Vermeidung von Haftungsrisiken im Unternehmen: § 130 OWiG und Delegation

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veröffentlicht am 11. November 2020 | Lesedauer ca. 4 Minuten


Eine wirtschaftliche Tätigkeit ist ohne das Eingehen unter­nehmerischer Risiken nicht möglich. Gerade im Bereich Life Science, einem Querschnittsgebiet verschiedener Sachgebiete, müssen die gesetzlichen Ge- und Verbote im Blick behalten werden. Bei Verstößen drohen empfindliche Strafen.


 


Der Bereich Life Science ist ein Querschnittsgebiet und umfasst verschiedene Bereiche der sog. Bio- bzw. Lebens­wissenschaften.

Da die Gebiete in der Praxis hoch spezialisierte Lebensbereiche betreffen, verteilen sich die den Life Sciences zugrundeliegenden Gesetze über verschiedene spezialgesetzliche Grundlagen, wie das Lebensmittel- und Futtermittelrecht, Arzneimittel- und Medizinprodukterecht, Chemikalienrecht, Produktsicherheits- und Bedarfsgegenständerecht sowie das Abfall- und Verpackungsrecht.

Die Vielzahl und die Komplexität der Rechtsgrundlagen machen es notwendig, ein besonderes Augenmerk auf Haftungsrisiken, insbesondere die Verhinderung von Zuwiderhandlungen gegen gesetzliche Ge- und Verbote, zu legen.


Allzuständigkeit und Delegation

Eine besondere Rolle kommt dabei den Inhabern eines Betriebs oder Unternehmens als Verantwortliche zu. Sie bündeln zunächst sämtliche Aufgaben und Kompetenzen auf sich und sind primär für alle Angelegenheiten zuständig. Sie trifft insbesondere die Pflicht, diejenigen Maßnahmen zu ergreifen, die erforderlich sind, um strafbare Handlungen zu vermeiden. Die Inhaberschaft bestimmt sich dabei nicht nach den materiellen Gegebenheiten, sondern danach, wem die Erfüllung der Pflichten tatsächlich obliegt.

So trifft bspw. die Inhaber eines Unternehmens in der Lebensmittelbranche die Pflicht, dafür Sorge zu tragen, dass keine Lebensmittel in den Verkehr gelangen, die für den Verzehr durch den Menschen ungeeignet sind (vgl. die Handlungsverbote zum Schutz der Gesundheit in § 5 i.V.m. § 58 Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch).

Als weiteres Beispiel können die verschiedenen Akteure entlang der Handelskette im Bereich der Medizin­produkte (Hersteller bzw. dessen EU-Bevollmächtigter, Importeuer, Händler) genannt werden, einem natur­gemäß sensiblen Bereich, in dem Unternehmen mit ihren Produkten vielfältigen Haftungsrisiken ausgesetzt sind. Ausgehend von der Frage, welche Pflichten der jeweilige Akteur nach dem Medizinpro­dukterecht hat, stellen sich sowohl Fragen der vertraglichen Haftung als auch der Produkthaftung im In- und Ausland.

Ihren normativen Anknüpfungspunkt finden Haftungsfragen dabei derzeit noch im Medizinproduktegesetz (künftig in den Medizinprodukteverordnungen (EU) 2017/745 und 2017/746), dessen Aufgabe es ist, den Verkehr mit Medizinprodukten zu regeln und dadurch für die Sicherheit, Eignung und Leistung der Medizin­produkte sowie die Gesundheit und den erforderlichen Schutz von Patienten, Anwendern und Dritten zu sorgen, vgl. § 1 Medizinproduktegesetz. Zu beachten ist insbesondere im Hinblick auf Haftungsfragen, dass die Anforderungen an die Sicherheit der Produkte besonders hoch anzusetzen sind und bereits Medizinprodukte, bei denen ein potenzieller Fehler festgestellt wurde, als fehlerhaft eingestuft werden können.

Bei einer lebensnahen Betrachtung ist klar, dass die verantwortlichen Personen ab einer bestimmten Unternehmensgröße zwingend darauf angewiesen sind, bestimmte Aufgaben an Angestellte zu delegieren. Die Übertragung von Aufgaben und Kompetenzen an eine nachgeordnete Führungsebene ist möglich und auch sinnvoll. Vor dem Hintergrund der Bedeutung der Arbeitsteilung, gerade in großen Unternehmen, kann von Delegation als Kern der Verantwortung von Führungskräften gesprochen werden.

