Eckstein, Eckstein, alles muss gemessen sein: Energiesammelgesetz zur Messung und Schätzung EEG-umlageentlasteter Verbräuche

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veröffentlicht am 3. Dezember 2018

 

Im Rahmen der umfangreichen energierechtlichen Gesetzesänderungen im EEG, KWKG und EnWG durch das sog. „Energiesammelgesetz” sollen unter anderem die aufgrund ihrer Bedeutung für die EEG-Umlageentlastung für Eigenstrom und stromkostenintensive Unternehmen wirtschaftlich besonders bedeutenden Regelungen für die Messung und Schätzung von Verbräuchen Dritter in das EEG eingeführt werden. Dabei müssen sich stromkostenintensive Unternehmen  und Eigenstromanlagenbetreiber aufgrund zahlreicher auslegungsbedürftiger Gesetzesbegriffe und neuer Testatspflichten voraussichtlich auf einen erhöhten Beratungs- und Prüfungsbedarf durch spezialisierte Wirtschaftsprüfer und Rechtsanwälte einstellen.


Aus 100 Tagen wird eine Energiesammlung

Nachdem aus dem 100-Tage-Gesetz das Energiesammelgesetz geworden ist und bisher nur verschiedene Bruchstücke eines Artikelgesetzes im Umlauf waren, sind jetzt in kurzer Folge ein Referentenentwurf (Stand: 31. Oktober 2018) ein „Gesetzentwurf der Bundesregierung” (Stand: 2. November 2018) und ein „Gesetzentwurf der Fraktionen CDU/CSU und SPD” (BT-Drs. 19/5523 vom 6. November 2018) mit über 20 Artikeln zur Änderung des EEG, KWKG, EnWG, WindSeeG und SeeAnlG nebst der zugehörigen Verordnungen veröffentlicht worden. Dabei wird es höchste Zeit, dass das offiziell für nach der Hessenwahl (27. Oktober 2018) angekündigte Verfahren voranschreitet. Sowohl das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) als auch die stromkostenintensive Industrie stehen bezüglich der im Dezember zu erlassenden EEG-Umlagebegrenzungsbescheide für das Kalenderjahr 2019 unter wirtschaftlichem Druck. Genauso geht es Netzbetreibern und KWK-Eigenstromanlagenbetreibern bezüglich der seit dem 1. Januar 2018 immer weiter auflaufenden vollen EEG-Umlage für neue KWK-Eigenstromanlagen. Spätestens wenn hier Liquiditätsengpässe mitursächlich für Insolvenzen werden, hat der Gesetzgeber nicht nur einen Reputationsschaden, sondern auch ein staatshaftungsrechtliches Problem. Nachdem sich die Regierungskoalition über Monate hinweg (auch) im Bereich der Energiepolitik als handlungsunfähig gezeigt hat, soll das Gesetz nunmehr zügig die parlamentarischen Hürden nehmen und bis Ende Dezember 2018 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht werden. Die erste Lesung im Bundestag ist für die nächsten Tage geplant. Der Bundesrat soll auf seiner letzten Plenarsitzung in diesem Jahr, am 14. Dezember 2018, über das Gesetz entscheiden.

 

Angesichts des Umfangs, der intransparenten Vorabstimmung auf Ministerialebene und einer Vielzahl umstrittener Novellierungsvorschläge erscheint dies in der jetzigen Form unwahrscheinlich.

 

 

Novellierung des Energierechts


 

Messregelungsbedarf für Eigenstrom und Härtefallausgleich

Von besonderer Bedeutung ist hier die Novellierung des § 62a EEG n.F. . Mit der Norm sollen einerseits Mess- und Zuordnungskriterien für die EEG-Umlageentlastung stromkostenintensiver Unternehmen nach §§ 63 EEG 2017 ff. (sog. „Besondere Ausgleichsregelung”) geschaffen werden. Andererseits muss eine Koordinierung mit den Messanforderungen für die EEG-Umlageentlastung selbst erzeugten und verbrauchten Stroms nach § 61a – § 61k EEG 2017 (sog. „EEG-Eigenstromprivileg”) vorgenommen werden. Darüber hinaus verweist auch der neue § 26c KWKG n.F., § 19 Abs. 2 Satz 15 StromNEV und § 17f Abs. 1 letzter Satz EnWG n.F. auf § 62a EEG n.F., sodass die neuen Mess- und Schätzregelungen auch auf die KWKG-Umlage, privilegierte Netznutzungsentgelte nach § 19 StromNEV und die Offshore-Haftungsumlage Anwendung finden.

