Abgrenzung zwischen Arbeitnehmerüberlassung und Ausführung eines Werk- oder Dienstvertrags

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​veröffentlicht am 1. Februar 2023

 



Besprechung Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) AG vom
5.7.2022 – 9 AZR 323/21


In unterschiedlichen Branchen, insbesondere im Bereich des Betriebs von Immobilien durch Dienstleister, also dem Facility Management, spielt die Frage einer drohenden Arbeitnehmerüberlassung häufig eine Rolle. Dabei geht es um die Frage, ob die Mitarbeiter eines Dienstleisters im Rahmen der externen Beauftragung von Facility Management-Leistungen kraft gesetzlicher Rechtsfolge zu eigenen Mitarbeitern des Auftraggebers wurden. Dies gilt es aus Auftraggebersicht selbstverständlich zu vermeiden, da mit einer solchen Arbeitnehmerüberlassung Pflichten des Auftraggebers gegenüber den übergangenen Mitarbeitern entstehen können (wie bspw. Zahlung des Lohns „Equal-Pay”).


Die rechtlichen Anforderungen und Voraussetzungen einer tatsächlichen Arbeitnehmerüberlassung sind sehr komplex und werden in der Praxis häufig über sehr pauschale Einschätzungen behandelt. Wie bspw. „Niemals Mitarbeitern von beauftragten Dienstleistern Weisungen erteilen!”, „Keine zur Verfügungstellung eines eigenen Arbeitsplatzes für fremde Mitarbeiter!”, „Keine Bereitstellung der eigenen IT-Infrastruktur für fremde Mitarbeiter!” usw. 

In einem aktuellen Fall hat sich das Bundesarbeitsgericht erneut mit den Voraussetzungen einer Arbeitnehmerüberlassung beschäftigt. Dabei lag der Schwerpunkt bei der Beurteilung von Weisungen durch versendete E-Mails. Dem Urteil lag folgender stark verkürzter und leicht abgewandelte Sachverhalt zugrunde: 

Sachverhalt

Der Kläger schloss mit der B-GmbH einen Arbeitsvertrag. Die B-GmbH ist nicht im Besitz einer Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung. Der Kläger wurde von 2010 bis 2018 bei der Beklagten, einem Unternehmen der Automobilbranche, in deren Betrieb eingesetzt. Dort war er in einem Team als Systemingenieur tätig. Dem Team gehörten Mitarbeiter der Beklagten und Arbeitnehmer der B-GmbH an. Der Kläger arbeitete mit einem Mitarbeiter der Beklagten in demselben Team. Die Kommunikation erfolgte größtenteils über E-Mails, die unmittelbar an alle dort eingesetzten Mitarbeiter gerichtet waren. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, zwischen den Parteien sei seit 2010 ein Arbeitsverhältnis zustande gekommen, weil er der Beklagten unerlaubt zur Arbeitsleistung überlassen worden sei. Er habe nach Arbeitsanweisungen der Beklagten mit den bei ihr angestellten Arbeitnehmern in demselben Team gearbeitet und sei in deren Betrieb eingegliedert gewesen. 

Das Arbeitsgericht hat mit Teilurteil dem Feststellungsantrag des Klägers (Bestehen eines Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten) stattgegeben. Das LAG Hessen hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Die darauf eingelegte Revision der Beklagten war erfolgreich und führte zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung.

Vertragsbeziehungen 

 



Aussagen der Entscheidung

Aus der Entscheidung des Gerichts lassen sich grundsätzliche Aussagen zur Frage einer etwaigen Arbeitnehmerüberlassung ableiten:

Danach liegt eine Überlassung zur Arbeitsleistung i. S. d. § 1 Abs. 1 Gesetz zur Regelung der Arbeitnehmerüberlassung (AÜG, Arbeitnehmerüberlassungsgesetz) vor, wenn einem Entleiher Arbeitskräfte zur Verfügung gestellt werden, die in dessen Betrieb eingegliedert sind und ihre Arbeit nach Weisungen des Entleihers und in dessen Interesse ausführen. Arbeitnehmerüberlassung im Sinne des AÜG ist durch eine spezifische Ausgestaltung der Vertragsbeziehungen zwischen Verleiher und Entleiher einerseits (Arbeitnehmerüberlassungsvertrag) und zwischen Verleiher und Arbeitnehmer anderseits (Leiharbeitsvertrag) sowie durch das Fehlen einer arbeitsvertraglichen Beziehung zwischen Arbeitnehmer und Entleiher gekennzeichnet.