Die rechtssichere Übertragung beinhaltet dabei im Wesentlichen die Elemente ordnungsgemäße Delegation, Auswahl, Anweisung und Überwachung. In der Praxis geht die Delegation somit über die Auswahl eines geeigneten Arbeitnehmers hinaus. Während im Bezug darauf eine Haftung nach den Grundsätzen des Auswahlverschuldens denkbar ist, besteht gleichzeitig die Pflicht, Mitarbeiter hinreichend anzuweisen und zu überwachen. Es kann der Geschäftsführer zusätzlich auf Basis des Überwachungs­verschuldens haften. Organisationspflichten müssen also zwingend ernst genommen werden.


Ordnungsrechtliche Haftung nach § 130 OWiG

Normativer Anknüpfungspunkt für die ordnungsrechtliche Sanktionierung von Verstößen gegen Organisations- und Aufsichtspflichten bildet der § 130 OWiG. In der Praxis handelt es sich dabei um die relevanteste, da im Anwendungsbereich weiteste, wenn auch häufig um eine unbekannte Rechtsgrundlage bei der Organ- und Unternehmenshaftung.

Im Grundsatz soll § 130 OWiG als Auffangtatbestand eine Haftungslücke schließen, die sich aus dem Auseinanderfallen von Betriebsinhaberschaft und den damit verbundenen Sonderstellungen auf der einen, und der tatsächlichen Ausführung von Handlungen auf der anderen Seite ergibt. Vor dem Hintergrund wurde durch den Gesetzgeber ein selbstständiger Tatbestand geschaffen, der sich in erster Linie an den Entscheidungs­träger wendet und dessen Pflicht zur Aufsicht, Auswahl und Überwachung bei der Arbeitsteilung festlegt.

Bei Verstößen gegen die Pflichten wird eine bußgeldrechtliche Verantwortlichkeit begründet, die an ein vorsätzliches oder fahrlässiges Unterlassen der Schaffung angemessener Organisationsstrukturen anknüpft. Bei Aufsichtspflichtverletzungen, die zu mit Strafe bewehrten Zuwiderhandlungen führen, kann das Höchstmaß der Geldbuße bis zu eine Million Euro betragen (§ 130 Abs. 3 S. 1 OWiG).


§ 130 OWiG als Einfallstor für spezialgesetzliche Haftung

Gleichzeitig dient § 130 OWiG als Einfallstor für eine spezialgesetzliche Haftung der Verantwortlichen. Das Sonderstrafrecht ist aus dem allgemeinen Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht ausgegliedert und wurde vom Gesetzgeber geschaffen, um besondere Regelungsgebiete und die in den Bereichen typischen Tathandlungen unter Strafe zu stellen.

Spezialgesetzliche Haftungsnormen finden sich in vielen Bereichen, z.B. im Lebensmittel- und Futtermittel­gesetzbuch (§§ 58 ff.), im Arzneimittelgesetz (§§ 95 ff.) oder im Medizinproduktegesetz (§§ 40 ff.).


Bedeutung von Prüf- und Sicherheitsmaßnahmen

Die Haftung kann in der Praxis uferlos sein. Die Betriebsorganisation muss deshalb bei der Delegation durch die Anwendung der gebotenen möglichen Sorgfalt, etwa durch personelle, organisatorische und finanzielle Maßnahmen, ein Höchstmaß an Sicherheit gegen Pflichtverstöße gewährleisten.

Die Umsetzung haftungsreduzierender Maßnahmen kann dabei sowohl an konkrete personelle Maßnahmen, wie der Auswahl der Mitarbeiter aufgrund der beruflichen und fachlichen Qualifikation, als auch an Konzepte zur Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften anknüpfen.

So sind z.B. bei Lebensmittelunternehmen umfassende Schulungs- und Überwachungskonzepte zur Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen angezeigt. Das umfasst u.a. Hygieneschulungen, die Kontrolle gesetzlicher Qualitätsnormen sowie den Arbeitsschutz als denkbare Maßnahmen.


Fazit

Der Delegation von unternehmerischen Pflichten kommt in der Praxis eine große Bedeutung zu. Inhaber von Unternehmen als primär Verpflichtete müssen, insbesondere vor dem Hintergrund von komplexen rechtlichen Regelungen, große Sorgfalt anwenden, um ihre persönliche Haftung zu vermeiden.

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