Erbschaftsteuerreform 2016: Letzte Ausfahrt Bundesverfassungsgericht (BVerfG)

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Wenn der Gesetzgeber versagt, kommt in letzter Instanz das Bundesverfassungsgericht (BVerfG). Was bisher nur für die (nachträgliche) Kontrolle eines von Bundestag und Bundesrat beschlossenen Gesetzes üblich war, könnte in der Causa Erbschaftsteuerreform bald auch die Festlegung materiellen Rechts betreffen. Denn das BVerfG hat angekündigt, dem politischen Gezerre um eine Reform der Betriebsvermögens­begünstigung nicht länger zuzuschauen, sondern selbst Ende September für Rechtssicherheit zu sorgen.
 

In einer Pressemitteilung vom 14. Juli 2016 machte das BVerfG öffentlich, dass Bundesregierung, Bundesrat und Bundestag am 12. Juli 2016 einen „Blauen Brief” aus Karlsruhe erhalten haben. Darin angekündigt: eine Wiederaufnahme des Normenkontrollverfahrens 1 BvL 21/12 durch das BVerfG, nachdem die im Urteil vom 17. Dezember 2014 gesetzte Frist für eine Neuregelung der Erbschaftsbesteuerung von Betriebsvermögen bis zum 30. Juni 2016 ohne entsprechendes Gesetz verstrichen ist.
 
Das Schreiben muss wohl als letzte Warnung an die Politik begriffen werden, die Erbschaftsteuer doch noch in Eigenregie zu reformieren. Denn der angekündigte Termin für eine Entscheidung des BVerfG in dessen erster regulärer Sitzung nach der Sommerpause am 27./28. September 2016 liegt nicht aus Zufall kurz nach dem 23. September 2016, dem Tag, an dem der Bundesrat frühestmöglich über einen Kompromiss im Vermittlungsausschuss beschließen kann. Käme es zu einem Gesetzesbeschluss, würde sich der Tagesordnungspunkt des BVerfG „selbstverständlich erübrigen”.
 
Die Zeit der taktischen Spielchen und Verzögerungen ist für alle politischen Player vorbei. In der Sommerpause muss eine einvernehmliche Regelung gefunden werden, sonst droht der größtmögliche Gesichtsverlust für die Politik: Nämlich dass Karlsruhe das Ruder übernimmt – eigentlich ein Gau für das Prinzip der Gewaltenteilung, aber für den Rechtsstaat die Ultima Ratio gegenüber Gesetzgebungsorganen, die ihre Verantwortung nicht wahrnehmen.
 

Was kann das BVerfG beschließen?

Rechtlich gesehen handelt es sich um eine Entscheidung zu Vollstreckungsmaßnahmen für das Urteil von 2014 nach § 35 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG).
 
Die mildeste Maßnahme wäre, dem Gesetzgeber eine neue Frist zu setzen. Angesichts der politischen Streitlage ein stumpfes Schwert. Wenn sie dennoch gewählt würde, dann wohl nur in Kombination mit einer Weiteranwendbarkeitsanordnung für das alte Recht bis zu einem festen Termin, nach dem die Anwendung der beanstandeten Vorschriften (§§ 13a, b, 19a Erbschaftsteuergesetz (ErbStG)) oder sogar des gesamten Gesetzes automatisch wegfiele.
 
Das BVerfG kann einen solchen Wegfall auch mit Wirkung ab seiner Entscheidung anordnen. Dass das bisherige Recht auch über den 30. Juni 2016 hinaus bis dahin weiter gilt, wurde in der Pressemitteilung bekräftigt.
 

Die Richter in Karlsruhe könnten sich aber auch mit einer Regelungsanordnung zum Ersatzgesetzgeber aufschwingen und vormachen, wie ihr Urteil von 2014 – in einfachster Übersetzung – zu verstehen ist. Vielleicht so:
  • Streichung der Größenbefreiung von der Lohnsummenregelung
  • Streichung jeglicher Verwaltungsvermögensgrenze
  • Keine Erstreckung der Begünstigung mehr auf Verwaltungsvermögen
  • Konsolidierte Ermittlung des Verwaltungsvermögens zur Verhinderung der beanstandeten Kaskadeneffekte
  • Beschränkung der Begünstigung auf eine festzulegende Unternehmensgröße
  • Verweis für Erwerber größerer Betriebsvermögen auf einen Steuererlass aus Billigkeitsgründen, wenn Verschonungsbedürftigkeit besteht

 
Egal, wie Karlsruhe eingreifen würde, eines wird es nicht werden: eine Entscheidung bereits über die Verfassungsmäßigkeit des neuen Rechts. Dazu braucht es ein neues Verfahren und zumindest von Seiten der Steuerpflichtigen setzt das erst einmal ein wirksames Gesetz voraus.
 

Aus Sicht der Wirtschaft sind das alles keine guten Optionen und weder CDU/CSU, SPD noch Die Grünen können daran interessiert sein, so vom BVerfG vorgeführt zu werden. Daher ist für die Mitglieder des Vermittlungsausschusses jetzt Sitzungssaal statt Strand angesagt, Einigungswille statt Parteipolitik. Es wird ein heißer Sommer für die Erbschaftsteuer.
 

zuletzt aktualisiert am 19.07.2016
 

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