BFH: Neue Risiken bei abgeschlossenen Sanierungen

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​veröffentlicht am 30. Oktober 2017
 
Mit Beschluss vom 28. November 2016 - GrS 1/15 hatte der Große Senat nach Vorlage des Zehnten Senats entschieden, dass das BMF-Schreiben vom 27. März 2003 IV A 6-S 2140-8/03 (BStBl I 2003, 240; sog. Sanierungserlass) gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verstößt. Nunmehr liegt eine weitere Entscheidung des zehnten Senats vor (BFH Urteil vom 23. August 2017, X R 38/15), in dem auch das nach der Großen Senatsentscheidung erlassene Anwendungsschreiben des Bundesministeriums für Finanzen (BMF) vom 27. April 2017, BStBl I 2017, 741 für rechtswidrig erachtet wurde. Es stellt sich die Frage, ob dadurch neue Gefahren für bereits abgeschlossene Sanierungen entstehen.
 

 

 

Ausgangssituation

Bei der Rettung eines Krisenunternehmens verzichten Gläubiger oft auf nicht unerhebliche Forderungen. Der Verzicht führt – jedenfalls auf dem Papier – zu einem außerordentlichen Ertrag, der als Gewinn ertragsteuerlich Berücksichtigung finden müsste. Bis zum Veranlagungszeitraum 1997 waren Sanierungsgewinne nach § 3 Nr. 66 EStG a.F. steuerfrei. In nahem zeitlichen Zusammenhang mit der Aufhebung von § 3 Nr. 66 EStG a.F. ist zum 1. Januar 1999 die Insolvenzordnung (InsO) in Kraft getreten. Deren wesentliche Ziele waren die Förderung der Sanierung, die bessere Abstimmung von Sanierungsverfahren und die Restschuldbefreiung für den redlichen Schuldner. Die Abschaffung der Steuerfreiheit von Sanierungsgewinnen stand mit diesen Zielen der Insolvenzordnung in einem „Zielkonflikt”. Um diesen Konflikt aufzulösen, hatte die Finanzverwaltung auf Grundlage der §§ 163, 227 AO mit dem Sanierungserlass in einer allgemeinverbindlichen Verwaltungs­anweisung geregelt, unter welchen Voraussetzungen Ertragsteuern auf einen Sanierungsgewinn aus Gründen sachlicher Billigkeit erlassen werden können. Der Große Senat des BFH hatte entschieden, dass der Sanierungserlass gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verstößt. Im Nachgang ist das BMF-Schreiben vom 27. April 2017, BStBl I 2017, 741, erlassen worden. Auch das hat der BFH nunmehr aus denselben Gründen gekippt.
 

Aktuelle Entscheidung des BFH

Der Kläger und Revisionskläger erzielte im Streitjahr 2006 Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Diese Einkünfte setzten sich aus einem laufenden Verlust sowie einem außerordentlichen Ertrag aus einem Forderungsverzicht einer der Gläubigerbanken des Klägers in Höhe von 133.849,36 Euro zusammen. Der Kläger beantragte unter Berufung auf das Schreiben des BMF vom 27. März 2003 (BStBl I 2003, 240) den Erlass der für 2006 festgesetzten Einkommensteuer und der steuerlichen Nebenleistungen aus sachlichen Billigkeitsgründen. Das Finanzamt lehnte den Erlassantrag mit der Begründung ab, weder habe die Gläubigerbank in Sanierungs­absicht gehandelt noch sei die Sanierungseignung des Forderungsverzichts gegeben. Nach Zurückweisung des Einspruchs blieb auch die Klage ohne Erfolg. Das Finanzgericht führte aus, das BMF-Schreiben, auf das der Kläger sein Erlassbegehren stütze, habe keine Rechtsgrundlage. Der Kläger habe auch keinen besonderen Härtefall vorgetragen, sondern sich lediglich auf die Grundsätze des BMF-Schreibens berufen. Nachdem der Große Senat des BFH entschieden hat, dass das genannte BMF-Schreiben gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verstößt, hat der Kläger vorgetragen, der Große Senat habe ausdrücklich zugelassen, eine Billigkeitsmaßnahme in Fällen des sanierungsbedingten Forderungsverzichts auf besondere, außerhalb des BMF-Schreibens liegende Gründe des Einzelfalls, insbesondere auf persönliche Billigkeitsgründe, zu stützen.
 

