Erfolgreich investieren in Ungarn

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zuletzt aktualisiert am 25. Juni 2022 | Lesedauer ca. 6 Minuten


 

 

Wie schätzen Sie die derzeitige wirtschaftliche Lage in Ungarn ein?

Die wirtschaftliche Gesamtsituation hat sich im Jahr 2021 im Verhältnis zum Vorjahr trotz Lieferengpässen und Unsicherheiten bezüglich der Auswirkungen der neuen Pandemie-Varianten eindeutig verbessert. Der ungarischen Regierung ist es in dem schwierigen Umfeld gelungen, durch breite Fördermaßnahmen weitere Unter­neh­mens­an­sied­lun­gen und Standorterweiterungen zu generieren. Daneben wurden u.a. Steuererleichterungen gewährt, um bestehende Arbeitsplätze zu sichern. Weitere Maßnahmen, wie zum Beispiel die Reduzierung der Umsatzsteuer für die Errichtung und Sanierung von Wohnimmobilien von 27 Prozent auf 5 Prozent, die Eigenheimförderung junger Familien, sowie die deutliche Anhebung der Mindestlöhne, führten zu einem Konsumzuwachs und zur Erholung der gesamtwirtschaftlichen Lage in den letzten Jahren. Die Konjunktur entwickelte sich im Jahr 2021 positiv und auch der Start in das Jahr 2022 verlief ordentlich, wobei seit März 2022 die ersten Auswirkungen des Ukraine-Krieges auf die Konjunktur erkennbar wurden. 
 
Im Jahr 2021 betrug das Wachstum des realen Bruttoinlandsprodukts in Ungarn rund 7,1 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Für das Jahr 2022 wird das Wachstum des realen Bruttoinlandsprodukts in Ungarn derzeit noch auf rund 3,7 prognostiziert. Allerdings wird dieser Wert anhand der aktuellen Situation von den Behörden und Instituten sicherlich für das laufende Geschäftsjahr nach unten korrigiert werden. Die Erwerbslosenrate lag Ende 2021 bei knapp unter 4 Prozent und einige Industriezweige haben erhebliche Probleme, geeignete Mitarbeiter im Inland zu finden. Generell ist davon auszugehen, dass sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zumindest mittelfristig verschlechtern werden. Die steigende Inflationsrate, die höheren Zinssätze wie auch eine Vielzahl weiterer Fak­to­ren werden sich sicherlich negativ auf das Wachstum auswirken und die Regierung wird dem nur begrenzt entgegenwirken können. 
 
Die mittel- und langfristigen Auswirkungen des Ukraine-Konfliktes können aktuell kaum eingeschätzt werden und sind unter anderem von der Dauer des Krieges, den getroffenen Sanktionen und dem Ausgang des Konfliktes ab­hängig. Ungarns Importe aus Russland betreffen insbesondere die Energieträger Gas und Öl, so stammen derzeit rd. 80 Prozent der Gasimporte Ungarns aus Russland. Erst im Herbst 2021 wurde der aktuelle Rahmenvertrag mit einer Laufzeit von 15 Jahren mit der russischen Regierung und Gazprom abgeschlossen, somit sollte die Gas­ver­sor­gung des Landes vorerst gesichert sein. 

 

Wie würden Sie das Investitionsklima in Ungarn beschreiben? Welche Branchen bergen großes Potenzial?

Durch die Herabsetzung des Körperschaftsteuersatzes auf 9 Prozent im Jahr 2017 und die Entlastung der Arbeit­geber in Form einer weiteren Senkung der Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung auf mittlerweile 13 Prozent im Jahre 2022 wurden weitere Investitionsanreize geschaffen, um die Ansiedlung von Unternehmen zu fördern. Großprojekte und Investitionen in Zukunftstechnologien werden aktuell von der Regierung bevorzugt gefördert und die Investitionsförderungsagentur HIPA versucht vermehrt, ausländische Unternehmen für die Ansiedlung von Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten zu gewinnen. Auch eines der niedrigsten Lohnniveaus innerhalb der EU stellt für ausländische Direktinvestitionen einen Standortvorteil dar. Ungarn kann derzeit sicherlich als ein Billig­lohn- und Niedrigsteuerland innerhalb der EU angesehen werden, wobei allerdings u.a. wegen des Fachkräfte­man­gels die Lohnsteigerungen in den letzten Jahren regelmäßig die Inflationsrate überstiegen und ein Realwert­zu­wachs bei den Löhnen und Gehältern zu verzeichnen war.  
 
