Vertragliche Auswirkungen der „verspäteten” Bauvergabe

PrintMailRate-it

veröffentlicht am 04. Februar 2019

 

BaustelleVertragsrechtliche Folgen für Fristen und Vergütungsanspruch des Auftragnehmers bei zeitlich verzögertem Zuschlag.


Das Problem

Ein öffentliches Vergabeverfahren durchläuft in aller Regel mehrere verschiedene Stadien: von der Beschaffungsplanung des Auftraggebers über die Bekanntmachung, die Angebotseinholung, ggf. Verhandlungsgespräche bis hin zum geplanten Zuschlag, sprich dem Vertragsschluss. Der öffentliche Auftraggeber muss dabei insbesondere die Dauer des Verfahrens im Blick haben, um den avisierten Baubeginn einhalten zu können. Dabei kommt es immer wieder vor, dass der Zeitplan der Vergabestelle ins Wanken gerät. So kann beispielsweise ein förmliches Nachprüfungsverfahren dazu führen, dass der Zuschlag nicht zum ursprünglich beabsichtigten Zeitpunkt erteilt werden kann. Auch die Angebotsprüfung kann länger dauern als gedacht, etwa im Falle unerwartet erforderlicher Aufklärungsgespräche.

 

Kommt es zu derartigen zeitlichen Verschiebungen, muss sich dies zwangsläufig auf die in den Vergabeunterlagen vorgesehenen Ausführungsfristen sowie den Vergütungsanspruch des Auftragnehmers auswirken.

 

Die Folgen

Der Bundesgerichtshof hat die vorstehend beschriebene Konstellation in seinem Urteil vom 11 Mai 2009 (Aktenzeichen VII ZR 11/08) ausführlich rechtlich gewürdigt. Diese Leitentscheidung ist seit jeher Grundlage für jegliche weitere Rechtsprechung, die in diesem Kontext ergeht.

 

So ist der Vertrag, der später als beabsichtigt geschlossen wird, nach Auffassung der Bundesrichter zunächst dahingehend auszulegen, dass die Vertragsparteien diesen zwar bindend abschließen wollten. Über neue, dem eingetretenen Zeitablauf Rechnung tragende Fristen wollten sie jedoch eine Einigung herbeiführen. Hierbei ist die Vorschrift des § 6 Abs. 3 und 4 VOB/B sinngemäß anzuwenden. Der Auftragnehmer hat demzufolge alles zu tun, was ihm billigerweise zugemutet werden kann, um die Durch-/Weiterführung der Arbeiten zu ermöglichen. Die Fristverlängerung wird berechnet anhand der Dauer der Behinderung, wobei ein Zuschlag für die Wiederaufnahme der Arbeiten und eine etwaige Verschiebung in eine ungünstigere Jahreszeit zu gewähren ist.

 

Überdies ist die vertragliche Vergütung nach den Grundsätzen des § 2 Abs. 5 VOB/B anzupassen. Denn die Vermutung für eine Ausgewogenheit von Leistung und Gegenleistung gilt beim Bauvertrag nicht unabhängig von der Leistungszeit. Diese hat vielmehr regelmäßig entscheidenden Einfluss auf die Höhe der Vergütung. Denn schon die jahreszeitlich bedingten Wetterunterschiede nehmen elementaren Einfluss auf die Dauer der Bauleistung. Eine verzögerungsbedingte Änderung der Leistungszeit hat nach Ansicht des Bundesgerichtshofs deshalb zur Folge, dass sich die Parteien redlicherweise auf eine angepasste Vergütung verständigt hätten. Die Verzögerung der Beauftragung – beispielsweise aufgrund eines Nachprüfungsverfahrens – ist auch vergleichbar mit einer Änderungsanordnung des Auftraggebers. Es besteht keine Veranlassung, das Risiko von Änderungen der Preisgrundlagen dem Auftragnehmer zuzuweisen. Dieses trägt nach den Grundsätzen von Treu und Glauben vielmehr der Auftraggeber. Ein etwaiges Verschulden des Auftraggebers ist dabei nicht von Belang und auch nicht erforderlich. Die hieraus folgende Belastung des Auftraggebers mit den entsprechenden Mehrkosten ist nach Auffassung der Bundesrichter auch nicht unbillig, da es auf einen Vergleich mit dem ursprünglichen Preis nicht ankommt. Die Tatsache, dass schlussendlich möglicherweise gar nicht der wirtschaftlichste Bieter bezuschlagt worden ist, ist einem Vergabeverfahren schließlich nicht fremd. Auch die Unvorhersehbarkeit der Gesamtkosten ist keine Seltenheit.

