„Class Actions“ made in Europa: Worauf sich Unter­nehmer künftig einstellen müssen

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veröffentlicht am 26. März 2021 | Lesedauer ca. 2 Minuten

  

​Der deutsche Gesetzgeber hat es bereits mit der Musterfeststellungsklage vorgemacht und ein Werkzeug geschaffen, das es sog. „qualifizierten Einrichtungen“ ermöglicht, stellvertretend für eine Vielzahl von Betroffenen Rechtsstreitigkeiten im Rahmen sog. „Musterverfahren” zu führen. Auch auf europäischer Ebene wurde mit der Richtlinie (EU) 2020/1828 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2020 ein entsprechendes Werkzeug implementiert, das die nationalen Gesetzgeber bis spätestens zum 25. Dezember 2022 in nationales Recht umsetzen müssen. Ab dem 25. Juni 2023 sollen die Vorschriften dann angewendet werden.

   

  

   
 

Die sog „europäische Verbandsklage” oder auch „Sammelklage” soll es qualifizierten Einrichtungen ermögli­chen, in den Mitgliedstaaten gerichtlich sowohl auf Unterlassungsentscheidungen aber auch auf Abhilfe­ent­schei­dungen zu klagen.
 
Unterlassungsentscheidungen sind durch qualifizierte Einrichtungen wie Verbraucherschutzverbände bereits seit Langem zulässig; und zwar nach dem Gesetz über Unterlassungsklagen bei Verbraucherrechts- und anderen Verstößen oder auch seit Ende 2018 im Rahmen der zivilprozessualen Musterfeststellungsklage. Dahingegen unterscheidet sich die europäische Verbandsklage bzw. Sammelklage von den bisher zulässigen Klageformen gravierend.
 
So sieht Art. 7 Absatz 4 lit. b) i.V.m. Art. 9 der Richtlinie ausdrücklich die Möglichkeit vor, das qualifizierte Ein­richtung auf eine Abhilfeentscheidung klagen können. Damit ermöglicht der europäische Gesetzgeber Sammel­klagen, die bspw. Schadensersatz, Reparatur, Ersatzleistung, Preisminderung, Vertragsauflösung oder Erstattung des gezahlten Preises zum Gegenstand haben.
 
Die europäische Sammelklage räumt den sog. „qualifizierten Einrichtungen” künftig die Möglichkeit ein, nicht nur auf bloße Feststellung sondern auch auf Leistung zu klagen. Diese Tatsache wiederum macht das Instrument der Sammelklage für eine Vielzahl von Akteuren – die sog. „Klageindustrie” –, interessant, da die Betreibung entsprechender Verfahren nun auch wirtschaftlich interessanter ist.
 
Angefangen bei den herkömmlichen Prozessfinanzieren über finanzstarke internationale Law Firms, die auf den Bereich Verbraucherklagen spezialisiert sind, hat die europäische Sammelklage das Potenzial, einen neuen Markt im Bereich der Klageindustrie gegen Gewinnbeteiligung zu schaffen.
 
Die Möglichkeit vermag zudem erheblichen Druck auf Unternehmer auszuüben, da nunmehr auch in Fällen, in denen ansonsten die gerichtliche Geltendmachung mit Blick auf die Verfahrenskosten außer Verhältnis stand, die Bereitschaft sich einem entsprechenden Verfahren ohne Kostenrisiken anzuschließen steigen dürfte.
 
Auch, wenn die Richtlinie den Mitgliedsstaaten vorschreibt Maßnahmen zu ergreifen, um derartige aus rein wirtschaftlichen Motiven betriebene Sammelklagen zu verhindern, dürfte das in der Praxis schwer zu kontrollieren sein.
 
Darüber hinaus hat der europäische Gesetzgeber in Art. 18 der Richtlinie festgeschrieben, dass unter bestimmten Umständen die Parteien auch wechselseitig einen Anspruch auf Offenlegung von Beweismitteln gegen die jeweils andere Partei haben – mit der Folge, dass das Gericht künftig auch der nicht beweisbelaste­ten Partei in weit größerem Umfang die Vorlage von Dokumenten und Beweismittel auferlegen können wird, als das bisher der Fall ist. Inwieweit hierdurch die Grenzen des nationalen deutschen Prozessrechts zur verbo­tenen Ausforschung ausgehöhlt werden, bleibt abzuwarten.
 
Der europäische Gesetzgeber hat mit der europäischen Verbandsklage bewusst ein Instrument geschaffen, das bisher in dieser Form überwiegend aus amerikanischen Filmen bekannt sein dürfte. Umso mehr wird künftig der Fokus darauf zu legen sein, welche prozessualen Möglichkeit und prozesstaktischen Erwägungen für Unternehmer bestehen, um mit derartigen potentiellen Klage-Tsunamis umzugehen, die schnell ein existenzbedrohendes Ausmaße erreichen können.

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Frank J. Bernardi

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht

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