Ist eine isolierte Rüge zum Umfang der Akteneinsicht bei Konzessionsvergabeverfahren Strom und Gas zulässig?

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​veröffentlicht am 1. September 2022

 

 

 

Rechtsgrundlage für die Durchführung von Konzessionsverfahren zur Vergabe von Wegenutzungsrechten der Strom- und Gasversorgungsnetze sind die §§ 46 ff. Energiewirtschaftsgesetz (EnWG). Den Gemeinden und Energieversorgungsunternehmen, die sich mit Konzessionsverfahren befassen (müssen), wird bekannt sein, dass im Rahmen von Konzessionsverfahren immer noch zahlreiche Details ungeklärt sind. 


Dies gilt auch für die letzte Phase der Konzessionsverfahren – der Phase der Auswahlentscheidung. Kommunen sind verpflichtet, den unterlegenen Bieter eines Konzessionsverfahrens über die Gründe der vorgesehenen Ablehnung des Angebots zu informieren (§ 46 Abs. 5 Satz 1 EnWG). Zur Vorbereitung einer Rüge hinsichtlich der Auswahlentscheidung kann dieser unterlegene Bieter die Einsicht in die Akten beantragen (§ 47 Abs. 3 S. 1 EnWG). Tiefergehende Ausführungen enthält das Gesetz nicht.

Es stellt sich die Frage, welche Handlungsmöglichkeiten der unterlegene Bieter hat, wenn er nur Teile der Akten oder weitreichend geschwärzte Akten von der Gemeinde zur Verfügung gestellt bekommt. Eine konkrete Lösung sieht das Gesetz nicht vor.

Unseres Erachtens ist die sinnvollste Lösung für diese Problematik eine isolierte Rüge des Umfangs der Akteneinsicht. Einzelne Stimmen in der Rechtsprechung lehnen dies aber ab.

OLG Stuttgart ist etwas missverständlich – isolierte Rüge gegen die Akteneinsicht ist im Ergebnis zulässig

Das OLG Stuttgart scheint im Urteil vom 5.8.2021 (Az.: 2 U 71/21) auf den ersten Blick die Möglichkeit einer isolierten Rüge gegen die Akteneinsicht zu verneinen. In dem zugrundeliegenden Sachverhalt lehnte es ein isoliertes Vorgehen gegen eine unzureichende Gewährung der Akteneinsicht ab. Bei genauerer Lektüre des Urteils wird aber deutlich, dass es eine isolierte Rüge des Umfangs der Akteneinsicht wohl grundsätzlich als möglich erachtet und ein isoliertes Vorgehen gegen die Akteneinsicht nur in dem vorliegenden Einzelfall abgelehnt hat.

Scheinbar wird dieses Urteil von einzelnen Gerichten und Teilen der Literatur aber missverstanden. Ausschlaggebend für das richtige Verständnis dieses Urteils ist der zugrundeliegende Sachverhalt. Die unterlegene Bieterin beantragte im konkreten Sachverhalt, den das OLG Stuttgart zu entscheiden hatte, im Rahmen der einstweiligen Verfügung der Gemeinde zu untersagen, das Verfahren über die Neuvergabe der Konzession für den Betrieb des Gasversorgungsnetzes fortzusetzen, „bis unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut über das Akteneinsichtsgesuch der Antragstellerin [also der unterlegenen Bieterin] vom 9.6.2020 entschieden ist”. Streitgegenständlich war in dieser Entscheidung also der isolierte Antrag auf Akteneinsicht und nicht eine Rüge hinsichtlich des Umfangs der Akteneinsicht. Nach dem OLG Stuttgart ist für die Zulassung eines isolierten Antrags auf Akteneinsicht ein Rechtsschutzbedürfnis nicht erkennbar. 

Dass das OLG Stuttgart ein Vorgehen gegen den Umfang einer Akteneinsicht grundsätzlich für zulässig hält, geht in dieser Entscheidung etwas unter. Ausdrücklich zulässig ist nach diesem Urteil nämlich die Rüge der Intransparenz aufgrund einer mangelnden Akteneinsicht und ein hierauf gestütztes gerichtliches Vorgehen. Nach dem OLG Stuttgart kann der „Bieter die fehlende Transparenz rügen […] mit der Begründung, dass er die Auswahlentscheidung anhand der gewährten Akteneinsicht nicht nachvollziehen kann […]. Hat seine Rüge Erfolg, so erhält er Akteneinsicht und kann danach innerhalb von 30 Tagen die sich aus der Akteneinsicht ergebenden Rechtsverletzungen rügen (§ 47 Abs. 2 Satz 4 EnWG). Hat die Rüge keinen Erfolg, ist sie endgültig erledigt.”

Ein isoliertes Vorgehen gegen die unzureichende Akteneinsicht ist danach also zulässig, lediglich der isolierte Antrag auf Akteneinsicht wird abgelehnt.

Neben dem OLG Stuttgart sind auch das LG Stuttgart1, das LG München2, das KG Berlin3 und das OLG Düsseldorf4 der hier vertretenen Ansicht gefolgt. 

