Verdeckte Arbeitnehmerüberwachung: Grundsatzurteil bringt Klarheit über wichtige Frage des Datenschutzes

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veröffentlicht am 4. Oktober 2017

 

Eine immer wieder diskutierte Frage ist, ob Erkenntnisse, die durch eine verdeckte Arbeit­nehmer­überwachung gewonnen wurden, verwertet werden dürfen. Vieles ist dabei (noch) unklar. Der Datenschutz der Arbeitnehmer wird zwar im Bundes­datenschutzgesetz (BDSG) geregelt. Das BDSG ist jedoch aufgrund des oftmals unklaren Wortlauts noch kein ausgereiftes Gesetz und bedarf der Konkretisierung durch die Rechtsprechung. Zur Verwertbarkeit der durch verdeckte Arbeit­nehmer­über­wachung gewonnenen Erkenntnisse hat nun das Bundesarbeitsgericht (BAG) in einem aktuellen Urteil vom 29. Juni 2017 (2 AZR 597/16) entschieden. Es hat auf Maßnahmen zur Aufklärung möglicher Pflichtverletzungen von Beschäftigten erhebliche Auswirkungen.       
         

Nach dem Urteil des BAG vom 29. Juni 2017 kann eine (verdeckte) Überwachungsmaßnahme durch den Einsatz eines Detektivs zur Aufklärung eines auf Tatsachen gegründeten konkreten Verdachts einer schwerwiegenden Pflichtverletzung des Arbeitnehmers nach § 32 Abs. 1 S. 1 BDSG zulässig sein, selbst wenn es nicht um die Aufdeckung einer im Beschäftigungsverhältnis begangenen Straftat i.S.d. § 32 Abs. 1 S. 2 BDSG geht. Das BAG stellt damit klar, dass auch Nachforschungen zur Aufdeckung schwerwiegender Pflichtverletzungen unterhalb der Schwelle einer Straftat zulässig sein können. Das BAG beendet mit seinem Urteil eine jahrelange Dis­kussion und sorgt so für Rechtsklarheit.

 

Konkret ging es um den Verdacht wettbewerbswidriger Konkurrenztätigkeit und um das Vortäuschen einer Erkrankung. Durch die Einschaltung eines Detektivs, der sich als Fahrer einer Kundenfirma ausgegeben hat, hat der Arbeitgeber Kenntnis darüber erlangt, dass der Arbeitnehmer während seiner Erkrankung außerhalb des Entgelt­fortzahlungszeitraums für ein Konkurrenzunternehmen Tätigkeiten erbracht hatte, die er ebenso bei seinem Arbeitgeber zu verrichten gehabt hätte.
 

Der rechtliche Ausgangspunkt – das allgemeine Persönlichkeitsrecht

Hat der Arbeitgeber den Verdacht einer arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung nur dadurch erhalten, weil er den Arbeitnehmer verdeckt überwacht hat, stellt sich sogleich die Frage, inwieweit die durch deren Einsatz ermittelten Tatsachen den Kündigungsvorwurf stützen bzw. die heimlich ermittelten Fakten im Kündigungs­schutzprozess berücksichtigt werden können.

 

Denn jede (verdeckte) Überwachung greift in das grundrechtlich geschützte allgemeine Persönlichkeits­­recht des Arbeitnehmers aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG (Recht am eigenen Bild, Recht auf informationelle Selbstbestimmung) ein. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt den Arbeitnehmer vor einer lücken­losen Überwachung des Arbeitnehmers und garantiert die Befugnis, selbst über die Verwendung persönlicher Daten zu entscheiden.

 

Die Entscheidung des BAG – bisherige Rechtsprechung und Fach­literatur erschwerten verdeckte Ermittlungen des Arbeitgebers

