Größte europäische Mehrwertsteuerreform seit 1993 – Mit sog. Quick Fixes hin zu einem neuen „endgültigen Mehrwertsteuersystem”

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zuletzt aktualisiert am 5. März 2019

 

Im Oktober 2017 hat die Europäische Kommission Vorschläge zur ersten Stufe der größten Reform des EU-Mehrwertsteuersystems für die Einführung des „endgültigen Systems der Besteuerung des Handelns zwischen Mitgliedstaaten” vorgelegt (COM(2017) 567, 568 und 569). Durch die Neu­re­gelung soll das System gleichermaßen ro­buster, einheitlicher und effizienter werden, dabei die Geschäftstätigkeiten innerhalb der EU so einfach und sicher wie bei rein inländischen Ge­schäfts­tä­tig­kei­ten machen.

 

Zuletzt hat am 4. Dezember 2018 der ECOFIN die Einführung der sog. Quick Fixes ab 1. Januar 2020 beschlossen. Ab 1. Januar 2020 (nicht wie noch Ende 2017 geplant zum 1. Januar 2019) sollen nunmehr die Quick Fixes zur Mehrwertsteuer in Kraft treten. Mit ihnen werden die Vorschriften für innergemeinschaftliche Lieferungen und inner­ge­meinschaftliches Verbringen, Konsignationslager sowie Reihengeschäfte neu gefasst. Damit ist der gesamte inner­gemeinschaftliche Warenverkehr von den umsatzsteuer­lichen Neuregelungen betroffen. 
 

   

Im historischen Kontext verpflichteten sich die EU-Mitgliedstaaten bereits 1967, ein endgültiges Mehrwert­steuer­system einzurichten. In der Vorstellung eines Binnenmarkts würden Gegenstände im Herkunftsland besteuert werden, so dass für den innergemeinschaftlichen Handel dieselben Bedingungen gelten würden wie für den inländischen. Da eine solche Umsetzung in politischer und technischer Hinsicht bisher nicht möglich war, wurde „übergangsweise” – nun bereits mehr als 20 Jahre – das sog. Bestimmungslandprinzip (Be­steu­erung im Bestimmungsland der Ware) verfolgt, bei dem die Steuerbefreiung für die innergemeinschaftliche Lieferung im Abgangsland mit der Besteuerung des Warenempfangs im Bestimmungsland, dort sog. inner­gemein­schaft­lichen Erwerb, korrespondiert.

 
Nach jahrelangen Debatten und Untersuchungen auf EU-Ebene, etwa im Rahmen des Grünbuchs zur Zukunft der Mehrwertsteuer 2011 und dem Mehrwertsteuer-Aktionsplan 2016 soll nun am Bestimmungslandprinzip als Grundsatz der Besteuerung festgehalten werden, ein solches aber verbessert werden.

 
Dies nicht zuletzt deshalb, weil pro Jahr allein durch den Mehrwertsteuerbetrug im grenzüberschreitenden Handel wohl ca. 50 Mrd. Euro verloren gehen, so dass den EU-Mitgliedstaaten Einnahmen fehlen, die für Bildung, Infrastruktur und Gesundheitsversorgung verwendet werden könnten.

 
Durch die Vorschläge der EU-Kommission soll sich der grenzüberschreitende Mehrwertsteuerbetrug um 41 Mrd. Euro verringern, die Befolgungskosten für Unternehmer dagegen nur ca. 1 Mrd. Euro betragen.
 

Welche Anforderungen sind langfristig geplant?

Einführung „zertifizierter Steuerpflichtiger”?

Unternehmen, die ihre steuerlichen Pflichten ordnungsgemäß erfüllen, sollten künftig den Status „zertifizierter Steuerpflichtiger” (in Englisch „certified taxable person”) beantragen können. Mit diesem Titel bzw. Status sollten sie diverse Vereinfachungen bei der Abwicklung umsatzsteuerlicher Sachverhalte in Anspruch nehmen können. Als Voraussetzung für die Zertifizierung werden Unternehmen neben der Zahlungsfähigkeit u.a. ein zuverlässiges und funktionierendes – bisher nicht weiter beschriebenes – internes Kontrollsystem nachweisen müssen. Unternehmen, die bereits den Status als „zugelassenen Wirtschaftsbeteiligten für Zollzwecke (AEO)” haben, sollte auch der Status „zertifizierter Steuerpflichtiger” für Umsatzsteuerzwecke zuerkannt werden. In seinen Zustimmungen vom 2. Oktober 2018 zu ECOFIN Doc. 12564/18 vom 28. September 2018 hat der ECOFIN noch erwähnt, dass der Zertifizierte Steuerpflichtige vorerst nicht mehr vorgesehen ist, jedenfalls nicht im unmittelbaren Zusammenhang der Umsetzung der Quick Fixes und als Voraussetzung dazu, darüber aber noch weiter diskutiert wird. Der „zertifizierte Steuerpflichtige” wird aber wohl gemäß Bericht des Europäischen Parlaments vom 25.1.2019 (Plenarsitzungsdokument A8-0028/2019) zum Vorschlag über die Änderung der MwStSystRL weiter verfolgt, wie dies in einem vorherigen Dokument der Europäischen Kommission (ECOFIN Doc. 12564/18 v. 28. September 2018) auch angedeutet wurde, wenngleich zwischenzeitlich einige nationale Finanz­verwaltungen daraus interpretierten, dass ein solcher gänzlich nicht mehr eingeführt werden soll. Für eine Zertifizierung ist nach den bisherigen Plänen ein Antrag zu stellen. Um den Status eines zertifizierten Steuer­pflichtigen zu erhalten, soll – nach EU-einheitlichen Vorgaben – der Antragsteller u.a. (etwa darf der Antrag­­steller keine schweren Straftaten im Rahmen seiner Wirtschaftstätigkeit begangen haben wie z.B. Steuer­hinter­ziehung und Steuerbetrug) insbesondere ein hohes Maß an Kontrolle seiner Tätigkeiten und der Waren­bewegungen nachweisen, entweder mittels eines Systems zur Führung der Geschäfts- und ggf. Be­förderungs­unterlagen, das geeignete Steuerkontrollen ermöglicht, oder mittels eines zuverlässigen oder be­scheinigten internen Prüfpfads. Diesbezüglich wird dann sicherlich das Thema Tax/VAT Compliance Management System, nun auch von der europäischen Seite her kommend, interessant.