 

Nach der Besonderen Ausgleichsregelung können stromintensive Unternehmen nach § 64 EEG 2017 zur Sicherstellung der Wettbewerbsfähigkeit teilweise von der EEG-Umlage befreit werden, wobei jedoch nur selbst verbrauchte Strommengen entlastet werden dürfen und somit eine Abgrenzung von an Dritte weitergeleiteten Strommengen erfolgen muss.

 

Das BAFA hatte Anfang dieses Jahres mit der Ankündigung zu einer geänderten Verwaltungspraxis und Aufforderung zur Übermittlung entsprechender Daten für erhebliche Irritationen gesorgt. Dabei wollte es auf einmal viele seit langen Jahren nicht als Weiterleitung behandelte Stromverbräuche, so z.B. von Dienstleistern (wie z.B. Reinigungsfirmen) und Werkunternehmern (wie z.B. Baufirmen) als Drittverbräuche der EEG-Umlageentlastung entziehen und über den Hebel der Messpflicht durch Entzug der gesamten EEG-Umlageentlastung sanktionieren. Dabei stellte sich neben der Frage einer gesetzlichen Grundlage für die Änderung der Verwaltungspraxis vielfach die Frage der Verhältnismäßigkeit angesichts des geringen Umfangs derartiger Stromverbräuche.

 

Eckstein, Eckstein, alles muss gemessen sein …

§ 62a Abs. 1 EEG n.F. sieht nun für alle Stromverbräuche, die nicht mit der höchsten EEG-Umlage belastet sind (vgl. § 62a Abs. 2 Nr. 1 EEG n.F.), die Pflicht zur eichrechtskonformen Messung vor. Damit wird erstmals auch für die EEG-Umlageentlastung stromkostenintensiver Unternehmen ausdrücklich eine Pflicht zur eichrechtskonformen Messung aller Teilstrommengen eingeführt.

 

 

Regelungsstruktur des §62a EEG RegE 

 

Schätzen nach Eschborner Landrecht

Dem Problem der Unverhältnismäßigkeit der Messkosten für Bagatellstromverbräuche will der Gesetzgeber durch eine Regelung zur Schätzung von Bagatellstrommengen Rechnung tragen (§ 62a Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 – 5 EEG n.F.). Dabei strotzt der Regelungsentwurf aber nur so von unbestimmten Rechtsbegriffen. Insofern wird dem sog. „Eschborner Landrecht” Vorschub geleistet. Tatsächlich werden unbestimmte Rechtsbegriffe durch die Verwaltungspraxis des in Eschborn beheimateten BAFA ausgefüllt. Zwar unterliegt die Verwaltungspraxis der gerichtlichen Kontrolle, allerdings besteht in der Praxis gleichwohl eine hohe Kontrollhürde, da die stromkostenintensiven Unternehmen dauerhaft auf ein positives Verhältnis zur Genehmigungsbehörde angewiesen sind.

 

Eine Schätzung darf nur vorgenommen werden, wenn die messtechnische Abgrenzung technisch unmöglich oder mit unvertretbarem Aufwand verbunden und die Ansetzung des höchstmöglichen Umlagesatzes wirtschaftlich unzumutbar ist (§ 62 Abs. 2 Nr. 2 EEG n.F.). Offen bleibt im Gesetz dabei aber die Frage, ab wann das Vorliegen eines unvertretbaren Aufwands zur Errichtung einer den eich- und messrechtlichen Vorschriften entsprechenden Messeinrichtung angenommen werden kann. An eine schätzweise Strommengenermittlung sind strenge Anforderungen geknüpft, die das betroffene Unternehmen verpflichten, die Schätzung in einer Weise vorzunehmen, die eine Besserstellung gegenüber einer geeichten Messung verhindert. Zudem fallen zusätzliche Meldepflichten im Rahmen der Endabrechnung an, die die Erfüllung aller relevanten Voraussetzungen für die Schätzung und deren rechtskonforme Durchführung beinhalten.

