Pillar 2: Die neue Welt der Mindestbesteuerung

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zuletzt aktualisiert am 17. Juli 2023 | Lesedauer ca. 7 Minuten

 

Das „Two-Pillar-Modell“: Eine Antwort auf die steuerlichen Herausforderungen der Digitalen Wirtschaft

 

Die zunehmende Digitalisierung der Wirtschaft bringt zahlreiche steuerliche Heraus­forderungen mit sich. Das aktuelle internationale Steuerrecht beruht noch auf einer analogen Wirtschaft mit physischen Ansatzpunkten und ist aufgrund der dynamischen digitalen Entwicklung nicht mehr zeitgemäß, um eine angemessene Besteuerung sowie internationale Verteilung des Steuersubstrats zu gewährleisten.
 
Nachdem bereits verschiedene Staaten versuchten, die Unwuchten im internationalen Steuersystem durch die Einführung unilateraler Digitalsteuern zu lösen, will die OECD dem daraus entstandenen Flickenteppich ent­ge­gen­wirken und stieß dafür bereits zu Beginn 2019 das BEPS 2.0-Projekt an. Der Lösungsansatz basiert auf zwei Säulen: Während sich Säule 1 (Pillar 1) mit neuen Gewinnzuteilungsregelungen befasst, beinhaltet Säule 2 (Pillar 2) eine Mindestbesteuerung aller Großunternehmen. 
   

Pillar 1

Pillar 1 sieht die Ausweitung und Neuverteilung von Besteuerungsrechten zwischen Ansässigkeits- und Markt­staaten vor. Dabei liegt der Fokus auf multinationalen Unternehmengruppen mit mehr als 20 Mrd. Euro Jahres­umsatz sowie einer Umsatzrentabilität von über 10 Prozent. 

Die Regelungen zu Pillar 1 werden derzeit im Inclusive Framework der OECD erarbeitet. Noch stehen wichtige Teile der Regelungen aus, die notwendige Umsetzung über internationale Vereinbarungen und Ratifizierung in den teilnehmenden Staaten wird ebenfalls Zeit in Anspruch nehmen. Daher wird eine Umsetzung bereits im Jahr 2022 mit Wirkung ab 2023, wie ursprünglich von der OECD vorgesehen, immer unwahrscheinlicher. Wir halten eine Einführung ab dem Jahr 2024 für realistisch.
  

Pillar 2

Pillar 2 beinhaltet eine globale Mindestbesteuerung aller Unternehmensgruppen mit mind. 750 Mio. Euro Jah­resumsatz. Damit soll ein Besteuerungsniveau für Unternehmensgewinne von 15 Prozent erreicht werden. Ist das bei niedrig besteuerten Gruppeneinheiten durch die nationale Besteuerung nicht sichergestellt, wird eine Top-up Tax innerhalb des Konzerns nacherhoben. Das Ziel der Implementierung ist es, den internationalen Steuerwettbewerb zu begrenzen und mehr Steuergerechtigkeit zu schaffen.
 
Am 20. Dezember 2021 wurde mit den Model Rules der OECD das Rahmenwerk für die internationale Mindest­be­steuerung veröffentlicht, auf die sich über 130 Staaten der Welt geeinigt haben. Die Umsetzung innerhalb der EU wurde schließlich mit der Richtlinie 2022/2523 v. 14. Dezember 2022 auf den Weg gebracht. Die Richtlinie sieht auch eine Öffnungsklausel im Hinblick auf nach ihrer Verabschiedung erlassene Safe Harbour-Leitlinien der OECD vor, wie sie z.B. am 20. Dezember 2022 veröffentlicht wurden. Die EU-Mitgliedstaaten müssen die Richtlinie nunmehr bis zum 31. Dezember 2023 in nationales Recht umsetzen. Der Beschluss des Regierungsentwurfs für das deutsche Umsetzungsgesetz erfolgte am 16. August 2023. Einen Überblick über den Regierungsentwurf finden Sie hier »
 
Innerhalb der EU finden die Neuregelungen erstmalig Anwendung für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31. Dezember 2023 beginnen. Für die Mehrzahl der Unternehmen sind sie damit ab 1. Januar 2024 verpflichtend zu beachten. Auch die meisten Nicht-EU-Staaten, die die Regelungen zur globalen Mindestbesteuerung umsetzen wollen, sehen eine Anwendung ab dem Jahr 2024 vor. 
 

Auf einen Blick


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Wir nehmen Sie mit in die neue Welt der Mindestbesteuerung und klären die für die Umsetzung in Ihrem Unter­nehmen relevanten Aspekte in unserem nachstehenden Leitfaden:

 Leitfaden Pillar 2: Hard Facts – Das kommt auf Sie zu

Anwendungsbereich und -umfang

Betroffen sind Großunternehmen und große Unternehmensgruppen mit einem Konzern-Jahresumsatz von mind. 750 Millionen Euro, unabhängig von der Rechtsform (juristische Personen, Personengesellschaften) und bei einer in der EU ansässigen Obergesellschaft sogar unabhängig davon, ob es sich um eine rein nationale oder grenzüberschreitende Unternehmensgruppe handelt.
 