   

Steuerpflicht für innergemeinschaftliche Lieferungen und Leistungen

Nach dem von der EU-Kommission vorgelegten Vorschlag soll auf grenzüberschreitende Leistungen in der EU (d.h. innergemeinschaftliche Lieferungen und Dienstleistungen), die derzeit netto entweder durch Steuer­befreiung oder sog. Reverse-Charge Verfahren abgerechnet werden, wieder Umsatzsteuer erhoben werden, und zwar in Höhe des im Bestimmungsland geltenden Steuersatzes. Die Abführung der Umsatzsteuer im Be­stim­mungs­land soll für alle EU-Unternehmen einheitlich über ein Webportal („einzige Anlaufstelle”) in ihrem Hei­matland erfolgen, wie dies heute bereits bei elektronischen Dienstleistungen mit dem Mini-One-Stop-Shop (MOSS) möglich ist. Damit wird nicht nur die umsatzsteuerliche Registrierung in den jeweiligen Bestim­mungs­län­dern vermieden, sondern dort auch die Abgabe von Steuererklärungen, was Verwaltungsaufwand und damit Kosten für Unternehmen reduziert.
 

Ab wann treten die Änderungen ein?

Das endgültige und reformierte Mehrwertsteuersystem soll in den nächsten Jahren schrittweise eingeführt werden. Dabei plant die EU eine Übergangsphase bis 2022. Der ursprünglich noch als zentral vorgesehene Status von Unternehmern als zertifizierte Steuerpflichtige wird derzeit nicht (weiter) verfolgt. Das endgültige Mehrwertsteuersystem soll – ambitioniert – im Jahr 2022 in Kraft treten.
 

Was soll sich bereits ab dem 1. Januar 2020 ändern?

Auf dem Weg dahin hat die EU-Kommission auch einige kurzfristige Maßnahmen vorgeschlagen, sog. Quick Fixes, welche das derzeitige Mehrwertsteuersystem verbessern sollen:      

  • EU-einheitliche Vereinfachungsregelung für Konsignationslager (call-off stocks):

    Die bereits in einigen EU-Ländern – seit Kurzem auch in bestimmten Fällen in Deutschland – vorgesehene Verein­fach­ungs­regelung, national in unterschiedlichen Ausgestaltungen, wonach das grenzüberschreitende innergemeinschaftliche Verbringen von eigener Ware in ein Konsignationslager mit einem anschließenden lokalen Verkauf unter bestimmten Kriterien direkt als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung an den Kunden angesehen werden kann, soll in allen EU-Mitgliedstaaten (einheitlich) für Unternehmer eingeführt werden. Werden die derzeit noch nicht final feststehenden Voraussetzungen erfüllt, werden teils bisher noch notwendige umsatzsteuerliche Registrierungen im Bestimmungsland der Ware beim B2B-Geschäft für EU-ausländische Unternehmer wegfallen.
  • Einheitliche Regelung für die Zuordnung der bewegten Lieferung im Reihengeschäft

    Auch die Kriterien für die Zuordnung der sog. bewegten Lieferung im Reihengeschäft sollen endlich EU-weit vereinheitlicht werden. So soll im Fall der Transportbeauftragung durch den mittleren Unternehmer stets die Lieferung in der Kette an ihn die bewegte, ggf. steuerfreie Lieferung sein, wenn der erste/mittlere Abnehmer seinem Lieferanten das Bestimmungsland der Ware mitteilt und mit einer Umsatzsteuer-Identifikations­nummer auftritt, die nicht vom Warenabgangsland erteilt wurde. Künftig werden also der Transport­beauftragung sowie der Transportverantwortung – was bereits vom deutschen Umsatzsteuer-Anwendungserlass her weitgehend bekannt ist – entscheidendes Gewicht zukommen. Wie dies künftig aber konkret in der Praxis auszugestalten ist, zumal etwa Lieferkonditionen wie Incoterms ® zu dieser Bestimmung unbeachtlich sein sollen, bleibt abzuwarten. 
  • Umsatzsteuer-Identifikationsnummer als materiell-rechtliche Voraussetzung für die Steuerbefreiung:

