Ist die Höhe der Nachzahlungszinsen noch zeitgerecht? Der BFH äußert Zweifel

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veröffentlicht am 24. Mai 2018; Autpren: Lorenz Bonkhoff, Christian Höchemer

 

Nach einer Reihe anderslautender Urteile, äußerte nun der neunte Senat des BFH in seinem Beschluss vom 25. April 2018 erhebliche verfassungsrechtliche Zweifel an der gesetzlich festgelegten Zinshöhe von 6 Prozent jährlich für die Verzinsung von Steuerforderungen und widerspricht nun ausdrücklich der zuvor ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung. Wir empfehlen Ihnen daher im Falle offener Bescheide, welche mit einer Zinsfestsetzung verbunden sind, Ihren Steuerberater zu konsultieren, damit dieser zur Wahrung Ihres Rechtsinteresses die vorläufige Festsetzung oder die Aussetzung der Vollziehung beantragen kann.

 

​[BFH, Beschluss v. 25. April 2018, IX B 21/18]

 

In seinem kürzlich im einstweiligen Rechtsschutz ergangenen Beschluss vom 25. April 2018 (Az. IX B 21/18), vertritt der neunte Senat des BFH die Auffassung, dass die in 1961 gesetzlich festgelegte und seither unveränderte Zinshöhe für die Verzinsung von steuerlichen Unterschiedsbeträgen (§§ 233a, 238 Abs. 1 S. 1 AO) aufgrund der anhaltenden Niedrigzinsphase, zumindest jedoch seit 2015, dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG widerspricht und sich auch daher schwerwiegende verfassungsrechtliche Zweifel hinsichtlich des sich aus dem Rechtsstaatsprinzip ergebenden Übermaßverbotes ergeben (Art. 2 Abs. 1 GG iVm Art. 20 Abs. 3 GG).


Diese Entscheidung ist in vielerlei Hinsicht bemerkenswert, insbesondere gerade deshalb, da alle vorig hierzu ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechungen einheitlich zu einem anderen Ergebnis kamen und sich dem regelmäßig zitierten Beschlusses des BVerfG aus 2009 (Az. 1 BvR 2539/07) anschlossen, welches weder einen Verstoß gegen den im Grundgesetz verankerten Gleichheitsgrundsatz, noch gegen das Übermaßverbot sahen.


Dahingegen erkennt nun erstmals der Senat zumindest für die jüngeren Veranlagungszeiträume eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes.


Dieser gebietet dem Gesetzgeber dabei in ständiger Rechtsprechung des BVerfG grundsätzlich eine gleiche Behandlung von Belastungen wie Begünstigungen und regelt damit insbesondere Verhältnismäßigkeit und Willkürverbot der staatlichen Ermessensausübung.


Zwar ist nach ständiger Rechtsprechung gerade bei Massenvorgängen, wie dem steuerlichen Festsetzungsverfahren, dem Gesetzgeber aus Praktikabilitätsgründen ein gewisser Handlungsspielraum für eine Typisierung des Zinssatzes zuzustehen, allerdings hat dieser dabei die Verhältnismäßigkeit nicht außer Acht zu lassen.


Der neunte Senat kommt in seiner summarischen Prüfung zum Ergebnis, dass sich zumindest seit dem Jahr 2015 das marktübliche Zinsniveau auf einem derart niedrigen Stand strukturell und nachhaltig verfestigt hat, so dass die seit 1961 geltende Verzinsung nicht mehr sachlich zu rechtfertigen ist und eine Beibehaltung des derzeitigen Zinssatzes den angemessenen Rahmen der wirtschaftlichen Realität in erheblichem Maße verletzt und dem rechtsstaatlichen Übermaßverbot entgegensteht.


Jene realitätsferne Bemessung der Zinshöhe kommt demnach gerade bei einer regelmäßigeren Erhebung von Nachzahlungszinsen einem sanktionierenden, rechtsgrundlosen Zuschlag auf die Steuerfestsetzung gleich. Sinn und Zweck der Verzinsungspflicht ist es hingegen, den Nutzungsvorteil zumindest teilweise abzuschöpfen, den der Steuerpflichtige dadurch erhält, dass er während der Dauer der Nichtentrichtung des Steuerbetrages über jene Geldsumme verfügen und zinsbringend anlegen kann (stRspr).


Die Entscheidung des BFH ist in der Sache zu begrüßen.


Die vorliegende Entscheidung hat grundsätzlich eine erhebliche Relevanz für alle Steuerpflichtigen, jedoch sind die im Gesundheits- und Pflegewesen tätigen Unternehmen in einem besonderen Maße betroffen. Deren gemeinnützigen Leistungsträger sind in der Regel aufgrund der Regelungen zur Steuerbegünstigung einem stärkeren Wettbewerb ausgesetzt und dürfen dabei oftmals auch nicht des Erwerbs tätig sein und damit tragfähige Gewinne erwirtschaften. Zinszahlungen, die beispielsweise aufgrund einer Betriebsprüfung ergehen, belasten daher auch wesentlich stärker die Solvenz dieser Unternehmen.


Abzuwarten bleibt, wie sich nun der dritte Senat des BFH im gleichgerichteten Verfahren des Bundes der Steuerzahler (Az. III R 25/17) dazu äußern wird und ob das angerufene BVerfG von seiner in 2009 ergangenen Beurteilung zukünftig abrücken wird.


Wir werden die Entwicklung weiter verfolgen.

 

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Christian Höchemer

Bachelor of Arts, Steuerassistent

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