IFRS 9 – Die finale Fassung zur Bilanzierung von Finanzinstrumenten im Überblick

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Von Fabian Raum, Rödl & Partner Nürnberg

 
Am 24.07.2014 veröffentlichte der IASB die finale Fassung von IFRS 9 Finanzinstrumente. Damit findet das vor rund sechs Jahren begonnene Projekt zur Neuregelung der Bilanzierung von Finanzinstrumenten seinen lang erwarteten Abschluss. Der Standard ist – vorbehaltlich des noch ausstehenden EU-Endorsements – erstmalig für Geschäftsjahre anzuwenden, die am oder nach dem 01.01.2018 beginnen. Die neuen Vorschriften lösen dann grundsätzlich die Regelungen des IAS 39 Finanzinstrumente: Ansatz und Bewertung ab. Eine Ausnahme besteht lediglich hinsichtlich der Bilanzierung dynamischer Absicherungen auf Portfolioebene – z.B. bei der Steuerung von Zinsänderungsrisiken. Dieser Bereich, der vor allem für Banken relevant ist, wurde wegen seiner Komplexität aus dem Gesamtprojekt ausgegliedert und wird separat weiterverfolgt. Die entsprechenden Vorschriften des IAS 39 dürfen daher vorerst weiter angewendet werden.
 

I. Zielsetzung

Das übergeordnete Ziel des neuen Standards besteht in der Bereitstellung einfacherer, prinzipienbasierter Regelungen zur Bilanzierung von Finanzinstrumenten. Die Überarbeitung ist damit auch Resultat der fortwährenden Kritik an IAS 39, welche ein Zitat des ehemaligen IASB-Vorsitzenden Sir David Tweedie aus dem Jahr 2007 verdeutlicht: „If you understand it, you haven't read it properly – it's incomprehensible.” 

Zur Umsetzung dieses übergeordneten Ziels verfolgt der IASB in IFRS 9 folgende Ansätze:
  • Anhand der Kriterien „Geschäftsmodellbedingung” und „Zahlungsstrombedingung” sollen Klassifizierung und Bewertung vereinfacht werden.
  • Ein neues Wertminderungsmodell, das auf erwartete Verluste abstellt, soll eine angemessene Risikovorsorge sicherstellen.
  • Betriebliches Risikomanagement und Hedge Accounting werden stärker verzahnt, um die tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnisse im Rahmen von Sicherungsbeziehungen besser abbilden zu können.  

 

II. Klassifizierung und Bewertung

Der Anwendungsbereich von IFRS 9 ist unverändert zu IAS 39. Klassifizierung und Folgebewertung eines finanziellen Vermögenswerts richten sich zukünftig jedoch nach der Ausgestaltung der vertraglichen Zahlungsströme (sog. Zahlungsstrombedingung) sowie der Art des Geschäftsmodells, in dem es gehalten wird (sog. Geschäftsmodellbedingung).

 
Die Zahlungsstrombedingung ist erfüllt, wenn die vertraglichen Zahlungsströme zu festgelegten Zeitpunkten fällig werden und ausschließlich Tilgungs- und Zinszahlungen auf den ausstehenden Kapitalbetrag umfassen. Die Zahlungen sollen demnach den Charakter einer einfachen Kreditbeziehung aufweisen.
 
Die Geschäftsmodellbedingung bezieht sich hingegen darauf, wie der finanzielle Vermögenswert zur Erzielung von Erträgen eingesetzt wird. Dabei wird zwischen der Vereinnahmung der vertraglichen Zahlungsströme sowie dem Verkauf des finanziellen Vermögenswerts unterschieden. Als dritte Option ist auch eine Kombination aus Halten und Verkaufen möglich. Das Geschäftsmodell wird vom Management des Unternehmens unter Berücksichtigung sämtlicher relevanter und verfügbarer Informationen festgelegt.
 
Je nach Ausprägung der Zahlungsstrom- und Geschäftsmodellbedingung werden die finanziellen Vermögenswerte einer von drei Kategorien zugeordnet, nach welcher sich die Folgebewertung bestimmt. Eine Umklassifizierung ist ausschließlich bei einer Änderung des Geschäftsmodells zulässig.
 
Der finale Standard unterscheidet folgende Kategorien:
  • Bewertung zu fortgeführten Anschaffungskosten (AC-Kategorie)
  • Ergebnisneutrale Bewertung zum beizulegenden Zeitwert (FVtOCI-Kategorie)
  • Ergebniswirksame Bewertung zum beizulegenden Zeitwert (FVtPL-Kategorie)
 
Klassifizierung und Bewertung.jpg
Abbildung: Klassifizierung und Bewertung (Quelle: IASB)

Ein finanzieller Vermögenswert kann nur dann zu fortgeführten Anschaffungskosten bewertet werden, wenn die Zahlungsstrombedingung erfüllt ist und das Geschäftsmodell auf der Vereinnahmung von Zins- und Tilgungszahlungen beruht. Damit kommt eine Einordnung in die AC-Kategorie grundsätzlich nur für Schuldinstrumente in Betracht. Derivate sowie Eigenkapitalinstrumente werden dagegen regelmäßig nicht die Zahlungsstrombedingung erfüllen.

