Betreiberverantwortung – Haftung des Betreibers bei einem Unfall in einer Waschstraße (BGH, Urteil vom 19. Juli 2018 – VII ZR 251/17)

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veröffentlicht am 02. November 2018

 

Der vom BGH entschiedene Fall betrifft einen eher seltenen Einzelfall. Es geht um die Kollision zweier Fahrzeuge während des Waschvorgangs in einer Autowaschstraße. Insofern verwundert es vielleicht auf den ersten Blick, dass diese Entscheidung hier besprochen wird. Die Entscheidung enthält jedoch wichtige Grundaussagen zu den Anforderungen an die Betreiber- bzw. Verkehrssicherungspflichten eines Betreibers. Die Aussagen und Wertungen der Entscheidung können insofern auch auf andere Fälle übertragen und herangezogen werden.

 

Sachverhalt

Der Kläger befand sich mit seinem Fahrzeug in der von der Beklagten betriebenen Autowaschstraße. Bei dieser handelte es sich um eine vollautomatisierte Anlage, durch die die Fahrzeuge während des Waschvorgangs von einem Schleppband mit einer geringen Geschwindigkeit gezogen werden. Dabei befinden sich die linken Räder auf der Fördereinrichtung, während die rechten Räder frei über den Boden laufen. Es befand sich je ein Fahrzeug vor und hinter dem Fahrzeug des Klägers. Während des Waschvorgangs betätigte der Fahrer des Fahrzeugs vor dem klägerischen Fahrzeug grundlos die Bremse seines Fahrzeugs. Hierdurch geriet das Fahrzeug aus dem Schleppband und blieb stehen. Das Fahrzeug des Klägers wurde weitergezogen und auf das abgebremste Fahrzeug geschoben und dadurch beschädigt. Der Kläger wirft der Beklagten eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht vor.

 

Das Amtsgericht Wuppertal hat die Beklagte auf Zahlung von Schadensersatz verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landgericht Wuppertal die Klage abgewiesen. Die Revision des Klägers beim BGH hatte Erfolg und führte zur Aufhebung der Entscheidung des Landgerichts.

 

Entscheidung

Zunächst hat der BGH festgestellt, dass das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei entschieden habe, dass es sich bei dem Vertrag über die Reinigung des Fahrzeugs um einen Werkvertrag handele und sich aus diesem Vertrag die Schutzpflicht des Anlagenbetreibers ergebe, Fahrzeuge der Kunden vor Beschädigungen zu schützen (§§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 631 BGB).

 

Der BGH führt in seiner Entscheidung aus, dass nach ständiger Rechtsprechung des BGH derjenige, der eine Gefahrenlage – etwa durch den Betrieb einer Waschstraße – schafft, grundsätzlich verpflichtet ist, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern. Die rechtlich gebotene Verkehrssicherung umfasse diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Anlagenbetreiber für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren. Dieser Rechtsgrundsatz wird von den Gerichten gebetsmühlenartig in nahezu allen Entscheidungen bei Verkehrssicherungspflichten vorgetragen. In der Praxis führt das häufig dennoch zu vielen Einzelfragen, wie z.B.: „Was muss ich als Betreiber ganz konkret tun, um nicht zu haften?”, „Welche Sicherungsvorkehrungen sind für einen Betreiber zumutbar?”, „Was versteht man unter dem Begriff der Zumutbarkeit?”.

 

Grafik Abwägung von Sicherungsvorkehrungen

 

Der BGH betont in seiner Entscheidung, dass nicht jeder abstrakten Gefahr vorbeugend begegnet werde könne. Denn eine Verkehrssicherung, die jede Schädigung ausschließe, sei im praktischen Leben nicht erreichbar. Deshalb sei nicht für alle denkbaren Möglichkeiten eines Schadens Vorsorge zu treffen. Es sind vielmehr nur diejenigen Vorkehrungen zu treffen, die geeignet sind, die Schädigung anderer tunlichst abzuwenden. Der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt ist genügt, wenn im Ergebnis derjenige Sicherheitsgrad erreicht ist, den die in dem entsprechenden Bereich herrschende Verkehrsauffassung für erforderlich hält. Deswegen reiche es aus, diejenigen zumutbaren Sicherungsvorkehrungen zu treffen, die ein verständiger, umsichtiger und gewissenhafter Angehöriger der betroffenen Verkehrskreise – hier der Betreiber der Waschstraße – für ausreichend halten darf, um andere Personen – hier die Kunden – vor Schäden zu bewahren. Der BGH konkretisiert weiter in seiner Entscheidung den Begriff der „Zumutbarkeit”. Die Zumutbarkeit von Sicherungsvorkehrungen bestimme sich dabei unter Abwägung der Wahrscheinlichkeit der Gefahrenverwirklichung, der Gewichtigkeit möglicher Schadensfolgen und der Höhe des Kostenaufwands, der mit etwaigen Sicherungsvorkehrungen einhergeht. Zu den gebotenen Sicherungsvorkehrungen könne auch die Erfüllung von Hinweispflichten gehören.

 

Nach der Entscheidung des Gerichts sei eine Schutzpflicht des Betreibers nicht deswegen verletzt, weil er nicht für eine ununterbrochene Überwachung der Anlage (bspw. durch Videoüberwachung oder durch Mitarbeiter) gesorgt habe. Denn eine so weitgehende Schutzpflicht würde die berechtigten Verkehrserwartungen überspannen. Diese seien anhand der konkreten Umstände, insbesondere der Gefahrgeneigtheit der betriebenen Anlage, zu bemessen. Solche Maßnahmen, wie Videoüberwachung oder Personalbeistellung, seien wegen des damit verbundenen technischen bzw. personellen Aufwands nicht zumutbar und unverhältnismäßig. Dies gelte auch deshalb, weil die möglichen Schadensfolgen bei der vorliegenden Kollisionsart mit geringer Geschwindigkeit lediglich geringe Sachschäden seien. Zudem handele es sich um selten auftretende Einzelfälle. Jedoch hätte der Betreiber in geeigneter und ihm zumutbarer Weise über die zu beachtenden Verhaltensregeln informieren müssen. Denn der Schutz der Rechtsgüter der Benutzer erfordere es, dass der Betreiber nicht nur die Einhaltung der allgemein anerkannten Regeln der Technik beachte. Er müsse, wenn Schädigungen zu erwarten sind – auch wenn diese zwar selten, aber vorhersehbar sind – in geeigneter Weise darauf hinwirken, dass kein Fehlverhalten der Kunden vorkomme. Der Betreiber habe deswegen die Pflicht, die Kunden über die zu beachtenden Verhaltensregeln („Nicht bremsen während des Waschvorgangs!”) hinzuweisen. Diese Pflicht habe er hier verletzt. Insofern hatte die Revision des Klägers Erfolg und führte zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückweisung der Sache an das Berufungsgericht.

 

 

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