Notwegerecht bei gefangenem Grundstück

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veröffentlicht am  05.07.2022 | Lesedauer ca. 2 Minuten

OLG Schleswig, Urteil vom 1. April 2022, Az.: 1 U 71/21

Das Notwegerecht umfasst bei mangelnder Verbindung mit einer öffentlichen Straße auch das Befahren und Abstellen von Kraftfahrzeugen.


Der Beklagte ist Eigentümer eines an eine öffentliche Straße grenzenden Grundstückes. Die Kläger sind Eigentümer dahinterliegender Grundstücke, die keinerlei Verbindung zur öffentlichen Straße aufweisen und nur über eine an der Grundstücksgrenze des Beklagten gelegene Zuwegung zu erreichen sind. Ein Wegerecht ist im Grundbuch nicht eingetragen, gleichwohl wurde die Zuwegung durch die Kläger als Zufahrt über einen längeren Zeitraum tatsächlich benutzt. Im Jahr 2020 hat der Beklagte einen Klapppfahl an seiner Grundstücksgrenze aufgestellt, um die Zufahrt mit Kraftfahrzeugen zu den Grundstücken der Kläger zu unterbinden. Die Nutzung der Zuwegung zu Fuß oder mit dem Rad blieb dabei weiterhin möglich. Die Kläger verlangen vom Beklagten die Duldung des Befahrens seines Grundstückes mit Kraftfahrzeugen, Entfernung des Klapppfahls sowie Unterlassung weiteren Blockierens der Zufahrt und damit die Einräumung eines Notwegerechts. Die Vorinstanz hat den Beklagten zur Einräumung des Notwegerechts verurteilt. Der Beklagte legte gegen das Urteil Berufung ein und führte dazu an, dass kein unabweisbares Bedürfnis eines Wegerechts für die Kläger nachweisbar sei.


Die zulässige Berufung hatte in der Sache aus folgenden Gründen keinen Erfolg: Den Klägern stehe gegen den Beklagten ein Notwegerecht nach § 917 Abs. 1 BGB zu. Hintergrund eines solchen Notwegerechts ist es, einem Grundstückseigentümer bei fehlender Verbindung zu einem öffentlichen Weg, die ordnungsgemäße Nutzung seines Grundstückes zu ermöglichen. Die Erreichbarkeit der Grundstücke sei für solch ordnungsgemäße Nutzung zu Wohnzwecken jedenfalls erforderlich. Dazu reiche die Möglichkeit der Benutzung der Zuwegung zu Fuß oder mit dem Fahrrad nicht aus. Vielmehr müssten die Kläger ihr Grundstück auch mit eigenen Kraftfahrzeugen anfahren können, wobei auch ein Befahren durch Fahrzeuge zur Ver- und Entsorgung zu gewährleisten sei. Eine Differenzierung hinsichtlich der unterschiedlichen Entfernungen der Grundstücke zur öffentlichen Straße sowie deren Eigenschaft als Erstwohnsitz oder Ferienhaus müsse nicht getroffen werden. Es gehöre zur üblichen Nutzung eines Wohngrundstückes, dieses mit Kraftfahrzeugen anfahren zu können und nicht darauf verwiesen zu sein, gewichtigere Güter etwa mit einem Handkarren zum eigenen Grundstück transportieren zu müssen. Eine Einschränkung für Fahrten, nach denen die Kläger ihre Fahrzeuge auf ihrem Grundstück abstellen, sei ebenfalls nicht zu treffen. Ein schutzwürdiges Interesse hieran bestehe gerade nicht, da die Benutzung des Grundstückes des Beklagten dadurch nicht wesentlich gemindert sei. Das Abstellen der Fahrzeuge an der Straße würde die Anzahl der zulässigen Fahrten bei Transport gewichtiger Gegenstände nur verdoppeln.


Des Weiteren sei eine übermäßige Belastung des Grundstückes des Beklagten nach Auffassung des Gerichts nicht zu befürchten. Ein Überfahrtrecht für Besucher wurde nicht zugebilligt, insofern beschränke sich die tägliche Benutzung in der Regel auf einige wenige Fahrten der Kläger. Weiteres Vorbringen des Beklagten wurde ebenfalls widerlegt: Der Unfallgefahr wurde mit Anordnung von Schrittgeschwindigkeit auf der Zuwegung begegnet. Dem Umstand, dass das Notwegerecht über mehrere Grundstücke hergestellt werden könne, sei ferner zu entgegnen, dass es maßgeblich auf das Interesse an einer geringstmöglichen Belastung der betroffenen Eigentümer ankomme und solche in der Benutzung der bereits bestehenden Zuwegung auf dem Grundstück des Beklagten liege. Dagegen spricht deshalb auch nicht, dass eine andere Verbindung kürzer wäre. Im Ergebnis können die Kläger ihr Notwegerecht daher einfordern.

 

Fazit:

Das Notwegerecht ist rechtlicher Ausdruck dessen, dass Grundstücksnachbarn in vielen Fällen geradezu aufeinander angewiesen sind. Damit eine ordnungsgemäße Benutzung des eigenen Grundstückes zu Wohnzwecken für jeden gewährleistet werden kann, muss manches unterlassen und manches geduldet werden. Daran zeigt sich, dass die Herrschaft über das eigene Grundstück nicht uneingeschränkt besteht und manchmal unter dem Aspekt nachbarschaftlicher Solidarität, Einschränkungen zu Gunsten des jeweils anderen hingenommen werden müssen bzw. gefordert werden können.

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