Von Arbeitnehmerüberlassung zu unterscheiden ist die Tätigkeit eines Arbeitnehmers bei einem Dritten aufgrund eines Werk- oder Dienstvertrags, der zwischen dem Dritten und dem Unternehmen des Arbeitnehmers abgeschlossen ist. In diesen Fällen wird der Unternehmer für einen anderen tätig. Er organisiert die zur Erreichung eines wirtschaftlichen Erfolgs notwendigen Handlungen nach eigenen betrieblichen Voraussetzungen und bleibt für die Erfüllung der in dem Vertrag vorgesehenen Dienste oder Herstellung eines Erfolges gegenüber dem Dritten verantwortlich. Die zur Ausführung eingesetzten Mitarbeiter unterliegen den Weisungen des Unternehmers und sind dessen Erfüllungsgehilfen. 

Sind Weisungen erlaubt?

Jedoch kann ein Werkbesteller schon, wie sich bereits aus § 645 Abs. 1 Satz 1 BGB ergibt, dem Werkunternehmer selbst oder dessen Erfüllungsgehilfen Anweisungen für die Ausführung des Werks erteilen. Insofern ist die arbeitsrechtliche Weisungsbefugnis von der projektbezogenen werkvertraglichen Anweisung zu unterscheiden. 



Gesamtbetrachtung jedes Einzelfalls

Das BAG hat in seiner Entscheidung darauf hingewiesen, dass das LAG es versäumt habe, alle Umstände in nachvollziehbarer Weise festzustellen und zu gewichten, die für eine etwaige Eingliederung des Klägers sprächen und damit zur Fiktion eines etwaigen Arbeitsverhältnisses nach § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG führen können. Danach müssen immer alle Aspekte und Indizien betrachtet und abgewogen werden. 

Im vorliegenden Fall sprachen insbesondere Kriterien für und auch gegen eine Annahme, der Kläger sei Erfüllungsgehilfe der B-GmbH gewesen. In einem solchen Fall müssen alle Gesichtspunkte gewichtet und im Wege einer Abwägung nachvollziehbar erläutert werden, aus welchen Gründen man im Rahmen einer Gesamtbetrachtung zu dem gefundenen Ergebnis gelangt ist. Dies habe das LAG versäumt und vorschnell eine Arbeitnehmerüberlassung angenommen. So habe das Gericht bspw. ausgeführt, die E-Mails enthielten zum einen „ganz klar” arbeitsrechtliche Weisungen. Zum anderen hat das Gericht auch festgestellt, dass die E-Mails auch Weisungen beinhaltet haben, die „projektbezogen” zu werten seien und damit nicht arbeitsrechtlich. Der Entscheidung lasse sich insofern nicht in der gebotenen Klarheit entnehmen, welches Gewicht das LAG den abwägungsrelevanten Gesichtspunkten und den Umständen aus den E-Mails beigemessen habe. 

Im Ergebnis kann man die wesentlichen Inhalte der Entscheidung wie folgt zusammenfassen (Orientierungssätze der Richter des BAG):

  • Eine Arbeitnehmerüberlassung liegt vor, wenn einem Entleiher Arbeitskräfte zur Verfügung gestellt werden, die in dessen Betrieb eingegliedert sind und nach dessen Weisungen beschäftigt werden.
  • Davon zu unterscheiden sind Arbeitnehmer, die nach Weisungen des Unternehmers zur Ausführung von Dienst- oder Werkverträgen als Erfüllungsgehilfe bei Dritten eingesetzt werden.
  • Der Werkbesteller oder Auftraggeber von Dienstleistungen kann dem Werkunternehmer oder Dienstleister bzw. dessen Erfüllungsgehilfen bestimmte Anweisungen zur Ausführung der Dienste bzw. des Werkes erteilen. In diesen Fällen ist die arbeitsrechtliche, personenbezogene und verfahrensorientierte Weisungsbefugnis von der projekt- und sachbezogenen ergebnisorientierten Anweisung abzugrenzen.
  • Sprechen Kriterien für die Annahme, der Arbeitnehmer sei als Erfüllungsgehilfe im Rahmen eines Dienstleistungsvertrags tätig geworden und andere Kriterien für das Vorliegen einer Arbeitnehmerüberlassung, hat das Tatsachengericht eine umfassende Abwägung aller in die Entscheidung einzustellender Gesichtspunkte vorzunehmen und das Ergebnis seiner Gesamtbetrachtung nachvollziehbar zu erläutern.



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