Wird die Umsatzgrenze überschritten, sind die von Pillar 2 erfassten Unternehmenseinheiten zu bestimmen. Um­fasst sind alle Unternehmen, die in die Vollkonsolidierung im Konzernabschluss einbezogen sind. Unter­nehmen, die nur wegen Wesentlichkeit oder anderer materieller Aspekte nicht einbezogen wurden, sind ebenfalls zu berücksichtigen. Auch Betriebsstätten sind unter Pillar 2 als gesonderte Einheiten zu behandeln. 
 
Für jede konzernzugehörige Einheit sind deren „Rolle“ und Ansässigkeit im Pillar 2-System und die damit kon­kret verbundenen Pflichten festzustellen. Diese können von der obersten Muttergesellschaft (UPE) über zwischengeschaltete Einheiten und solche mit außenstehenden Gesellschaftern bis hin zur einfachen Konzern­einheit stark variieren. Besondere Beachtung sollten dabei Zwischenholdings mit Minderheitsgesellschaftern (POPE), beherrschte Minderheitsbeteiligungen (MOCE), joint ventures (JV) sowie insbesondere bei einer obers­ten Muttergesellschaft außerhalb der EU Holdinggesellschaften auf der zweiten Konzernebene (IPE) finden.


Steuerpflicht bei der Top-up Tax

Basierend auf der sogenannten „Income Inclusion Rule“ (IIR) als vorrangigem Weg der Steuererhebung ist regelmäßig die oberste Muttergesellschaft verpflichtet, die Top-up Tax für alle niedrigbesteuerten Einheiten der Gruppe zu zahlen. Für POPE, IPE, JV und MOCE gelten gesonderte Erhebungs- und entsprechende Anrech­nungs­regelungen. 

Führt diese Erhebung der Mindeststeuer bei der Konzernobergesellschaft nicht zu einer Mindest­steuer­be­las­tung von 15 Prozent in allen beteiligten Ländern, können gemäß der „Undertaxed Profit Rule“ (UTPR) auch alle untergeordneten Konzerneinheiten, insbesondere die in der EU belegenen Einheiten, anteilig zur Top-up Tax herangezogen werden für den Differenzbetrag, der über die IIR nicht erhoben wurde. 

Grundlagen der Top-up Tax

Um die Top-up Tax zu berechnen zu können, ist eine spezifische Ermittlung der Bemessungsgrundlage und der einzubeziehenden Steuern erforderlich, da diese grundlegenden Daten sich weder aus der externen Rech­nungs­legung noch aus den Daten des bisher vorhandenen Tax Accounting ergeben. 
 
Hinweis: Am 20. Dezember 2022 hat die OECD Leitlinien für Safe Harbour-Regelungen veröffentlicht, die reduzierte Anforderungen an die Ermittlung der Niedrigbesteuerung stellen und bei deren Erfüllung der Steuerpflichtige von der Vollanwendung der Model Rules befreit wird (vgl. hierzu im Detail Pillar 2: Temporäre Vereinfachungen durch Safe Harbour-Regelungen der OECD). Diese Safe Harbour-Regelungen werden zumindest für eine Übergangszeit eine erhebliche Erleichterung insbesondere für mittelständische Unternehmen bei der Anwendung von Pillar 2 bringen. Sie sollten daher vorrangig vor den hier dargestellten allgemeinen Grundsätzen für die Ermittlung einer Top-up Tax berücksichtigt werden.
 
Ausgangspunkt ist der Konzernabschluss der Gruppe, vorausgesetzt dieser wurde in einem anerkannten Rechnungslegungsstandard (IFRS oder z.B. europäische Local-GAAPs, also insb. auch deutsches HGB) erstellt. 
 
Ausgehend von der sog. HB 2, also den in den Konzernabschluss einfließenden Daten der einzelnen Einheiten vor Konsolidierung, erfolgt die Ermittlung der erfassten Steuern und des maßgebenden Nettoergebnisses. In beiden Fällen sind zahlreiche Anpassungen zu berücksichtigen, z.B. bei 
  • Dividenden (bei entsprechender Beteiligungshöhe),
  • Veräußerungsgewinnen,
  • Umstrukturierungen,
  • Pensionszusagen, 
  • konzerninternen Transaktionen, 
  • Wechselkursgewinnen/-verlusten,
  • Hinzurechnungsbesteuerung, 
  • Zuweisung bei Betriebsstätten und Personengesellschaften. 