Die Vorschriften des BDSG über die Anforderungen an eine zulässige Datenverarbeitung konkretisieren den Schutz des Rechts des Einzelnen auf informationelle Selbst­bestimmung und am eigenen Bild. Sie regeln, in welchem Umfang Eingriffe zulässig sind. § 32 BDSG befasst sich mit dem Datenschutz am Arbeitsplatz. Die Regelung wurde bereits des Öfteren wegen ihres unklaren Wortlauts kritisiert. Dessen Absatz 1 unterschei­det zwei Fälle. Zum einen erlaubt § 32 Abs. 1 S. 2 BDSG die Datenerhebung, -verarbeitung und -nutzung, wenn Anhalts­punkte für den Verdacht einer im Beschäftigungsverhältnis begangenen Straftat bestehen. Zum anderen dürfen nach der Grundnorm des § 32 Abs. 1 S. 2 BDSG personenbezogene Daten eines Beschäftigten für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses u.a. dann erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, wenn dies für dessen Durchführung oder Beendigung notwendig ist. Sofern demnach zulässig erhobene Daten den Verdacht einer Pflichtverletzung begründen, dürfen sie für die Zwecke auch verar­beitet und genutzt werden. Das BAG ent­schied im vorliegenden Fall, anders als die Vor­instanz, dass S. 2 des § 32 Abs. 1 BDSG keine Sperrwirkung dahingehend entfaltet, dass heimliche Überwachungen nur zur Aufklärung von Straftaten zulässig seien. Das wäre mit Unionsrecht nicht vereinbar. Diese Entscheidung bringt nun Klarheit und zeigt den Arbeitgebern, welche Maßnahmen zur Aufklärung evtl. vorliegender Pflichtverletzungen möglich sein können.

 

Das bedeutet, dass eine (verdeckte) Überwachungsmaßnahme durch den Einsatz eines Detektivs zur Aufklärung eines auf Tatsachen ge­gründeten konkreten Verdachts einer schwerwiegenden Pflicht­ver­letzung des Arbeit­nehmers nach § 32 Abs. 1 S. 1 BDSG zulässig sein kann, selbst wenn es nicht um die Aufdeckung einer im Beschäftigungsverhältnis begangenen Straftat i.S.d. § 32 Abs. 1 S. 2 BDSG geht.

 

Die Verhältnismäßigkeitsprüfung

In seiner Ent­scheidung macht das BAG aber auch deutlich, dass an Ermittlungen zur Aufklärung schwer­wiegender Pflichtverletzungen gleichfalls strenge Anforderungen zu stellen sind wie beim Verdacht einer Straftat. Im Hinblick auf den verfassungsrechtlichen Rahmen kommt ein Verwertungsverbot in Betracht, wenn durch die verdeckte Überwachung ein nicht gerecht­fertigter Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers vorliegt und diese Grundrechtsverletzung gerade durch eine weitere Verwendung der dadurch gewonnenen Erkenntnisse vertieft würde. Eine Grundrechtsverletzung liegt vor, wenn der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers nicht durch die Wahrnehmung schutzwürdiger Interessen des Arbeitgebers gerechtfertigt erscheint, das auch im Rahmen von § 32 Abs. 1 S. 1 BDSG durch eine umfassende Güterabwägung im Einzelfall festzustellen ist. Gerechtfertigt erscheint der Eingriff immer dann, wenn bei einer umfassenden, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierten Interessen­abwägung das Kontrollinteresse des Arbeitgebers das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers überragt. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt, dass der Eingriff geeignet, erforderlich und unter Berücksich­tigung der gewährleisteten Freiheitsrechte angemessen ist, um den erstrebten Zweck zu erreichen. Es dürfen keine anderen, zur Zielerreichung gleich wirksamen und das Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer weniger einschränkenden Mittel zur Verfügung stehen. Die Daten­erhebung, -verarbeitung oder -nutzung darf keine übermäßige Belastung für den Arbeitnehmer darstellen und muss der Bedeutung des Informa­tionsinteresses des Arbeitgebers entsprechen. Demzufolge muss im Fall einer (verdeckten) Überwachung zur Aufklärung einer schwerwiegenden, jedoch nicht strafbaren Pflicht­verletzung ebenso wie zur Aufdeckung von Straftaten im Rahmen von § 32 Abs. 1 S. 2 BDSG ein auf konkrete Tatsachen gegründeter Verdacht für das Vorliegen einer solchen Pflichtverletzung bestehen. Eine verdeckte Ermittlung „ins Blaue hinein”, ob ein Arbeitnehmer sich pflichtwidrig verhält, ist auch nach § 32 Abs. 1 S. 1 BDSG unzulässig.

 

Folgen für Arbeitgeber

Das Grundsatzurteil des BAG erleichtert es Unternehmen, bei Vorliegen eines konkreten Verdachts, auch schweren Pflicht­verletzungen unterhalb der Schwelle von Straftaten durch verdeckte Überwachung nach­zugehen. Unternehmen sollten allerdings die Anforderungen, die die Arbeitsgerichte hinsichtlich wirksamer Überwachungsmaßnahmen anlegen, kennen, um Beweisverwertungsverbote oder Schadensersatz­an­sprüche zu vermeiden.

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