Finanzinstrument
AC-Kategorie möglich?
Forderungen aus Lieferungen und Leistungen (ohne Factoring etc.)
ja
Ausgereichte Darlehen mit Festzins
ja
Freistehende Derivate
nein
Aktien, GmbH-Anteile
nein









Sofern die Zahlungsstrombedingung erfüllt ist und das Geschäftsmodell sowohl den Verkauf als auch die Vereinnahmung vertraglicher Zahlungen vorsieht, ist der finanzielle Vermögenswert der FVtOCI-Kategorie zuzuordnen. Die FVtPL-Kategorie dient schließlich als Auffangkategorie, soweit eine Einstufung in die obigen beiden Klassen nicht möglich ist.
 
Finanzielle Vermögenswerte können darüber hinaus – wie bereits in IAS 39 – freiwillig erfolgswirksam zum beizulegenden Zeitwert bewertet werden (Fair Value-Option). Dieses Wahlrecht wird zukünftig jedoch auf die Beseitigung eines accounting mismatch beschränkt. Für Eigenkapitalinstrumente besteht bei Zugang schließlich die Möglichkeit einer unwiderruflichen Zuordnung zur FVtOCI-Kategorie, sofern diese nicht lediglich zu Handelszwecken gehalten werden (FVtOCI-Option).
 
Die Klassifizierung und Bewertung finanzieller Verbindlichkeiten bleibt im Vergleich zu IAS 39 weitestgehend unverändert.
  

III. Wertminderungsmodell der erwarteten Verluste

Im Gegensatz zu IAS 39 stellt IFRS 9 bei der Erfassung von Wertminderungen nicht mehr auf eingetretene, sondern auf erwartete Verluste ab (sog. Expected Loss Model). Das neue Wertminderungsmodell umfasst dabei drei Stufen, nach denen sich der zu erfassende Verlust richtet.

 
Bei Zugang werden alle Finanzinstrumente grundsätzlich in Stufe 1 eingeordnet. Der zu erfassende Wertminderungsaufwand bemisst sich auf dieser Stufe nach dem sog. erwarteten 12-Monats-Verlust. Darunter ist der Barwert der Zahlungsausfälle zu verstehen, der sich aus möglichen Ausfallereignissen in den nächsten zwölf Monaten nach dem Stichtag ergibt. 
 
Hat sich das Kreditrisiko gegenüber dem Zugangszeitpunkt signifikant erhöht, ist ein Transfer auf Stufe 2 des Wertminderungsmodells vorzunehmen. Dies hat zur Folge, dass fortan eine Risikovorsorge in Höhe des Barwerts der über die gesamte Restlaufzeit erwarteten Verluste zu bilden ist. Als Indikator für eine signifikante Erhöhung des Kreditrisikos kann bspw. ein verschlechtertes Bonitätsrating des Schuldners gelten.
 
Liegen objektive Hinweise auf eine Wertminderung vor (z.B. Insolvenzgefahr des Schuldners), ist der Vermögenswert schließlich in Stufe 3 einzuordnen. Die Ermittlung der zu erfassenden Risikoversorge ist dabei unverändert zu Stufe 2. Die Vereinnahmung von Zinserträgen im Rahmen der Effektivzinsmethode darf für diese Finanzinstrumente jedoch nur noch auf Basis des (wertgeminderten) Nettobuchwerts erfolgen.
 
Da das Wertminderungsmodell des IFRS 9 spiegelbildlich gilt, ist ein Vermögenswert wieder in die vorherige Stufe zurück zu transferieren, falls zum Stichtag keine signifikante Erhöhung des Ausfallrisikos bzw. kein objektiver Hinweis auf Wertminderung mehr vorliegt.
 
Besondere Regelungen gelten für Forderungen aus Lieferungen und Leistungen sowie Leasingforderungen. Für diese Vermögenswerte besteht die Pflicht bzw. ein Wahlrecht zur Anwendung eines vereinfachten Wertminderungsmodells. Nach diesem ist bereits bei Zugang der gesamte erwartete Verlust über die Restlaufzeit zu erfassen, d.h. die Vermögenswerte werden pauschal der Stufe 2 zugeordnet.
 
