Gerichtsverhandlung 2.0 – Virtuelle Gerichtsverhandlung nehmen in Deutschland stark zu

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veröffentlicht am 15. Juni 2021 | Lesedauer ca. 2 Minuten

  

Nichts hat die Digitalisierung in Deutschland so vorangetrieben, wie die Covid-19-Pandemie. Plötzlich muss alles online erfolgen, egal ob man will oder nicht. Ob Arbeit, Schule oder eben auch in gerichtlichen Verfahren. Videokonferenzen, die bis zum Beginn des Lockdown eher die nützliche Ausnahme waren, sind jetzt beinahe nirgendwo mehr wegzudenken.

 

  

      

Tatsächlich existierten die technischen (und rechtlichen) Möglichkeiten schon lange, jedoch bestand keine zwingende Notwendigkeit sie zu nutzen und die erforderliche Ausstattung flächendeckend und in ausreichendem Umfang anzuschaffen.

 

Bereits mit dem Gesetz zur Intensivierung des Einsatzes von Videokonferenzenztechnik in gerichtlichen und staatsanwaltschaftlichen Verfahren vom 25. April 2013 wurde der § 128a in die deutsche Zivilprozessordnung (ZPO) aufgenommen. Er sieht vor, dass das Gericht den Verfahrensbeteiligten wie auch Zeugen oder Sachverständigen auf Antrag oder von Amts wegen gestatten kann, sich während einer mündlichen Verhandlung an einem anderen Ort aufzuhalten und dort Verfahrenshandlungen vorzunehmen. Dann muss die Verhandlung zeitgleich in Bild und Ton an diesen Ort und in das Sitzungszimmer übertragen werden.

 

Dieses vielseitig einsetzbare Instrument wurde jedoch lange Zeit verschmäht, da keine Notwendigkeit bestand hierauf zurückzugreifen. Weder verfügten die Gerichte über die erforderliche Ausstattung, um diese Möglichkeit in größerem Umfang zu nutzen, noch war es gang und gäbe, dass an jedem Computerbildschirm eine Kamera nebst Mikrofon angeschlossen war. Das hat sich seit Beginn des Jahres 2020 schlagartig geändert. Die Gerichte haben aufgerüstet und gleichsam auch die weiteren Prozessbeteiligten.

 

In der Realität sitzt der Richter meist in seinem Dienstzimmer oder dem Verhandlungssaal während die Prozessvertreter sich aus ihren Kanzleiräumen einwählen und die Verhandlung beginnt. Während zu Beginn der Pandemie Anfang des Jahres 2020 zunächst von den Gerichten mit Terminaufhebungen und weitläufigen Terminverlegungen gearbeitet wurde, hat man Mitte des Jahres 2020 vermehrt angefangen von dem Instrument des § 128a ZPO Gebrauch zu machen, wenn die Verfahrensbeteiligten dem zustimmten.

 

Ob dieses Instrument im konkreten Einzelfall vorteilhaft ist oder doch im Hinblick auf prozesstaktische Erwägungen eher auf einen Präsenztermin hinzuwirken ist, ist inzwischen auch Bestandteil des Werkzeugkastens von Prozessanwälten geworden. Es muss immer im Einzelfall abgewogen werden, ob sich aus prozesstaktischen Erwägungen eine Videogerichtsverhandlung überhaupt eignet. So kann es in einem Verfahren, das reine Rechtsfragen betrifft, eher in Betracht kommen von der Möglichkeit des § 128a ZPO Gebrauch zu machen, als in einem Verfahren, das eine Vielzahl von Beweiserhebungen wie Zeugenvernehmungen oder Sachverständigenbefragungen erfordert.

 

Auch muss abgewogen werden, ob der Einsatz des Instruments im konkreten Fall geeignet ist, die Interessen des Mandanten bestmöglich zu vertreten. So gehört das Auftreten von technischen Problemen und von Schwankungen der Internetverbindung leider oftmals noch zum Alltag.  Es stellen sich Folgefragen, beispielsweise wie sichergestellt werden kann, dass die Nutzung dieses Instruments nicht missbraucht wird, um nachteilige Folgen wie beispielsweise versäumte Prozesshandlungen doch noch vornehmen zu können oder sie dadurch nachträglich zulässig zu machen.

 

Auf der anderen Seite stellt sich die Frage, in welchem Umfang und unter welchen Umständen im Ernstfall ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zulässig und erfolgreich ist und auf welche Weise das unverschuldete Versäumen der Prozesshandlung, die Teilnahme am Gerichtstermin, glaubhaft gemacht werden soll.

 

Es ist davon auszugehen, dass sich insbesondere hinsichtlich derartiger Verfahrensfragen schnell auch eine instanzgerichtliche Rechtsprechung entwickeln wird, so wie sie sich beispielsweise hinsichtlich der Nutzung des elektronischen Anwaltspostfaches entwickelt hat. Der Prozessanwalt sollte daher stets Vor- und Nachteile der Nutzung dieses Instrumentes im konkreten Einzelfall abwägen und auf dieser Grundlage seine Empfehlung an den Mandanten aussprechen.

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Marvin Müller-Blom

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht

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