Andere Ansicht: isolierte Rüge gegen den Umfang der Akteneinsicht ist nicht zulässig

Nach der gegenteiligen Ansicht kann der Umfang der Akteneinsicht nur zusammen mit den Rügen zu sonstigen bereits ersichtlichen Rechtsverletzungen der Auswahlentscheidung gerügt werden. Eine isolierte Rüge gegen den Umfang der Akteneinsicht (allein) sei nach dieser Ansicht nicht zulässig.

Bemerkenswert wären die Rechtsfolgen dieser Ansicht:

  • Müsste man neben der Intransparenz aufgrund unzureichender Akteneinsicht bereits die ersichtlichen inhaltlichen Rechtsverstöße rügen, wäre man wohl gezwungen, eine teilweise Zurückweisung des Antrags in Kauf anzunehmen. Dies geht aus der Entscheidung des LG Stuttgarts vom 28.2.2022 hervor.
    In dem der Entscheidung des LG Stuttgarts5 zugrundeliegenden Sachverhalt wurden neben den vorab gestellten Rügen zur Intransparenz aufgrund unzureichender Akteneinsicht zugleich bereits ersichtliche Rechtsverstöße gegen die Auswahlentscheidung gerügt und im Wege der einstweiligen Verfügung geltend gemacht. Die (isolierten) Rügen zur Akteneinsicht wurden als begründet angesehen. Die Rügen zu den inhaltlichen Fehlern wurden allerdings als unschlüssig angesehen, weil die inhaltlichen Fehler „letztlich auch von der nicht hinreichend gewährten Akteneinsicht abhängen bzw. durch sie beeinflusst werden können”. Insoweit wurde der Antrag zurückgewiesen.  
  • Würde man also der hier nicht vertretenen Ansicht folgen, müsste man stets eine teilweise Zurückweisung des Antrags – im Umfang der Rügen der inhaltlichen Fehler – hinnehmen. 
    Zudem würde, falls der Umfang der Akteneinsicht nur zusammen mit den Rügen zu sonstigen bereits ersichtlichen Rechtsverletzungen der Auswahlentscheidung gerügt werden könnte, eine Doppelung gerichtlicher Verfahren entstehen. Dies stellt das LG München sehr nachvollziehbar dar.6 
    In einem ersten Schritt müsste der unterlegene Bieter sämtliche denkbaren Rügen geltend machen. In einem zweiten Schritt müsste er dann, nach gewährter Akteneinsicht, erneut die sich weiter ergebenden Rechtsverletzungen rügen.
    Hat die Kommune den im ersten Schritt geltend gemachten Rügen nicht abgeholfen, müsste der unterlegene Bieter bereits ein erstes Gerichtsverfahren nach § 47 Abs. 5 EnWG einleiten, um die Präklusionswirkung zu verhindern. Sodann wäre er gezwungen, ein zweites Gerichtsverfahren anzustrengen, falls die Kommune den Rügen aus dem zweiten Schritt nicht abhelfen würde.
    Eine dahingehende Doppelung gerichtlicher Verfahren kann mit einer isolierten Rüge hinsichtlich des Umfangs der Akteneinsicht und der dann gewährten umfassenden Akteneinsicht vermieden werden. Der unterlegene Bieter kann dann auf der Grundlage (hoffentlich) vollständiger Kenntnis der relevanten Verfahrensdetails umfassend sämtliche relevanten Rügen substantiiert vortragen.
  • Eine weitere negative Auswirkung darf nicht unberücksichtigt bleiben. Für die Kommunen wäre der Anreiz gesetzt, dem einsichtsberechtigten Bieter zur Verfügung gestellten Akten sehr weitreichend zu schwärzen. Rügen zur inhaltlichen Falschbewertung wären dadurch nahezu ausgeschlossen. Aufgrund der sehr eingeschränkten Möglichkeit inhaltliche Falschbewertungen zu rügen, wäre auch eine Rüge des Umfangs der Akteneinsicht weitgehend eingeschränkt. Es entsteht ein Teufelskreis: Wenn man nicht in der Lage ist, den Umfang der Akteneinsicht zu rügen, ist man auch nicht in der Lage die verborgenen Rechtsverletzungen zu rügen. Nach diesem Vorgehen wäre es nicht bzw. sehr eingeschränkt möglich, weitergehende Akteneinsicht zu verlangen. Die Auswahlentscheidung kann faktisch nicht überprüft werden. 

Der sinnvollere Weg ist daher, die isolierte Rüge des Umfangs der Akteneinsicht zuzulassen. Ist der Umfang der Akteneinsicht gerichtlich geklärt, ist es dem unterlegenen Bieter möglich, auf Grundlage der relevanten Akten in einem Zuge umfassend sämtliche relevanten Rügen zu erheben. Allerdings hält die Durchführung von Konzessionsvergabeverfahren eine Vielzahl weiterer „Stolpersteine” sowohl für die Bieter als auch für die Kommunen bereit, die es zu bewältigen gilt. Sprechen Sie uns an, wir helfen Ihnen gerne weiter. 



 


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Linda Gschrey

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