Aufgrund der unsicheren Aussichten bezüglich der globalen wirtschaftlichen und konjunkturellen Erholung wurde die Investitionsneigung der Unternehmen allerdings gebremst, wie auch bereits beschlossene Investitionen und Bauvorhaben zeitlich verschoben wurden. Prominente Beispiele hierfür sind das geplante neue BMW Pro­duk­tions­werk in Debrecen und die Erweiterung des Daimler-Werks in Kecskemét, wie auch Investitionsvorhaben des Staates und der Kommunen verschoben oder gestrichen wurden. 
 
Ungarns Wirtschaft ist stark mit dem deutschen bzw. deutschsprachigen Wirtschaftsraum und insbesondere mit der Automobilindustrie verknüpft, woraus sich eine erhebliche Abhängigkeit von der europäischen aber auch globalen wirtschaftlichen Entwicklung ergibt. Der ungarische Automobilsektor einschließlich der Zulieferindustrie erwirtschaften knapp 15 Prozent des ungarischen BIP.  
 
Für Ungarn sind deutsche Unternehmen sehr wichtige Handelspartner, wird doch ein Volumen von knapp 27 Prozent des Gesamtexports mit deutschen Firmen realisiert und knapp 25 Prozent der Importe stammen aus Deutschland. Ungarn gehört zu den wenigen Ländern, die eine positive Handelsbilanz mit Deutschland vorweisen können. 
 
Neben den günstigen steuerlichen, sind auch die rechtlichen Rahmenbedingungen stabil und bieten eine ver­läss­liche Grundlage für wirtschaftliche Aktivitäten im Land. Die Regelungen des ungarischen Gesellschaftsrechts und des ung. BGB sind mit den deutschen Bestimmungen vergleichbar; das ungarische Arbeitsrecht erlaubt ein hohes Maß an Flexibilität in puncto Arbeitszeitgestaltung und Entlohnung und kann insgesamt als arbeitgeberfreundlich bezeichnet werden. Dass die Regierung – insbesondere in der Industrie – die arbeitsrechtlichen Rahmen­be­din­gun­gen eher zugunsten der Arbeitgeber umzugestalten beabsichtigt, hat zuletzt die im April 2020 verabschiedete Verordnung zur Ausdehnung eines einseitig vom Arbeitgeber bestimmbaren Arbeitszeitrahmens von bisher 4 Monaten auf 24 Monate gezeigt. 
 
Großes Potenzial birgt nach wie vor die Automobilbranche. Neben den Herstellern Audi, Mercedes-Benz, Opel und Suzuki haben sich auch viele Zulieferer in Ungarn angesiedelt. BMW errichtet mit einer Investitionssumme von 1 Mrd. Euro zurzeit ebenfalls eine eigene Produktionsstätte in Ostungarn, die Produktion soll 2025 anlaufen und es sollen rd. 1.000 Mitarbeiter beschäftigt werden. Es ist außerdem erklärtes Ziel der Regierung, Ungarn als einen der wichtigsten Standorte in der globalen Batterieherstellung für Elektroautomobile in Europa zu positionieren. Zahl­reiche Projekte zum Aufbau von Fertigungskapazitäten, die in den letzten zwei Jahren realisiert oder bekannt geworden sind, bestätigen diese Bestrebung. Jüngstes Beispiel ist die Ankündigung von SK Innovation für den Bau einer dritten Batteriezellenfabrik in Ungarn, auch der koreanische Anbieter Samsung SDI erweitert seine Batterie­fabrik in Göd. Neben den asiatischen Playern investieren auch die angesiedelten deutschen Automobilkonzerne immer größere Summen in die Elektromobilität-Kapazitäten in Ungarn.
 
Auch der Bereich Bauwirtschaft boomt zurzeit kräftig, angekurbelt durch die Senkung der Mehrwertsteuer auf 5 Prozent für neu errichtete Wohnflächen und Sanierungen, sowie die Eigenheimförderung. In den letzten 20 Jahren haben auch viele internationale Unternehmensgruppen Teile ihrer Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen, IT und SSC-Stabsstellen nach Ungarn verlagert. Potenzial sehen wir außerdem in den Bereichen Maschinen- und Anlagenbau, Nahrungs- und Genussmittel, in der Logistikbranche sowie im Online-Handel.

 

Welchen Herausforderungen steht ein deutscher Unternehmer beim Engagement in Ungarn gegenüber?

Seit einigen Jahren bereitet vielen Unternehmen in bestimmten Regionen des Landes die Rekrutierung und die langfristige Bindung geeigneter Fachkräfte Schwierigkeiten. Insbesondere in den grenznahen Regionen zu Österreich und der Slowakei gibt es viele, die wegen der höheren Bezüge als Berufspendler in den Nachbarländern arbeiten, oder die gleich in andere EU-Länder umgezogen sind. Hinzu kommen neue Industrieansiedlungen, die durchaus eine Abwerbung von Mitarbeitern zur Folge haben können. Somit kann sich ggf. die Personalsuche wie auch die Personalerhaltung als eine nicht zu unterschätzende Herausforderung erweisen. 
 
