Bedeutung der Finanzmarktkonditionen für die handelsrechtliche Bilanzierung

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zuletzt aktualisiert am 14. September 2017

 

Mittlerweile befinden sich die internationalen Finanzmärkte seit fast 10 Jahren in einer Entwicklung, die auch von hoffnungslosen Optimisten als sehr schwere Krise bezeichnet werden kann.
 
Und wer glaubt, dass sich die Krise nur auf diejenigen deutschen Unternehmen auswirkt, die – wie Versicherer oder Banken – in großem Umfang Finanzanlagen tätigen, der sollte die handelsrechtliche Bilanzierung von Grundbesitz oder Beteiligungen und von langfristigen Rückstellungen nicht außer Acht lassen.

 


 

Die Entwicklung der internationalen Finanzmärkte lässt sich am einfachsten anhand der beiden populärsten deutschen Kenngrößen nachvollziehen. Das ist zum einen die Rendite der 10-jährigen Bundesanleihe und zum anderen die Entwicklung des Deutschen Aktienindex DAX 30:
 
So pendelt die Rendite der Bundesanleihe – nachdem sie innerhalb der letzten 10 Jahre von rund 4,5 Prozent auf zwischenzeitlich -0,1 Prozent gefallen war – in den letzten Monaten um rund 0,3 Prozent. Angesichts dieser Entwicklung wäre eigentlich zu erwarten, dass der DAX 30 aufgrund von Ausweichhandlungen überdurchschnittlich steigen sollte. Doch das ist nicht der Fall!
 
Der DAX 30 hat sich in demselben Zeitraum lediglich von rund 7.500 Punkten auf rund 12.200 Punkte erhöht, was einer durchschnittlichen Steigerung von 5,0 Prozent entspricht. Im Vergleich zur durchschnittlichen Entwicklung der 50 Jahre davor von rund 6,0 Prozent pro Jahr fehlen dem DAX 30 – ohne den Ausweicheffekt und trotz des starken Anstiegs in 2017 – immer noch knapp 1.200 Punkte.
 

Wie wirkt sich diese Entwicklung nun auf die handelsrechtliche Bilanzierung aus?

Betroffen sind eben nicht nur Finanzanlagen in Aktien und festverzinslichen Wertpapieren, sondern auch alle Vermögensgegenstände, bei denen die jährliche Wertüberprüfung (Impairment-Test) oder auch die Kaufpreisermittlung mit Hilfe der Ertragswertmethode oder der Discounted-Cash-Flow-Methode erfolgt. Das sind bspw. viele immaterielle Vermögensgegenstände, Grundbesitz und Unternehmensbeteiligungen. Für die Passivseite ist seit dem Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz (BilMoG) die Abzinsung von längerfristigen Rückstellungen verbindlich geregelt: Die Auswirkungen fallender Zinsen führen direkt zu Aufwand.
 
Die folgenden Beispiele verdeutlichen die Auswirkungen und geben ein Gefühl für deren Höhe:
 

Bewertung von Rückstellungen

Rückstellungen mit einer Restlaufzeit von mehr als 1 Jahr sind mit einem laufzeitäquivalenten Zinssatz abzuzinsen, der von der Bundesbank veröffentlicht wird. Es erfolgt somit eine Projektion zukünftiger Liquiditätsabflüsse, entgangener Liquiditätszuflüsse, Aufwendungen oder entgangener Erträge auf den Bewertungsstichtag.
 
Hat ein Unternehmen eine Verpflichtung z.B. aus Gewährleistung i.H.v. 100.000 Euro voraussichtlich in 5 Jahren zu erfüllen, so ergibt sich bei einem Abzinsungssatz von 3,0 Prozent pro Jahr eine Rückstellung i.H.v. rund 86.000 Euro. Beträgt der Abzinsungssatz lediglich 1,0 Prozent, so errechnet sich eine Rückstellung i.H.v. rund 95.000 Euro.
 
Überschlägig kann man in dem Beispiel davon ausgehen, dass eine Änderung des Abzinsungssatzes um 10 Basispunkte (0,1 Prozent) zu einer Erhöhung der Rückstellung um rund 5,0 Prozent führt.
 