 

Inhaltlich umfasst der Mehrvergütungsanspruch des Auftragnehmers nur diejenigen Mehrkosten, die auf die Verschiebung der Bauzeit zurückzuführen sind. Voraussetzung ist dabei, dass die verzögerte Vergabe zu einer Änderung der Leistungspflichten, d.h. der Ausführungszeit geführt hat. Eine bloße Veränderung der Kalkulationsgrundlagen – ohne Verschiebung der Leistungszeit –ist nicht ausreichend. Der neue Preis bestimmt sich sodann anhand der Urkalkulation unter Berücksichtigung der preiserhöhenden Faktoren. So hat der Bundesgerichtshof beispielsweise einer Klage auf Erstattung von Mehrkosten wegen teurerer Nachunternehmerleistungen stattgegeben, nicht aber hingegen dem Ersatz von Vorhaltekosten, die sich auf den Zeitraum bis zur verzögerten Zuschlagserteilung bezogen.

 

Die Lösung?

Fraglich bleibt damit, ob und ggf. welche Möglichkeiten dem Auftraggeber zur Verfügung stehen, um die Entstehung des oben beschriebenen Mehrvergütungsanspruchs zu verhindern.

 

§ 5 Abs. 2 VOB/B ermöglicht es dem Auftraggeber zwar, für den Beginn der Ausführung der Arbeiten keine Fristen zu vereinbaren. Zugleich hat er jedoch zu bedenken, dass er dem Auftragnehmer kein ungewöhnliches Wagnis aufbürden darf. Dies erfordert zumindest die Angabe einer spätesten Frist für den Beginn der Leistung. Denn in der Regel beginnt die Bauausführung unmittelbar nach Zuschlagserteilung; eine davon abweichende Ausnahme bedarf der besonderen Rechtfertigung. So darf auch die Frist bis zum Baubeginn nicht unangemessen lang sein (was beispielsweise bei einer Frist von vier Monaten der Fall ist).

 

Ist wegen des verspäteten Zuschlags mit erheblichen Mehrkosten zu rechnen, die die Finanzierungsgrundlagen des öffentlichen Auftraggebers gefährden, kommt eine Aufhebung des Vergabeverfahrens in Betracht. Die Voraussetzungen eines die Aufhebung rechtfertigenden „sonstigen wichtigen Grundes” liegen in einer solchen Konstellation in aller Regel vor. Besteht der Beschaffungsbedarf aufseiten des Auftraggebers jedoch fort, scheint die Aufhebung kein geeignetes Vorgehen zu sein, um Mehrkosten zu vermeiden. Denn ein neuerliches Verfahren verursacht weitere Kosten. Zudem ist fraglich, ob eine erneute Ausschreibung zu günstigeren Preisen führen würde.

 

Schlussendlich könnte der Auftraggeber den Baubeginn schon in den Vergabeunterlagen auf einen Zeitpunkt festlegen, der lange genug nach der geplanten Zuschlagserteilung liegt. Etwaige Verzögerungen wären somit im Zeitplan bereits vorab berücksichtigt. Dies ist jedenfalls insoweit zulässig, als eine hinreichend genaue Kalkulation für den Auftragnehmer weiterhin möglich ist. Voraussetzung ist damit jedoch zwangsläufig, dass die Ausschreibung frühzeitig begonnen wird. Da die meisten Beschaffungen vor einem zeitlich knappen Horizont geplant werden, bleibt diese Möglichkeit wohl eher theoretischer Natur.


Aus dem Newsletter

Kontakt

Contact Person Picture

Dr. Julia Müller

Rechtsanwältin, Fachanwältin für Vergaberecht

Partner

+49 911 9193 3566

Anfrage senden

Profil

Befehle des Menübands überspringen
Zum Hauptinhalt wechseln
Deutschland Weltweit Search Menu