Die krankheitsbedingte Kündigung

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Der Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung bereitet Unternehmen in der Praxis häufig Schwierigkeiten. Mit Urteil vom 20. November 2014 (2 AZR 664/13) hat das Bundesarbeitsgericht noch einmal deutlich die Voraussetzungen für eine wirksame krankheitsbedingte Kündigung dargelegt:
 
Die Prüfung der sozialen Rechtfertigung einer ordentlichen Kündigung, die auf eine lang anhaltende Erkrankung gestützt wird, ist in 3 Stufen vorzunehmen. Auf der 1. Stufe ist eine negative Prognose für den voraussichtlichen Gesundheitszustand des erkrankten Arbeitnehmers erforderlich. Hierbei müssen bezogen auf den Kündigungszeitpunkt und die bisher ausgeübte Tätigkeit objektive Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis einer weiteren, längeren Erkrankung rechtfertigen. Auf der 2. Stufe gilt es seitens des Unternehmens darzulegen, dass die prognostizierten Fehlzeiten zu einer erheblichen Beeinträchtigung betrieblicher Interessen führen. Auf der 3. Stufe muss eine Interessenabwägung erfolgen mit dem Ergebnis, dass die betrieblichen Beeinträchtigungen zu einer billigerweise nicht mehr hinzunehmenden Belastung des Arbeitgebers führen.
 

Stufe 1: Negative Prognose

Eine negative Prognose ist indiziert, wenn der Arbeitnehmer dauerhaft außer Stande sein wird, die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Der dauernden Leistungsunfähigkeit steht die völlige Ungewissheit der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit gleich. Eine solche Ungewissheit besteht, wenn in absehbarer Zeit nicht mit einer positiven Entwicklung gerechnet werden kann. Als absehbar ist in diesem Zusammenhang ein Zeitraum von bis zu 24 Monaten anzusehen. 
 

Stufe 2: Erhebliche Beeinträchtigungen betrieblicher Interessen

Liegt die dargelegte Ungewissheit oder die feststehende Unmöglichkeit der Arbeitsleistung vor, führt dies grundsätzlich zu einer erheblichen Beeinträchtigung betrieblicher Interessen. Diese besteht dann nämlich darin, dass der Arbeitgeber auf unabsehbare Zeit gehindert ist, sein Direktionsrecht auszuüben und die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers abzurufen. In einem solchen Fall fehlt es in aller Regel an einem schutzwürdigen Interesse des Arbeitnehmers an der Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses (BAGE 123,234=NZA 2008, 173 Rn. 28). 
 

Stufe 3: Interessenabwägung

Auch in den Fällen, in denen der Arbeitnehmer auf Dauer wegen Krankheit die geschuldete Arbeitsleistung nicht mehr erbringen kann, ist eine Kündigung nach dem das gesamte Kündigungsrecht beherrschenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nur gerechtfertigt, wenn sie zur Beseitigung der eingetretenen Vertragsstörung erforderlich ist. Zu den die Kündigung bedingenden Tatsachen gehört deshalb das Fehlen angemessener milderer Mittel zur Vermeidung künftiger Fehlzeiten (BAG NZA 2015, 612). Mildere Mittel in diesem Sinne sind insbesondere die Umgestaltung des bisherigen Arbeitsbereichs oder die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auf einem anderen – leidensgerechten – Arbeitsplatz. Dies schließt in Krankheitsfällen die Verpflichtung des Arbeitgebers ein, einen leidensgerechten Arbeitsplatz durch Ausübung seines Direktionsrechts „freizumachen” und sich gegebenenfalls um die erforderliche Zustimmung des Betriebsrates zu bemühen. Scheidet eine Umsetzungsmöglichkeit aus, kann sich im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung auch eine Änderungskündigung als vorrangig erweisen.
 

Durchführung eines BEM, § 84 SGB IX als Wirksamkeitsvoraussetzung

Die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) gem. § 84 SGB IX ist keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für eine krankheitsbedingte Kündigung. Dennoch sollte auf die Durchführung eines BEM im Zweifel nicht verzichtet werden. Denn § 84 SGB IX konkretisiert den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.
 
Ist der Arbeitgeber nicht zur Durchführung eines BEM verpflichtet (was bei der Kündigung von Dauerkranken kaum vorkommen wird), kann er sich zunächst darauf beschränken zu erklären, für den Arbeitnehmer bestehe keine alternative Beschäftigungsmöglichkeit. Diese pauschale Erklärung umfasst den Vortrag, Möglichkeiten zur leidensgerechten Anpassung des Arbeitsplatzes seien nicht gegeben. 
 
Hat der Arbeitgeber entgegen den Vorgaben des § 84 SGB IX ein BEM unterlassen, kann dies zu einer Erweiterung seiner Darlegungslast führen. Der Arbeitgeber muss nun direkt umfassend und konkret vortragen, warum weder der weitere Einsatz des Arbeitnehmers auf dem bisherigen Arbeitsplatz noch dessen leidensgerechte Anpassung oder Veränderung möglich gewesen seien und der Arbeitnehmer auch nicht auf einem anderen Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit hätte eingesetzt werden können, warum also ein BEM keinesfalls dazu hätte beitragen können, neuerlichen Krankheitszeiten des Arbeitnehmers spürbar vorzubeugen und so das Arbeitsverhältnis zu erhalten.  
 
Nicht verlangt werden kann vom Arbeitgeber, dass er einen zusätzlichen, bisher nicht vorhandenen und nicht benötigten Arbeitsplatz für den Arbeitnehmer dauerhaft einrichtet.
 
Es ist ratsam, auf die Durchführung eines BEM nach § 84 SGB IX auch dann nicht zu verzichten, wenn keine leidensgerechten Einsatzmöglichkeiten vorhanden sind. Die spätere Darlegung in einem Gerichtsprozess ist erheblich leichter, wenn die Durchführung des Betrieblichen Eingliederungsmanagements inhaltlich dargelegt werden kann.
 
zuletzt aktualisiert am 21.08.2015
 
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