 

Privilegierung von Bagatell- und verkehrsüblichen Drittverbräuchen

Ebenso sieht § 62a Abs. 3 EEG n.F. eine Eigenverbrauchsfiktion für Strommengen vor, die geringfügig sind, verkehrsüblicherweise nicht gesondert erfasst werden oder auf dem Betriebsgelände von einem Dritten aufgrund einer gewerblichen (Werk- oder Dienst-)Leistungsbeziehung verbraucht werden. Hiermit könnte vor allem die im Bereich der stromkostenintensiven Unternehmen bestehende Praxis des Einsatzes von ausländischen Werkunternehmern (z.B. in der Lebensmittel- und Stahlindustrie), Kleinstverbräuche wie von Besuchern und Geschäftspartnern sowie zeitabschnittsweiser Stromverbrauch (z.B. im Rahmen von Bauprojekten) einer praxisgerechten Lösung zugeführt werden. Allerdings führen das Erfordernis einer kumulativen Erfüllung aller Tatbestandselemente sowie die zahlreichen unbestimmten Rechtsbegriffe zu erheblicher Rechtsunsicherheit. Der Gesetzgeber hat deshalb in der Gesetzesbegründung versucht, durch ganz unterschiedliche Konkretisierungen zum Umfang der Bagatell-Strommenge, zur Zeitdauer bis hin zu einzelnen Anwendungsfällen, wie Teekochen, E-Mobil-Ladestrom, Beherbergungs-, Transport- und Reinigungsdienstleistungen, selber Auslegungshinweise zu geben. Dabei dokumentiert die breite Spannbreite jedoch nur die fehlende politische Einigung zu einem konkreten, quantifizierbaren Rahmen, sodass es den Gerichten vorbehalten bleibt, hier dem Einzelfall angemessene Festlegungen zu treffen.

 

EEG-Eigenstromprivileg: Des einen Leid, des anderen Freud

Wird mit den neuen Zurechnungs- und Schätzregeln im Bereich der besonderen Ausgleichsregelung nur die ohnehin schon bestehende Praxis kodifiziert, führt die Regelung im Bereich des EEG-Eigenstromprivilegs zu einer erheblichen Erweiterung des bisher restriktiven Rahmens. So öffnet § 62a EEG n.F. für das EEG-Eigenstromprivileg (§§ 61 – 61l EEG n.F.) den bisher restriktiven Rahmen. Insbesondere in Bezug auf die harsche Sanktion eines kalenderjährlichen Eigenstromprivileg-Entzugs (§ 61g EEG 2017) werden Eigenstromanlagenbetreiber sich jetzt voraussichtlich häufig auf die neuen Zurechnungsfiktionen des § 62a Abs. 3 EEG n.F. berufen. Auch die strengen Messregelungen des § 61h EEG 2017 werden mit § 62a Abs. 6 EEG n.F. in das einheitliche Mess- und Schätzregime überführt und durch eine ausdrückliche Bezugnahme auf § 62a Abs. 2 Nr. 2 EEG n.F. um die Möglichkeit ausnahmsweiser Schätzung des viertelstunden-genauen Eigenverbrauchs erweitert.

 

Besser schätzen oder messen?

Durch  die Schätzgrundsätze (§ 62a Abs. 4 EEG n.F.) soll sichergestellt werden, dass die Schätzung nicht zu einer höheren EEG-Umlageentlastung führt, als eine Messung (§ 62a Abs. 4 Satz 3 EEG n.F.). Insbesondere soll dies durch  eine rechnerische Ermittlung unter Zugrundelegung der maximalen Verbrauchsleistung und der maximalen Jahresvolllaststunden gewährleistet  werden (§ 62a Abs. 4 Satz 4 EEG n.F.). Da tatsächlich kaum eine Stromverbrauchsanlage ständig in Volllast und ununterbrochen betrieben wird, führt die Ermittlungsregel des § 62a Abs. 4 Satz 4 EEG n.F. immer zu höheren Stromverbräuchen als die Messung. Damit führt die Schätzung EEG-umlagebelasteter Strommengen immer zu einer höheren EEG-Umlagebelastung als die Messung. Durch die Einschränkung auf Strommengen, für die im Vergleich der höchste EEG-Umlagesatz anzuwenden ist, wird sichergestellt, dass Satz 4 nicht zur Schätzung EEG-entlasteter Strommengen angewendet werden kann.

 

Angesichts der umfassenden Dokumentationspflichten zur gewählten Schätz- und Ermittlungsmethodik (§ 62a Abs. 5 EEG n.F.) ist jeder Missbrauch von Schätzmethoden zur Erzielung, gegenüber der Messung, erhöhter EEG-Umlageentlastung ausgeschlossen. Damit muss jedes Unternehmen eine Abwägung treffen, ob der wirtschaftliche Nachteil der Schätzung höher ist als die Kosten einer Messung. Insofern konkretisiert § 62a Abs. 4 EEG n.F. den unbestimmten Rechtsbegriff des „unvertretbaren Messaufwands” aus § 62a Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative EEG n.F.

