EEG 2017: Rolle rückwärts zum EEG-Anlagenbegriff?

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veröffentlicht am 2. September 2016

 

Der Gesetzgeber hat mit einer Neuregelung des EEG-Anlagebegriffs und des Verhältnisses von widersprechenden Entscheidungen der Clearingstelle EEG und des Bundesgerichtshofs (BGH) im EEG 2017 die Problematik aus der BGH-Rechtsprechung zum sog. „weiten” EEG-Anlagenbegriff einer praxisnahen Lösung zugeführt. Dabei bestehen aber erhebliche Zweifel an der Vereinbarkeit dieser Lösung mit Verfassungsgrundsätzen. Aus kartellrechtlichen Gründen müssen Verteilnetzbetreiber sich jetzt dennoch entscheiden, wie sie die Problematik des EEG-Anlagenbegriffs jetzt umsetzen werden.

 

​Die Novellierung des EEG wurde noch kurz vor der Sommerpause, in Fortsetzung der Tendenz zu einer zunehmenden Verkürzung der Novellierungszyklen und der Gesetzgebungsverfahrensdauer, unter Aufgabe von Gesetzesqualität und Investitionssicherheit abgeschlossen. Entsprechend gibt die noch in den letzten Beratungen veränderte Regelung zum EEG-Anlagenbegriff, Anlass zu Zweifeln an der verfassungsrechtlichen und gesetzessystematischen Qualität des EEG 2017.

 

Investitionsrisiko praxisferne BGH-Rechtsprechung

Der BGH hatte vor allem in zwei überraschenden Entscheidungen zum EEG-Anlagenbegriff zu Biogasanlagen (BGH, Urteil vom 23. Oktober 2013) und zu PV-Freiflächenanlagen (BGH, Urteil vom 4. November 2015) – entgegen der bis dahin herrschenden Meinung und Entscheidungen der Clearingstelle EEG – die Anforderungen an den EEG-Anlagenbegriff mit weitreichenden Auswirkungen zur Vergütung der betroffenen EEG-Anlagen geändert. Verteilnetzbetreiber sahen sich danach mit erheblichen Rechtsunsicherheiten, einem hohen Aufwand zur rückwirkenden Prüfung der Vergütungsvoraussetzungen, ggfs. Rückforderungspflichten für EEG-Vergütungen und einer Haftung für das Ausfallrisiko des EEG-Anlagenbetreibers gegenüber den Übertragungsnetzbetreibern, ausgesetzt. Für EEG-Anlagenbetreiber und deren Finanzierer bedeutete die Rechtsprechung häufig schlichtweg eine Korrektur der Wirtschaftlichkeitsberechnungen, die gerade reine Projektgesellschaften häufig in eine existenzbedrohende Lage brachte. Danach bestand ein hohes politisches Bedürfnis, die BGH-Rechtsprechung zu korrigieren.

 

 
Anlagenbegriff

Abbildung 1: Weiter Anlagenbegriff § 3 Nr. 1 EEG 2009 für PV-Anlagen?

 

Gesetzgeber korrigiert BGH?

Diesem Bedürfnis hat der Gesetzgeber nunmehr mit § 3 Nr. 1 des EEG in der Fassung des Gesetzesentwurfs vom 8. Juli 2016 (BRatsDrS 355/16) (EEG 2017) entsprochen, in dem er den Anlagenbegriff für Photovoltaikanlagen wiederum ausdrücklich auf das einzelne PV-Modul beschränkt hat. Nach § 100 Abs. 1 Satz 2 EEG 2017 ist dieser Anlagenbegriff auch für Bestandsanlagen ab der Jahresendabrechnung für 2016 rückwirkend anwendbar.

 

Weiterhin eröffnet § 57 Abs. 5 EEG 2017 im Falle von widersprechenden Entscheidungen des BGH und der Clearingstelle EEG nunmehr ein Wahlrecht für Verteilnetzbetreiber, ob sie in ihrem Netzgebiet das EEG nach den Feststellungen der Clearingstelle EEG oder des BGH anwenden wollen. Damit ist es grundsätzlich möglich, die Entscheidungen des BGH bei einer entgegenstehenden Feststellung der Clearingstelle EEG zu ignorieren. Zeitlich ist das Anwendungswahlrecht auf die Förderdauer der jeweiligen EEG-Anlage beschränkt. 

