Sanierungserlass auf dem Prüfstand 2.0

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veröffentlicht am 27. Februar 2017

 

 

Mit Beschluss vom 28. November 2016 – GrS 1/15 hat der Große Senat nach Vorlage des Zehnten Senats entschieden, dass das BMF-Schreiben vom 27. März 2003 IV A 6-S 2140-8/03 (BStBl I 2003, 240; sog. Sanierungserlass) gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verstößt (Pressemitteilung 10/17 des BFH vom 8. Februar 2017). Gravierende Nachteile bei der Unternehmenssanierung sind bei einer hinreichenden Vorbereitung von Sanierungsverfahren unter Berücksichtigung der steuerlichen Implikationen jedoch nicht zu erwarten.
   

 

   

 

1. Problemstellung

Bei der Rettung eines Krisenunternehmens verzichten Gläubiger oft auf nicht unerhebliche Forderungen. Der Verzicht führt – jedenfalls auf dem Papier – zu einem außerordentlichen Ertrag, der als Gewinn ertragsteuerlich Berücksichtigung finden müsste. Bis zum Veranlagungszeitraum 1997 waren Sanierungsgewinne nach § 3 Nr. 66 EStG a.F. steuerfrei. Diese Regelung galt nach § 7 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) auch für die Gewerbesteuer. Nach Einführung des zeitlich unbegrenzten Verlustvortrags in § 10d EStG hat § 3 Nr. 66 EStG a.F. allerdings zu einer nicht gewollten Doppelbegünstigung geführt. Ein vor der Sanierung entstandener Verlustvortrag konnte zeitlich unbegrenzt mit künftigen Gewinnen verrechnet werden, obwohl der Sanierungsgewinn nicht besteuert wurde. Dieser Doppelbegünstigung wollte der Gesetzgeber mit der Aufhebung von § 3 Nr. 66 EStG a.F. entgegenwirken. Seither war der Sanierungsgewinn grundsätzlich steuerpflichtig. In nahem zeitlichen Zusammenhang mit der Aufhebung von § 3 Nr. 66 EStG a.F. ist zum 1. Januar 1999 die Insolvenzordnung (InsO) in Kraft getreten. Deren wesentliche Ziele waren die Förderung der Sanierung, die bessere Abstimmung von Sanierungsverfahren und die Restschuldbefreiung für den redlichen Schuldner. Die Abschaffung der Steuerfreiheit von Sanierungsgewinnen stand mit diesen Zielen der Insolvenzordnung in einem „Zielkonflikt”. Denn es war nicht Intention des Gesetzgebers, auf der einen Seite Sanierungen – etwa durch Insolvenzplanverfahren – zu erleichtern und auf der anderen Seite die Sanierung– durch Besteuerung der aus den Gläubigerverzichten resultierenden Buchgewinne – wieder zu erschweren. Um den Konflikt aufzulösen, hatte die Finanzverwaltung auf Grundlage der §§ 163, 227 AO mit dem Sanierungserlass in einer allgemeinverbindlichen Verwaltungsanweisung geregelt, unter welchen Voraussetzungen Ertragsteuern auf einen Sanierungsgewinn aus Gründen sachlicher Billigkeit erlassen werden können.
   

2. Das Urteil des BFH

Der Sanierungserlass verstößt nach Auffassung des Großen Senats des BFH gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung. Für weitere Einzelheiten weisen wir auf das aktuelle Urteil des BFH vom 28. November 2016, GrS 1/15 hin.
  