Die Revision war unbegründet und wurde zurückzuweisen. Der Kläger hat sich zur Begründung seines Antrags auf Vornahme einer Billigkeitsmaßnahme ursprünglich auf das BMF-Schreiben berufen. Der Große Senat des BFH hat allerdings entschieden, dass das genannte BMF-Schreiben gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verstößt und daher von den Gerichten nicht angewendet werden darf (Beschluss in BFHE 255, 482, BStBl II 2017, 393). Diese Entscheidung bindet auch den erkennenden Senat. Der Kläger kann eine Billigkeitsmaßnahme auch nicht aufgrund von anderen, einzelfallbezogenen Gründen beanspruchen. Vorliegend hat bereits das Finanzgericht (FG) festgestellt, dass der Kläger über den Verweis auf das BMF-Schreiben hinaus weder einen besonderen Härtefall noch persönliche Billigkeitsgründe vorgetragen hatte. Im Revisionsverfahren können neue Tatsachen wegen der Bindung an die Tatsachenfeststellungen des FG nicht mehr vorgetragen werden. Auch ist § 3a des EStG i.d.F. des Gesetzes gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechteüberlassungen vom 27. Juni 2017 (EStG n.F.) vorliegend nicht anwendbar, weil die Vorschrift das Steuerfestsetzungsverfahren und nicht erst das Billigkeitsverfahren betrifft. Im Streitfall kann § 3a EStG n.F. auch deshalb nicht angewendet werden, weil die Vorschrift erstmals in den Fällen anzuwenden ist, in denen die Schulden ganz oder teilweise nach dem 8. Februar 2017 erlassen wurden. Vorliegend ist der Schuldenerlass aber bereits im Jahr 2006 ausgesprochen worden. Für das BMF-Schreiben vom 27. April 2017 fehlt es zudem an einer Rechtsgrundlage. Wenn der ursprüngliche Sanierungserlass der Finanzverwaltung gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verstößt, gilt dasselbe auch für das nunmehrige BMF-Schreiben, wonach der Sanierungserlass für die Vergangenheit weiterhin uneingeschränkt anzuwenden sein soll. Im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens darf das BMF-Schreiben daher nicht beachtet werden. 
 

Bestehen Risiken für bereits durchgeführte Sanierungen?

Fraglich ist nun, welche Auswirkungen die Entscheidung für bereits durchgeführte Sanierungen hat.
 

Die neue Entscheidung des BFH hat u.E. lediglich Auswirkungen für Unternehmen, bei denen vor dem 8. Februar 2017 ein Forderungsverzicht von Gläubigern wirksam wurde und keine verbindliche Auskunft vorliegt. Für die Zukunft kann ein etwaiger Sanierungsgewinn durchaus noch steuerfrei gestellt werden. Zwar kann das nicht auf das nun ebenfalls vom BFH für rechtswidrig erklärte BMF-Schreiben erfolgen, allerdings bleibt noch die Möglichkeit auf die Berufung auf einen individuellen, besonderen Härtefall oder auf persönliche Billigkeitsgründe nach den allgemeinen steuerlichen Erlassvorschriften.
 

Eine Vorhersehbarkeit einer Entscheidung des Finanzamtes kann über den Antrag auf Erteilung einer verbindlichen Auskunft erfolgen. Die Finanzämter werden insoweit auch einiges an Prüfungsaufwand betreiben, um zu klären, ob im Einzelfall ein Erlass gerechtfertigt ist. Hier bedarf es einer guten Vorbereitung und eines guten Verhandlungsgeschicks.
 

Zusammenfassung und Handlungsempfehlung

Zusammenfassend kann man festhalten: Alle Unternehmen, die eine außergerichtliche Sanierung durchlaufen haben, bei dem Gläubiger auf Forderungen verzichtet haben, sollten zunächst prüfen lassen, ob eine wirksame verbindliche Auskunft im Vorfeld eingeholt worden ist und welchen Umfang sie ausweist. Sollte keine verbindlich bindende Auskunft vorliegen, ist angezeigt zu überprüfen, ob bei etwaigen erlassenen Steuer­bescheiden bereits Unanfechtbarkeit vorliegt. Soweit beides nicht der Fall ist, müssen sich Unternehmen mit der Frage auseinandersetzen, ob bilanziell eine Rückstellung zu bilden ist und ob sie möglicherweise zu einer Überschuldung führt. Als weitere Option bestünde u.U. der Erlassantrag aus sachlichen und persönlichen Billigkeitserwägungen.
 

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