Tarifrecht: LAG Hessen stoppt Streik

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Im Piloten-Streik bei der Lufthansa hat das Landesarbeitsgericht Hessen (LAG Hessen) am 09. September 2015 entschieden, dass der Streik rechtswidrig ist. Zur Begründung führt das Gericht aus, dass die Gewerkschaft kein tariflich regelbares Ziel verfolge. Daher erließ das LAG Hessen eine einstweilige Verfügung gegen die Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit (VC). Damit ist der Streik vorläufig gestoppt.
 

Was bisher geschah und wie es nun weitergeht

Seit April 2014 wurden die Lufthansa und ihre Tochtergesellschaften immer wieder von ihren Piloten bestreikt. In der bereits 13. Streikrunde des schwelenden Tarifkonflikts im September und nachdem die Gewerkschaft wöchentliche Streiks bis Weihnachten angekündigt hatte, rief die Airline das Arbeitsgericht Frankfurt a. M. (ArbG Frankfurt) an mit dem Ziel den Streik auf verschiedenen Flugzeugtypen im Wege einer einstweiligen Verfügung verbieten oder zumindest beschränken zu lassen. In erster Instanz wurde Lufthansa jedoch noch abgewiesen (ArbG Frankfurt, Urteil vom 09.09.2015, Az.: 9 SaGa 1082/15). Die Entscheidung des ArbG Frankfurt vom 08.09.2015 wurde jedoch am darauffolgenden Tag vom LAG Hessen im Eilverfahren geändert. Die Gewerkschaft reagierte daraufhin mit einem vorzeitigen Streikabbruch.
 

Die rechtliche Begründung des LAG Hessen

Das LAG Hessen begründet seine Entscheidung damit, dass die VC ihren Streik zwar offiziell nur gegen die geplante Änderungen bei der Übergangsversorgung richtet und als formelles Streikziel den Abschluss eines neuen Tarifvertrags zur Übergangsversorgung des Cockpitpersonals anführe. Tatsächlich richte sich der Arbeitskampf aber auch gegen das sogenannte Wings-Konzept des Lufthansakonzerns. Ziel dieses Konzeptes ist es, Piloten bei der neuen Konzerntochter Eurowings in Österreich zu 40% niedrigeren Gehältern anzustellen. Die Gewerkschaft streike daher auch, um dieses Low-Cost Konzept zu verhindern oder zumindest diesbezüglich Mitspracherechte zu bekommen. Dies stelle jedoch kein tariflich regelbares Streikziel dar und mache die Arbeitsniederlegung der Piloten zu diesem Zwecke „evident rechtswidrig“.
 

Was ist die rechtliche Besonderheit dieses Verfahrens?

Aus der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG; Az. 1 AZR 252/06) folgt, dass sich die von der Gewerkschaft mit dem Streik verfolgten Ziele aus dem Streikbeschluss ergeben. Maßgeblich für den Inhalt der mit einem Streik verfolgten Ziele sind daher die dem Gegner in Form des konkreten (von den dazu legitimierten Gremien der Gewerkschaft) getroffenen Streikbeschlusses übermittelten Tarifforderungen, welche wiederum den Streik rechtfertigen. Neben diesem formellen Streikziel von nicht vertretungsberechtigten Mitgliedern der Gewerkschaft getroffene Äußerungen – mit möglicherweise unzulässigen Streikzielen – sind dahingegen unbeachtlich. 
 
Das LAG Hessen folgert daraus, weiterhin auf dem Boden der höchstrichterlichen Rechtsprechung, dass jedenfalls Äußerungen von vertretungsberechtigten Gewerkschaftsmitgliedern im Zusammenhang mit dem Arbeitskampf durchaus Bedeutung beizumessen ist. Daher hat das Gericht aufgrund einer Vielzahl von Umständen, insbesondere zahlreicher Verlautbarungen von Vorstand und Tarifkommission vor dem Ausstand wie auch im Zusammenhang mit dem Streik, festgestellt, dass der Arbeitskampf der VC neben dem Abschluss eines neuen Tarifvertrags zur Übergangsversorgung des Cockpit-Personals (formelles Streikziel), auch auf eine Mitbestimmung beim Wings-Konzept der Lufthansa gerichtet gewesen ist. Dies ist aber kein tariflich regelbares Ziel der Gewerkschaft und der Streik daher insgesamt rechtswidrig.
 

Ausblick

Rechtsmittel gegen die Entscheidung des LAG Hessen wurden von diesem nicht zugelassen. Möglicherweise geht aber die VC in das Hauptsacheverfahren, insbesondere um im dortigen Verfahren Schadensersatzansprüche der Lufthansa abzuwehren. Die Lufthansa hatte umgehend nach der Entscheidung des LAG Hessen von der Gewerkschaft 60 Mio. Euro Schadensersatz aufgrund der Streiks seit April 2014 geltend gemacht.
 
Die Entscheidung des LAG Hessen stellt eine sehr seltene tarifrechtliche Besonderheit dar. Dass ein Gericht einen Streik stoppt, kam bisher nur in außergewöhnlich gelagerten Einzelfällen vor. Zuletzt hatte diese Erfahrung die Deutsche Bahn in den Tarifverhandlungen und Arbeitskämpfen mit der GdL machen müssen. Dass die Rechtslage für bestreikte Arbeitgeber zwar schwierig, aber keinesfalls aussichtslos ist, zeigt diese Entscheidung des LAG Hessen.
 
Es bleibt daher zu hoffen, dass die Arbeitsgerichte künftig neben dem formellen Streikziel auch die eigentlichen Streikziele, die sich aus einer Gesamtschau der Umstände ergeben, genauer unter die Lupe nehmen. Ergibt eine Gesamtschau der Umstände, dass möglicherweise auch nur ein Streikziel der Gewerkschaft rechtswidrig ist, werden künftig Unternehmen vor Gerichten öfter Erfolg haben. Der Streik ist in einem solchen Fall zu stoppen.
 
zuletzt aktualisiert am 06.10.2015
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