3. Dennoch: Keine dramatischen Folgen für Sanierungsfälle

Es ist – anders als aktuell vielfach diskutiert – nicht zu befürchten, dass künftig statt der Sanierung von Unternehmen  die  Zerschlagung gewählt werden muss, um negative steuerliche Folgen zu umgehen. Denn aus der Entscheidung des Großen Senats folgt gerade nicht, dass Billigkeitsmaßnahmen auf der Grundlage einer bundesweit geltenden Verwaltungsanweisung generell unzulässig sind. Vorauszusetzen ist nur, dass in jedem davon betroffenen Einzelfall tatsächlich ein Billigkeitsgrund für die Ausnahme von der Besteuerung vorliegt.
Abgesehen davon ist die Diskussion nicht neu: Vielmehr bestand sie dem Grunde nach auch schon während der „Geltung“ des Sanierungserlasses . Sie ist nur an anderer Stelle geführt worden. Zu berücksichtigen ist nämlich, dass es bei der Frage der Steuerfreiheit von Sanierungsgewinnen in den relevanten Praxisfällen der Vergangenheit nicht nur um die Körperschaftsteuer, sondern auch  um die Gewerbesteuer ging. Für die Gewerbesteuer ist jedoch nicht das Finanzamt sondernd die gewerbesteuerhebeberechtigte Gemeinde zuständig. Die Gemeinden waren noch nie an den Sanierungserlass des BMF gebunden.


4. Zusammenfassung und Handlungsempfehlung

Der Große Senat führt aus, dass eine sachliche Billigkeitsmaßnahme immer auf den Einzelfall abstellt und atypischen Ausnahmefällen vorbehalten ist. Auch hierbei muss die Erhebung oder Einziehung der Steuer gemäß § 163 Satz 1 und § 227 AO nach Lage des Einzelfalls aus steuerlichen Gründen unbillig sein. Sie sind konkret vorzutragen und – zur Vermeidung von Diskussionen  in einem späteren Erhebungsverfahren – bereits im Vorfeld durch eine verbindliche Auskunft  nach § 89 AO abzusichern. Die Finanzämter und das Bundeszentralamt für Steuern können auf Antrag verbindliche Auskünfte über die steuerliche Beurteilung von genau  bestimmten, noch nicht verwirklichten Sachverhalten erteilen, wenn daran im Hinblick auf die erheblichen steuerlichen Auswirkungen ein besonderes Interesse besteht.
      

Gerade in Insolvenzplanverfahren geht es nicht darum, dass ein einzelner Gläubiger auf  seine Forderung verzichtet. In Insolvenzplanverfahren verzichtet im Regelfall die Gesamtheit der Gläubiger auf Teile ihrer Forderung. Daraus folgt, dass die gesamte Passivseite der Bilanz des Steuerpflichtigen restrukturiert wird. Der daraus entstehende Buchgewinn übersteigt regelmäßig – anders als bei Einzelverzichten – die im Rahmen der typisierenden Regelung des § 4 Abs. 1 EStG vorgesehene und gewollte Besteuerung des Vermögenszuwachses. Das führt zu einem ungewollten Überhang des gesetzlichen Tatbestandes über den  mit Sinn und Zweck des Gesetzes zu vereinbarenden persönlichen oder sachlichen Anwendungsbereich, was an der Steuergerechtigkeit zweifeln lässt. Denn die Steuergerechtigkeit fordert grundsätzlich, dass sich die Steuer an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Steuerzahlers orientiert (Leistungsfähigkeitsprinzip) und dass sie in sich schlüssig ausgestaltet ist. Die individuelle wirtschaftliche Leistungsfähigkeit hängt als Maß für die Steuerlast von der wirtschaftlichen Position des Steuerzahlers ab. Hier wird unterschieden zwischen der horizontaler Steuergerechtigkeit, d.h. Steuerpflichtige bei gleicher Leistungsfähigkeit sind auch gleich hoch zu besteuern sowie der vertikalen Steuergerechtigkeit, d.h. Steuerpflichtige mit ungleicher Leistungsfähigkeit müssen auch unterschiedlich besteuert werden.

 

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Norman Lenger-Bauchowitz, LL.M.

Mediator & Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Fachberater für Restrukturierung & Unternehmensplanung (DStV e.V.)

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