 

Und wer noch nicht gemessen oder geschätzt hat, den fange ich …

Ab dem 1. Januar 2020 sollen die Regelungen des § 62a Abs. 1 bis Abs. 6 und Abs. 9 EEG n.F. zwingend Anwendung finden. Übergangsweise soll für in 2018 und 2019 verbrauchte Strommengen auch in Fällen, in denen die ausnahmsweise abweichende Zurechnung von Strommengen Dritter oder die Befreiung von Messpflichten nicht erfüllt sind, dennoch eine Schätzung ermöglicht werden, soweit die Schätzgrundsätze eingehalten werden und ergänzend zu den Endabrechnungen ein zukünftiges Messkonzept und eine Erklärung der Sicherstellung der künftigen Einhaltung der Messvorschriften dem Netzbetreiber auf Verlangen vorgelegt werden können (§ 62 Abs. 7 EEG n.F.).  Dabei kommt mit der Bestätigung derartiger Messkonzepte eine weitere Aufgabe auf die Wirtschaftsprüfer zu. Die Komplexität der Regelung und die weitgehenden Schadensrisiken sind ein weiterer Grund, nur spezialisierte Wirtschaftsprüfer außerhalb der regulären Wirtschaftsprüfung mit entsprechenden Bestätigungen zu beauftragen.

 

Übergangsregelungen 

 

 

Weiterhin wurde für die vor dem 1. Januar 2018 verbrauchten Strommengen im Sinne der vom BAFA zu Unrecht postulierten „Amnestie” ein „Leistungsverweigerungsrecht” eingeräumt (§ 62a Abs. 8 EEG n.F.). Damit werden die anhängigen Streitigkeiten zu ungemessenen Drittverbräuchen mit dem BAFA und Netzbetreiber gesichtswahrend einer Lösung zugeführt. Voraussetzung hierfür ist, dass die Abgrenzung entsprechend den Maßgaben über die Art und Weise der Schätzung und den weiteren Anforderungen des § 62a Abs. 4 bis 6 EEG n.F. erfolgt ist. Da diese Anforderungen bisher nicht bekannt waren, bleibt es spannend, ob sie diese (zufällig) erfüllt haben. Insofern liegen aber die Voraussetzungen für eine Nachsichtgewährung durch eine den neuen Grundsätzen entsprechende Anpassung der Schätzungen vor. Umgekehrt segnet der Gesetzesentwurf die vom BAFA in der Vergangenheit anerkannten Strommengen als gesetzeskonform ab, ohne dass es einer erneuten Schätzung nach den neuen Grundsätzen bedarf (§ 62a Abs. 9 EEG n.F.).

 

And the winner is: … ?

Nur eine Neuerung in einer Vielzahl weiterer Neuerungen zum EEG sowie KWKG und einer unüberschaubaren Anzahl weiterer energierechtlicher Vorschriften. Kaum zu glauben, dass der Gesetzgeber es bis zum Jahresende schafft, ein ordnungsgemäßes Gesetzgebungsverfahren umzusetzen, geschweige denn noch sachgemäße Änderungsvorschläge der betroffenen Branchen aufzunehmen. Damit sind Unstimmigkeiten, Lücken und Fehler im Gesetz vorprogrammiert. Auch wenn entsprechende Wirtschaftsprüferbestätigungen vorgesehen sind, fehlt es in vielen Fällen an quantitativen Vorgaben, die Grundlage einer Prüfung sein könnten. In der jetzigen Fassung des § 62a EEG n.F. sind die Unternehmen und deren Wirtschaftsprüfer diejenigen, die die unbestimmten Gesetzesbegriffe durch eine Auslegung konkretisieren müssen.

 

Insofern steigt die Bedeutung der spezialisierten Prüfer und Berater, die den Unternehmen in dem zunehmend undurchsichtigen Dschungel des Energieabgaben- und Förderrechts Orientierung geben können und die Risiken und Chancen aus den gesetzgeberischen Unzulänglichkeiten – notfalls auch unter Inanspruchnahme von Rechtsmitteln – ausloten müssen, ohne hierbei „Scheinwahrheiten” abzubilden.


 

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Joachim Held

Rechtsanwalt, Mag. rer. publ.

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