Im Fall von Pensionsrückstellungen, deren Restlaufzeit üblicherweise deutlich länger ist, können allein durch die Zinssatzänderung von einem Jahr auf das Nächste leicht über 10 Prozent des Rückstellungsbetrags als zusätzlicher Aufwand zusammenkommen. Und bei den Pensionsrückstellungen zeichnen sich die zusätzlichen Raten der nächsten 10 Jahre bereits heute ab.
 
In beiden Fällen gleicht sich der zusätzliche Aufwand zwar über die Restlaufzeit in Form von geringeren Zinszuführungen wieder aus, doch das ist aufgrund des geballten Aufwands nur ein schlechter Trost.
 

Bewertung von Vermögensgegenständen

Bei den Vermögensgegenständen wirkt sich der Effekt gerade umgekehrt aus, wenn der Wert durch einen risikoadäquaten Vergleich mit einer Alternativanlage (z.B. der Bundesanleihe) erfolgt. Dann steigt der Wert des Vermögensgegenstands allein aufgrund des sinkenden Abzinsungssatzes, selbst wenn der eigentlich entscheidende Wertfaktor, die Ertrags- oder Liquiditätszuflüsse, unverändert bleiben oder gar leicht sinken.
 
Dies zeigt sich bspw. bei der gängigen Bewertung von Immobilien, die üblicherweise mit Hilfe von Ertragsmultiplikatoren erfolgt. Diese Ertragsmultiplikatoren ergeben sich aus einem risikolosen Zinssatz (der Bundesanleihe) und einem subjektiven Risikozuschlag (= Ertragswunsch) des Investors.
 
Eine Immobilie mit einem Nettoertrag von 100.000 Euro pro Jahr hat bei einer Rendite der Bundesanleihe von 4,5 Prozent, einem Risikozuschlag von 5,0 Prozent und einer Restlaufzeit von 20 Jahren einen Wert von rund 880.000 Euro. Unter identischen Verhältnissen ergibt sich bei der niedrigsten Rendite der Bundesanleihe von -0,1 Prozent ein Wert von rund 1.260.000 Euro. Und damit hätte sich der Wert der Immobilie in den letzten 10 Jahren um über 40 Prozent erhöht – und das, ohne dass sich die Nettoerträge auch nur inflationsgerecht entwickelt hätten. Die nur sehr geringe Erholung der Rendite der Bundesanleihe hat dazu geführt, dass sich 50.000 Euro des Wertzuwachses innerhalb des letzten Jahres schon wieder verflüchtigt haben.
 
Dieselben Effekte ergeben sich grundsätzlich auch bei der Bewertung von ganzen Unternehmen nach der Ertragswertmethode oder der Discounted-Cash-Flow-Methode. Allerdings ist hierbei zu beobachten, dass zumindest professionelle Unternehmenswertgutachter größtenteils den sinkenden risikolosen Zinssatz durch höhere Risikozuschläge kompensieren.
 
Die beschriebenen Wertzuwächse sind aber – im Gegensatz zu den erhöhten Rückstellungen – nicht realisiert und können deshalb bilanziell nicht vereinnahmt werden. Wird allerdings ein solcher Vermögensgegenstand auf Basis einer Bewertung zu den derzeitigen Finanzmarktkonditionen erworben, trägt er schon alleine aufgrund der Bewertungstechnik ein massives Abwertungsrisiko für den Zeitpunkt sich erholender Zinsen in sich.
 

Fazit

Die Entwicklung der Finanzmarktkonditionen in Form von extrem niedrigen Zinsen wirkt sich auch auf die handelsrechtliche Bewertung von langfristigen Vermögensgegenständen und Verpflichtungen aus. Dabei sind auf der Verpflichtungsseite die entstehenden Verluste zu realisieren, wohingegen die Wertzuwächse der langfristigen Vermögensgegenstände lediglich zu stillen Reserven führen, die ohne Veräußerung nicht gehoben werden können.
 
Dieser negative Effekt resultiert aus dem Imparitätsprinzip und ihm kann praktisch nur durch Stärkung des Eigenkapitals und/oder der Unternehmensrendite begegnet werden.
 

 

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