Investoren sollten sich stets auch bewusst sein, dass trotz generell positiver Einstellung der Regierung zu Inves­titionsvorhaben und trotz der allgemein günstigen Rahmenbedingungen auch belastende Maßnahmen wie Son­der­steuern auf bestimmte Branchen durchaus denkbar sind. Um den Staatshaushalt in der gegenwertigen Situation zu stabilisieren wurden solche Sondersteuern für die Jahre 2022 und 2023 verabschiedet und betreffen unter anderem den Energiesektor, den Einzelhandel, den Finanz-, Versicherungssektor und die Pharmaindustrie. Die Erfahrungen aus der Vergangenheit zeigen darüber hinaus, dass die Regierung mitunter dazu neigt, in bestimmten Bereichen heimische Unternehmen und Einrichtungen zu bevorzugen. 

 

Welche Rolle spielt die Standortwahl in Ungarn für ausländische Investoren?

Neben Faktoren wie der guten Verfügbarkeit von Fachkräften und guter Verkehrsanbindung spielen auch öffent­liche Anreize eine gewisse Rolle bei der Auswahl neuer Standorte. Bei der Standortwahl können einige wenige Kilometer maßgeblich für die Berechtigung zum Bezug von Fördermitteln sein. Während im Großraum Budapest kaum Fördergelder bewilligt werden, ergeben sich in strukturschwächeren Regionen häufig gute Möglichkeiten, rein ungarische oder EU-Fördermittel zu erhalten. Bei Fördermitteln besteht ein deutliches West-Ost-Gefälle mit dem stark entwickelten Westungarn, der Hauptstadt Budapest und dem eher strukturschwachen Ostungarn. Investoren, die sich in begünstigten Gewerbezonen ansiedeln, stehen häufig auch lokale Steuerermäßigungen zu. Es sollten deshalb rechtzeitig mit den Gemeinden möglicher Standorte Gespräche geführt werden.
 
Um die strukturschwachen Gebiete Ungarns für ausländische Investoren attraktiver zu machen, bietet die Natio­nale Investitionsförderagentur (HIPA) Förderungen an, wie maximal 50 Prozent Direktförderungsbeiträge oder Steuervergünstigungen bei Erfüllung vorgegebener Auflagen, wie zum Beispiel der Anzahl geschaffener Arbeits­plätze. Ferner gibt es für Großinvestitionen Förderungen basierend auf individuellen Regierungsbeschlüssen. 

 

Wie wird sich aus Ihrer Sicht Ungarn weiterentwickeln?

Ein stabiler Sockel an ausländischen Direktinvestitionen ist bereits im Land und weitere namhafte Unternehmen wie z.B. BMW und einige Batteriehersteller sind dabei, Produktionsstätten in Ungarn einzurichten, denen wie­der­um weitere Ansiedlungen folgen werden. Die Nähe zu Deutschland, die gute Infrastruktur, das günstige Lohn­ni­veau, bzw. das durchwegs gute Ausbildungsniveau sprechen sicherlich für den Investitionsstandort Ungarn. Der Trend, dass sich auch asiatische Unternehmen vermehrt für Standorte in Europa entscheiden, ist auch in Ungarn spürbar und hält weiter an. Anhand aktueller Erfahrungen sind auch viele Unternehmen bestrebt, ihre Abhängig­keit vom asiatischen Raum zu vermindern und Tätigkeiten wieder nach Europa zu verlagern. Hiervon wird sicher­lich auch Ungarn profitieren. Es ist durchaus möglich, dass ungarische Firmen und Standorte als verlässliche Partner gestärkt aus der derzeitigen Situation hervorgehen.
 
Insgesamt wird sich der Lebensstandard in Ungarn weiter erhöhen, damit einhergehen werden auch weiter stei­gende Löhne und Gehälter. Leider wird sich die Entwicklung anhand der aktuellen globalen Krisensituation etwas verschieben, wir gehen aber weiterhin von guten Möglichkeiten und Chancen für unsere Region aus. Bei einem Ende des Konfliktes zwischen Russland und der Ukraine könnten sich zum Beispiel gute Möglichkeiten für Unter­nehmen der EU unter anderem im Bereich Wiederaufbau der Infrastruktur in der Ukraine ergeben. Ungarn würde hiervon ebenfalls profitieren, da die großen Baukonzerne aus dem deutschsprachigen Raum in Ungarn vertreten sind und über entsprechendes Fachpersonal verfügen. So werden beispielsweise viele Stahlkonstruktionen für Brücken in Ungarn geplant, gefertigt und europaweit vor Ort installiert. 

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Dr. Roland Felkai

Diplom-Volkswirt, M.A. (London), Tax Consultant (Ungarn)

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