    Neben den bisher gesetzlich verankerten Voraussetzungen für die Steuerbefreiung einer innergemeinschaft­lichen Lieferung soll künftig auch die im elektronischen Mehrwertsteuer-Informationsaustauschsystem (MIAS) eingetragene Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des Leistungsempfängers als materielle (zusätzliche) Voraussetzung für die Steuerbefreiung der innergemeinschaftlichen Lieferungen eingeführt werden.
     
    In der Praxis werden damit bisherige Diskussionen um die Bedeutung der Umsatzsteuer-Identifikations­nummer, die bisher lediglich als formelle Voraussetzung gilt, obsolet; es dürften etwa keine spätere Versagung der Steuerbefreiung mehr geben und diesbezügliche nationale Zinsrisiken, die derzeit teils leidig bestehen und vielfach die Gerichte beschäftigen.   
  • Nachweis der innergemeinschaftlichen Lieferung

    Ein Schwerpunkt liegt ebenfalls im Bereich des Nachweises der grenzüberschreitenden innergemeinschaftlichen Lieferung. Die EU-Kommission will die Kriterien für die Belege, die für die Beantragung einer Steuerbefreiung von Lieferungen innergemeinschaftlich erforderlich sind, weiter festlegen, z.B. im Sinne einer schriftlichen Erklärung des Erwerbers der Gegenstände, dass die Gegenstände von ihm oder für seine Rechnung von einem Dritten befördert oder versandt wurden (z.B. durch unsere in Deutschland bekannte Gelangensbestätigung), wobei der Bestimmungsmitgliedstaat der Ware anzugeben ist. Es sind zwei sich einander nicht widersprechende Nachweise (z.B. auch der unterzeichnete CMR-Frachtbrief), die die Beförderung oder den Versand bestätigen, beizubringen. Transportiert etwa der Lieferer kann dieser zwei Nachweise erbringen (z.B. CMR-Frachtbrief, Ladepapier, Luftfrachtrechnung, Speditionsrechnung) oder eines dieser Nachweise und einen weiteren Nachweis wie die Versicherungspolice für die Ware oder eine offizielle Bestätigung über Ankunft der Ware, Quittung der Lagerung. Transportiert der Empfänger sollen ein Verbringensnachweis und 2 der vorgenannten Nachweise erbracht werden.

     

Was bedeutet das für Unternehmen?

Unternehmen, die innerhalb der EU grenzüberschreitend handeln oder Dienstleistungen erbringen, werden von den Neuregelungen in den nächsten Jahren besonders betroffen sein. Sie sollten sich bereits heute mit den Vorschlägen vertraut machen und möglichen Anpassungsbedarf in ihren Systemen und Prozessen prüfen, z.B. zur Erfassung und Prüfung von Umsatzsteuer-Identifikationsnummern, von Kreditoren und Debitoren, sowie eine Durchsicht der verwendeten Belegnachweise vornehmen. Dies kann zum Anlass genommen werden, bereits heute eine Vielzahl an diversen Belegen, die verwendet werden und zu deren Prüfung Mitarbeiter geschult werden müssen, einzudämmen und sich auf ein handhabbares Maß an Formen und Vielzahl der Belegnachweise zu verständigen.  
 
Damit werden mit Blick auf die umsatzsteuerliche Compliance interne Kontrollsysteme an dieser Stelle ebenfalls immer wichtiger.
 
Ein zentraler und lang erwarteter Bestandteil der Quick Fixes sind die Regelungen zu Reihengeschäften. Der neue Art. 36a MwStSystRL enthält aber nur Aussagen zu Reihengeschäften innerhalb der EU und auch nur zu Fällen, bei denen ein Zwischenerwerber den Transport beauftragt. Zu Reihengeschäften mit Drittlandsbezug gibt es ebenso wenig Regelungen wie zu Fällen, bei denen der erste Lieferer oder der letzte Abnehmer den Transport beauftragt. Die Unternehmen müssen nun jedenfalls die Zeit bis zum Jahresende nutzen, um ihre Reihengeschäfte mit den bisherigen Konditionen dazu zu identifizieren und ihre Prozesse an die neuen Regelungen anzupassen.

 

Auch wenn die Umstellung in den nächsten Jahren zunächst mit einem erheblichen Aufwand verbunden sein wird, besteht die Hoffnung, dass es nach der Reform einfachere und stärker harmonisierte Verfahren geben wird, dass sich die Rechnungsstellung und die Einhaltung umsatzsteuerlicher Vorschriften für die Unternehmen vereinfachen.    

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