Vermögenswerte, die bereits bei Zugang objektive Hinweise auf Wertminderungen aufweisen, werden ausnahmsweise schon im Zugangszeitpunkt der Stufe 3 zugeordnet. Dies hat zur Folge, dass bei ihrer Einbuchung keine Risikovorsorge zu erfassen ist. Stattdessen erfolgt die Berücksichtigung des erwarteten Verlusts über einen risikoadjustierten Effektivzins. Ein Transfer zurück auf Stufe 1 oder Stufe 2 scheidet in diesen Fällen aus.
 

IV. Hedge Accounting

Vorrangiges Ziel der neuen Regelungen zum Hedge Accounting ist eine engere Verzahnung mit dem Risikomanagement des bilanzierenden Unternehmens. So wird insbesondere der Kreis der zulässigen Grund- und Sicherungsgeschäfte erweitert. Beispielsweise können nach IFRS 9 einzelne Risikokomponenten auch dann in eine Sicherungsbeziehung einbezogen werden, wenn sie sich auf nichtfinanzielle Vermögenswerte und Verbindlichkeiten beziehen. Voraussetzung ist, dass die Risikokomponente getrennt identifizierbar und verlässlich bewertbar ist. Darüber hinaus ist zukünftig auch die Designation von Nettopositionen sowie aggregierten Risikopositionen möglich, die neben klassischen Grundgeschäften auch Derivate enthalten dürfen.
 
Als weitere Neuerung wird in IFRS 9 der Umfang der erforderlichen Effektivitätsmessungen reduziert. Die Wirksamkeit der Sicherungsbeziehung ist demnach nur noch prospektiv anhand qualitativer Kriterien zu beurteilen. Dabei müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein:
  • Es besteht ein wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen Grundgeschäft und Sicherungsinstrument.
  • Das Ausfallrisiko dominiert nicht die aus der Sicherungsbeziehung resultierenden Wertänderungen.
  • Die Sicherungsquote spiegelt die tatsächlich zur Sicherung eingesetzte Menge des Grundgeschäfts und des Sicherungsinstruments wider.
 
Somit ist grundsätzlich kein rechnerischer Effektivitätstest mehr notwendig, mit dem die Wirksamkeit der Sicherungsbeziehung in der Vergangenheit nachgewiesen wird. Die starren Effektivitätsgrenzen des IAS 39 von 80 % bzw. 125 % entfallen.
 
Die Einführung der sog. Rekalibrierung bewirkt, dass Sicherungsbeziehungen zukünftig durch eine Erhöhung oder Verringerung der Sicherungsquote nachträglich angepasst werden können – beispielweise bei einer veränderten Korrelation zwischen Grundgeschäft und Sicherungsinstrument. Bislang ist in solchen Fällen nach IAS 39 regelmäßig eine Auflösung der Sicherungsbeziehung mit anschließender Neudesignation notwendig.
 
Änderungen ergeben sich schließlich auch hinsichtlich der Beendigung von Sicherungsbeziehungen. Hierzu ist es nach IFRS 9 zwingend erforderlich, dass die Anwendungsvoraussetzungen nicht mehr erfüllt sind bzw. sich das Risikomanagementziel geändert hat. Eine freiwillige vorzeitige Beendigung von Sicherungsbeziehungen ist somit nicht mehr zulässig.
 

V. Fazit

Mit IFRS 9 wurde die Bilanzierung von Finanzinstrumenten vollständig überarbeitet. Bei der Umsetzung der neuen Vorschriften ergeben sich folglich zahlreiche Herausforderungen.
 
Aufgrund des prinzipienbasierten Ansatzes des IFRS 9 wird einer sorgfältigen und nachvollziehbaren Dokumentation eine wichtige Bedeutung zukommen. So basieren insbesondere die beiden neu geschaffenen Klassifikationskriterien – Zahlungsstrombedingung und Geschäftsmodellbedingung – in einem hohen Maße auf Einschätzungen und Entscheidungen des Managements. Darüber hinaus bringen auch die geänderten Vorschriften zur Erfassung von Wertminderungen deutliche Änderungen mit sich. So ist zukünftig zu jedem Abschlussstichtag der erwartete Verlust für sämtliche finanzielle Vermögenswerte zu ermitteln. Dies dürfte in vielen Fällen die Beschaffung zusätzlicher Informationen erfordern.
 
Erleichterungen werden sich am ehesten durch die Neuregelungen zum Hedge Accounting ergeben. Diese ermöglichen eine weitergehende Designation von Sicherungsbeziehungen als bislang. Der oftmals aufwendige retrospektive Effektivitätstest kann grundsätzlich unterbleiben.
 
Obwohl die Neuregelungen erst ab dem 01.01.2018 verpflichtend anzuwenden sind, empfiehlt sich angesichts der weitgehenden Änderungen eine frühzeitige und sorgfältige Vorbereitung.

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