangen.

  

Schadensersatz oder ein Rücktrittsrecht stehen dem Käufer aber grundsätzlich nur zu, sofern der Mangel erheblich ist.

 

Die erhöhten Abgaswerte stellen ohne Weiteres einen Mangel dar. Bei der Fristsetzung des Käufers zur Nacherfüllung muss er auch berücksichtigen, dass insgesamt ca. 11 Mio. Fahrzeuge von der Manipulation betroffen sind und daher eine prompte Reaktion des Händlers nicht erwartet werden kann. Zudem ist unklar, ob die erhöhten Abgaswerte überhaupt durch die Nacherfüllung vollständig bzw. ohne Folge­schäden (Leistungs­verlust, erhöhter Kraftstoffverbrauch) behoben werden können. Begehrt der Käufer die Rückzahlung des Kaufpreises gegen Rückgabe des Fahrzeugs, was meistens der Fall ist, so spielt noch das Folgende eine Rolle: Der Mangel muss erheblich sein, was angesichts der – vermeintlich – geringen Kosten der Nachbesserung durch Einbau einer neuen Software nicht ohne Weiteres festzustellen ist.

 

Welche Rechte hat der Käufer gegenüber dem Hersteller?

Gegenüber dem Hersteller – der meist gerade nicht Vertragspartner des Käufers ist – können Käufer u.U. deliktische Ansprüche zustehen. In Betracht kommt hier insbesondere ein Anspruch wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung. Zentral ist hierbei die Frage, ob das Verschweigen der manipulierten Abgaswerte eine sittenwidrige Schädigung darstellt. Zudem müsste die Kenntnis einzelner Mitarbeiter des Herstellers (z.B. des Ingenieurs oder Produktionsleiters) von der manipulierten Software diesem zugerechnet werden, so dass der Hersteller dem Grunde nach haften würde. An die Wissenszurechnung werden allerdings regelmäßig hohe Anforderungen gestellt. Sofern alle Anspruchsvoraussetzungen vorliegen, unterliegt der Hersteller denselben Rechtsfolgen wie der Händler. Denn der Käufer muss so gestellt werden, als wäre das schädigende Ereignis (der Kauf des mangelhaften Fahrzeuges) nicht eingetreten.

 

Denkbar ist auch ein Anspruch des Käufers gegen den Hersteller (ebenfalls auf Schadensersatz), da die verkauften Fahrzeuge europarechtliche Vorgaben verletzten.

 

Wie entscheiden die Gerichte?

Zunächst ist festzustellen, dass derzeit nahezu ausschließlich landgerichtliche, erstinstanzliche Entschei­dungen vorliegen. Weiterhin muss danach differenziert werden, wen der Käufer zur Verantwortung gezogen hat – den Händler oder den Hersteller.

 

Die ersten Entscheidungen zum Abgasskandal erwiesen sich als händlerfreundlich. Insbesondere wurde die von Käufern geltend gemachte Rückgewähr des Fahrzeuges aufgrund unangemessener Fristsetzung bzw. fehlender Erheblichkeit des Sachmangels zurückgewiesen. Aktuellere Entscheidungen gehen aber nun in die entgegen­gesetzte Richtung. Mehrere Landgerichte gaben inzwischen den Käufern Recht und verurteilten die Händler zur Rücknahme der Fahrzeuge. Hierbei wird u.a. vertreten, dass eine Fristsetzung des Käufers zur Nacherfüllung durch den Händler aufgrund der Gesamtumstände nicht erforderlich sei. Außerdem wird in Frage gestellt, ob eine Nacherfüllung den Mangel tatsächlich beseitigen könne. Die Freude der Käufer wird aber regelmäßig dadurch getrübt, dass sie eine angemessene Nutzungsentschädigung für den Zeitraum leisten müssen, in dem sie das Fahrzeug tatsächlich nutzten.

 

Auch für die Hersteller sieht es zwischenzeitlich nicht viel besser aus. Mehrere Landgerichte haben entschieden, dass den Käufern Ansprüche auf Rückabwicklung der Kaufverträge gegenüber den Herstellern zustehen. Die Gerichte vertreten hierbei insbesondere die Ansicht, dass die Hersteller die Käufer sittenwidrig geschädigt haben, indem sie die erhöhten Abgaswerte verschwiegen haben. Schließlich wäre der Käufer durch die Täuschung über die tatsächlichen Abgaswerte zur Kaufentscheidung zumindest mitveranlasst worden.

 

Fazit

Der Abgasskandal ist noch lange nicht vorbei. Schon allein aufgrund der exponierten Rolle deutscher Auto­mobilhersteller hat die Frage nach dem richtigen Umgang mit der Ausnahmesituation höchste politische Brisanz. Aus rechtlicher Sicht scheinen die Automobilkäufer nun klar die Oberhand zu gewinnen. Allerdings bleibt abzuwarten, ob sich die käuferfreundliche Tendenz erstinstanzlicher Entscheidungen auch in höheren Instanzen fortsetzt.

  

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