  

Verteilnetzbetreiber zu einheitlicher Rechtsanwendung verpflichtet

Grundsätzlich gilt ein Urteil nur für den entschiedenen Fall. Insofern kann sich zwar jedermann auf rechtliche Wertungen eines Gerichts berufen, müsste aber die hieraus abgeleiteten Ansprüche im Zweifel in einem eigenen Gerichtsverfahren durchsetzen. Verteilnetzbetreiber unterliegen aber als natürliche Monopolisten an dem Stromverteilnetz den kartellrechtlichen Missbrauchs- und Diskriminierungsverboten. Nach diesen sind Verteilnetzbetreiber verpflichtet, alle EEG-Anlagenbetreiber gleich zu behandeln. Es ist deshalb unstreitig, dass ein Verteilnetzbetreiber, der sich (z.B. durch ein eigenes Gerichtsverfahren) einmal zur Anwendung der BGH-Rechtsprechung zum EEG-Anlagenbegriff entschieden hat, alle EEG-Anlagenbetreiber gleich behandeln muss. Dies kann einen Verteilnetzbetreiber vor erhebliche Aufgaben stellen, muss er doch dann für alle Inbetriebnahmen in seinem Netzgebiet seit Einführung des EEG zum 1. Januar 2000 nachprüfen, ob die Voraussetzungen des BGH nachgewiesen wurden. Da hierzu in der Vergangenheit teilweise überhaupt keine Vorgaben bestanden oder die herrschende Meinung weniger strenge Anforderungen stellte, werden sich die Anforderungen im Nachhinein nicht mehr nachweisen lassen. Dann sind erhebliche EEG-Vergütungsrückforderungen durchzusetzen, gegen die sich EEG-Anlagenbetreiber schon aufgrund des existenzbedrohenden Umfangs regelmäßig zur Wehr setzen müssen.

 

Fraglich ist dabei, ob das Kartellrecht nicht alle Verteilnetzbetreiber verpflichtet, den BGH zu ignorieren: Denn wenn zumindest eine überwiegende Zahl von Verteilnetzbetreibern in der Lage ist, auf die Rechtsprechungsanwendung zu verzichten, könnte eine Anwendung der anlagenbetreiberfeindlichen BGH-Rechtsprechung eine verbotene Ausnutzung der Marktmacht eines Verteilnetzbetreibers darstellen. Danach scheint § 57 Abs. 5 EEG 2017, der Verteilnetzbetreibern gerade eine individuelle Entscheidungsmöglichkeit erhalten wollte, grundsätzliche kartellrechtlichen Wertungen entgegenzustehen.

 

Verfassungsrechtliche Zweifel bleiben

Ebenso gibt die gesetzliche Lösung Anlass zu Zweifeln am Verfassungs- und Gesetzgebungsqualitätsverständnis des Gesetzgebers: 

  

Zum einen ist die faktische Entwertung der Rechtsprechung des höchsten deutschen Zivilgerichts ein schwerwiegender Eingriff in das Gewaltenteilungsprinzip. Die Anerkennung einer privaten Schiedsgerichtsinstanz als vorrangige und zusätzliche Gewalt ist in der Verfassung nicht vorgesehen. Insofern sollte nur der BGH selber, nicht aber der Gesetzgeber oder eine andere Institution ein „Fehlurteil” durch eine Änderung seiner Rechtsprechung korrigieren. Soweit es der Gerichtsbarkeit (nicht nur auf höchstrichterlicher Ebene) hierzu offensichtlich regelmäßig an Fachkompetenz und Ressourcen mangelt, wäre es Aufgabe der Politik, die Rahmenbedingungen durch eine Stärkung der Fachgerichtsbarkeit und der Haushaltsmittel zu verbessern. Darüber hinaus führt das Wahlrecht zu eklatanten Ungleichbehandlungen gleicher Sachverhalte, werden doch Netzbetreiber, die bereits Urteile erwirkt haben, diese weiterhin einheitlich anwenden wollen, alle anderen dagegen die Verwaltungs- und streitintensive Aufarbeitung mit den EEG-Anlagenbetreibern vermeiden.

  

Schließlich übersieht die Regelung des EEG 2017 die Belastung der Verbraucher als letztendliche Träger möglicherweise zu hoher EEG-Vergütungszahlungen und deren Klagerecht aus § 82 EEG 2014.

 

Was ist zu tun ?

 

 
Durchsetzung eines Gesetzes
 

In der Praxis ist die Durchsetzung der Unwirksamkeit eines Gesetzes aufgrund von Verfassungsverstößen selten, sodass für viele Netz- und EEG-Anlagenbetreiber auf den Bestand und die breite Ausschöpfung, der in der Sache an sich sachgerechten Lösung, zu hoffen bleibt. Hat das EEG 2017 Bestand, so scheint unter kartellrechtlichen Gesichtspunkten der Verzicht auf die Anwendung der BGH-Rechtsprechung oder bereits erstrittener unterinstanzlicher Urteile eine vertretbare Strategie. Insbesondere ist die Beibehaltung oder die Rückkehr zu den lange Zeit praktizierten Clearingstellen-Standards für viele Verteilnetzbetreiber der einfachere Weg. Denn für Bestandsanlagenbetreiber wird es sich vielfach um eine Überlebensfrage handeln, sodass damit zu rechnen ist, dass diese sich gegen Vergütungsanpassungen – jetzt unter Umständen auch noch unter Berufung auf das kartellrechtliche Missbrauchs- und Diskriminierungsverbot – zur Wehr setzen werden. Für welchen Weg sich Verteilnetzbetreiber entscheiden, ist spätestens mit Inkrafttreten des EEG 2017 zum 1. Januar 2017 zu entscheiden.

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Joachim Held

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