Die europäische Verbandsklage bringt keine Verhältnisse wie in den USA – Ein gesteigertes Klagerisiko bringt sie dennoch

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veröffentlicht am 1. Juli 2021 | Lesedauer ca. 3 Minuten

    
Im Dezember letzten Jahres wurde die EU-Richtlinie zur europäischen Verbandsklage im Amtsblatt der EU veröffentlicht. Die Mitgliedstaaten, also auch Deutschland, müssen dafür Sorge tragen, dass ab Mitte 2023 Verbände gegen Unternehmen klagen können, die gegen EU-Recht verstoßen. Das bedeutet, den betreffenden Unternehmen bleibt nur noch kurze Zeit, sich auf die neuen Risiken einzustellen.
 

  

  

   

    

Sammelklagen im Trend

Aufgrund der Covid-19 Pandemie hat der Vertrieb im Internet erheblich an Umfang zugenommen. Er ist öfter als der stationäre Vertrieb ein Massengeschäft. So betrachtet hat die Pandemie vielen Unternehmen neue Chancen eröffnet. Genau hierin sieht die EU aber ausweislich der Erwägungen, die im Einleitungsteil der Richtlinie wiedergegeben sind, erhebliche Risiken für die Verbraucher. Vielleicht wurde auch deswegen die Richtlinie noch gegen Ende des Jahres 2020 veröffentlicht.

   

Sammelklagen liegen seit der Jahrtausendwende im Trend. Nach dem Unterlassungslagengesetz wurde zuletzt im Jahr 2018 die Musterfeststellungsklage eingeführt. Nun folgt die europäische Verbandsklage. Drohen uns in Europa nunmehr US-amerikanische Verhältnisse? Drohen gar Schadensersatzansprüche in Millionenhöhe wie man sie aus den USA kennt?

    

Bislang keine Klageindustrie

Allen Verfahren, auch der im nächsten Jahr zu erwartenden europäischen Verbandsklage, ist gemeinsam, dass sie nur von sogenannten qualifizierten Verbänden erhoben werden dürfen. Das sind nach dem Willen der EU solche Vereinigungen, die nicht vorrangig nach Gewinn streben, sondern im Interesse ihrer Mitglieder die Einhaltung der geltenden Rechtsvorschriften sicherstellen. So soll einem möglichen Missbrauch der Klageverfahren der Riegel vorgeschoben werden. Das scheint auch geglückt zu sein und die Anzahl der geführten Verfahren hält sich bislang in Grenzen.

  

Schaut man in die Liste der bisher für Unterlassungsklagen qualifizierten Einrichtungen, so stellt man fest, dass der Großteil Mieterverbände und Verbraucherschutzzentralen sind. Sie haben einige für Verbraucher vorteilhafte Entscheidungen erstritten. Soweit erkennbar ist eine Klageindustrie, wie es in den USA manchen Anwaltskanzleien nachgesagt wird, aufgrund des Unterlassungsklagengesetzes nicht entstanden.

   

Musterfeststellungsklagen in der Praxis

Die Anzahl an Musterfeststellungsklagen ist ebenfalls überschaubar. Stand Mitte Juni diesen Jahres waren nur 15 solcher Verfahren anhängig. Der Großteil dieser Verfahren wird gegen Sparkassen geführt, gefolgt von den allseits bekannten Verfahren im Zusammenhang mit dem Dieselskandal. Um in den letztbenannten Verfahren eine drohende Verjährung von Ansprüchen der Autokäufer zu unterbrechen, war die Musterfeststellungsklage noch kurz vor Jahresende 2018 eingeführt worden.

  

Angesichts der überschaubaren Anzahl an Musterfeststellungsklagen scheint es kein rechtes Bedürfnis für Sammelklagen zu geben. Doch man kann davon auszugehen, dass der Schein trügt. Zum einen ist die Musterfeststellungsklage nach juristischem Zeitverständnis ein recht neues Instrument. Das ist einer der Gründe, warum davon auszugehen ist, dass sich die Verfahren in Zukunft schneller verdoppeln werden. Es ist wohl auch damit zu rechnen, dass der Wirecard-Skandal zu einer gewissen Anzahl an Musterfeststellungsklagen führen wird. Und aus der Anzahl an geführten Musterfeststellungsklagen darf nicht zwingend geschlossen werden, dass es kein Bedürfnis für Sammelklagen an sich gibt.

     

Europäische Verbandsklage schafft Abhilfe

Die Musterfeststellungsklage als solche ist, wie bereits ihr Name sagt, nur eine Feststellungsklage. Sie stellt lediglich Rechtsverstöße als solche fest, stellt sie aber nicht ab. Genau deswegen soll nun die europäische Verbandsklage kommen. Sie stellt nicht nur abstrakte Rechtsverstöße fest, sondern soll auch explizit eine Abhilfe schaffen. Abhilfe in diesem Sinn kann zum Beispiel der Zuspruch eines Schadensersatzes an den oder die Kläger sein, oder aber ein herabgesetzter Preis, oder aber auch die Rückgängigmachung des Kaufpreises.

  

Genau hierin liegt ein erhebliches Risiko für betroffene Unternehmen. Denn im Falle eines Rechtsverstoßes können nun durch die Sammelwirkung der Klage erhebliche, gegebenenfalls sogar existenzbedrohende Kosten auf ein Unternehmen zukommen. Ja, diese Ansprüche könnten sich, insbesondere beim Massengeschäft, zur Millionenbeträgen summieren.

    

US-amerikanische Verhältnisse nicht zu befürchten

Doch US-amerikanische Verhältnisse sind durch das zu erwartende Gesetz nicht zu befürchten. Denn die aus unserer europäischen Sicht immensen Schadensersatzbeträge, die Verbrauchern in den USA zugesprochen werden, stellen keine reinen Schadensersatzansprüche dar. Sie sind vielmehr Strafschadensersatzansprüche, Punitive Damages. Sie sollen nicht nur Schaden ersetzen, sondern durch ihre immense Höhe auch dazu beitragen, dass das verurteilte Unternehmen in Zukunft derartige Verstöße unterlässt. Nicht nur stellt die Richtlinie klar, dass die EU solche Strafschadensansprüche nicht wünscht, sie würden hier in Deutschland auch gegen den ordre public, die öffentliche Ordnung verstoßen. Denn nach unserem Verständnis ist die Strafverfolgung und Bestrafung dem Staat, also der Bundesrepublik, vorbehalten. Ein Urteil, das Punitive Damages zuspricht, ist in Deutschland deswegen nicht vollstreckbar.

    

Dennoch liegen im neuen Klageverfahren immense Risiken, insbesondere für Unternehmen, die im Massengeschäft tätig sind. So ist vorstellbar, dass eine unzutreffende Bewerbung eines Produktes zu immensen Schadensersatzforderungen führt.

   

Selbstverständlich muss das betroffene Unternehmen auch im Falle der neuen infolge der Richtlinie zu erwartenden Klageverfahren erst einmal das Gerichtsverfahren verlieren und verurteilt werden. Und selbstverständlich werden solche Verfahren von den betreffenden Anwälten sehr sorgfältig betrieben werden, auf beiden Seiten des Verfahrens. Aber ein zusätzliches Risiko wird das neue Klageverfahren dennoch schaffen, und dieses Risiko gilt es rechtzeitig zu beachten.

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