Ein in der Steuerwelt völlig neues Element wird die vorgeschriebene Erfassung und Modifikation von latenten Steuern darstellen. Ihre Einbeziehung kann von fundamentaler Bedeutung für den Anfall einer Top-up Tax werden, insbesondere weil hierdurch auch die steuerlichen Auswirkungen von Verlusten abgebildet werden.

Auch wenn sich tatsächlich keine Mindeststeuer ergibt, muss für jede Einheit identifiziert werden, welche Korrektursachverhalte zur Anwendung kommen und wo/wie die hierfür erforderlichen Daten beschaffbar sind, da alle diese Angaben in der Steuererklärung darzulegen sind.

Berechnung der Top-up Tax

Die Berechnung erfolgt mehrstufig:
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Zunächst wird eine effektive Steuerbelastung (ETR) aus dem Verhältnis der erfassten Steuern und dem maß­ge­benden Nettoergebnis ermittelt. Dabei findet ein sog. jurisdictional blending statt: beide Bemessungsrundlagen werden für alle Einheiten, die in einem Land ansässig sind, zusammengerechnet und die ETR zusammengefasst einheitlich für alle diese Einheiten bezogen auf das Land ermittelt.
 
Länder, für die sich eine ETR kleiner 15 Prozent ergibt, gelten als niedrig besteuert, für diese wird eine Top-up Tax berechnet. Auch dies geschieht zunächst zusammengefasst auf Basis der addierten Daten der Einheiten in dem jeweiligen Land.
 
Der Tarif der Top-up Tax ergibt sich aus der Differenz zwischen ETR und Mindeststeuersatz. Für die Be­mes­sungs­grundlage dürfen vom maßgeblichen Nettoergebnis pauschale Abzüge bezüglich der Lohnsumme und des Sachanlagevermögens vorgenommen werden, so dass nur eine Art „Übergewinn“ belastet wird. Auf die so errechnete Top-up Tax darf eine nationale Mindeststeuer angerechnet werden, wenn sie als qualifiziert nach den Model Rules anzuerkennen ist. 
 
Schließlich wird die landesbezogene Top-up Tax auf die in diesem Land ansässigen Einheiten verteilt. 

Verfahren

Unterliegt die UPE einer Top-up Tax im Wege der IIR, hat sie eine besondere Steuererklärung abzugeben, in der die Grundlagen für die Erhebung der Top-up Tax für sämtliche Gruppeneinheiten – sowohl niedrig besteuerte Einheiten als auch Einheiten, die über dem Mindestniveau von 15 Prozent belastet werden - darzulegen sind. Hierfür besteht eine Frist von 15 Monaten nach Ende des Wirtschaftsjahres, im Erstjahr wird diese auf 18 Monate verlängert. Die erste Erklärung zu Pillar 2 ist daher im Regelfall (Anwendung für Wirtschaftsjahr 2024) bis zum 30. Juni 2026 einzureichen. 

Wichtig zu wissen: unabhängig von einer konkreten Steuerpflicht nach IRR und/oder UTPR unterliegen darüber hinaus alle einbezogenen Konzerneinheiten einer entsprechenden Erklärungspflicht für die eigenen und die Daten des gesamten Konzerns. Ob und ab wann von der OECD und der EU-Richtlinie vorgesehene Erleich­te­rungen eingreifen, ist aktuell noch nicht absehbar. Daher muss nicht nur die oberste Muttergesellschaft handeln, sondern alle Einheiten betroffener Unternehmensgruppen müssen sich mit dem Thema Pillar 2 beschäftigen und zumindest die Erfüllung der Compliance-Vorgaben mit der Muttergesellschaft abstimmen.

Update: Mittlerweile haben die Veröffentlichung des Referentenentwurfs am 10. Juli 2023 sowie der Beschluss des Regierungsentwurfs vom 16. August 2023 Klarheit über das konkrete Besteuerungsverfahren in Deutschland gebracht. Es ist durch eine Art Gruppenbesteuerung (sog. Mindeststeuergruppe) gekennzeichnet, die durch Verfahrenszentralisierung auf eine größtmögliche Vereinfachung abzielt.

 FAQ

 Tax It Simple Podcast: Rödl & Partner klärt auf – was die geplante globale Mindestbesteuerung für Unternehmen bedeutet

 
 
 
 
 
​Das internationale Steuerrecht steht aktuell im Fokus: Die weltweite Staatengemeinschaft verteilt die Besteuerungsrechte neu. Ein Teilaspekt dieses Vorhabens ist die Einführung einer globalen Mindestbesteuerung; „Pillar 2“. Die Rödl & Partner-Steuerexpertin und -experten, Anna Luce, Prof. Dr. Roland Wacker und Heiko Preisser sprechen mit Prof. Dr. Florian Haase über den Umsetzungsstand, die technischen Schwierigkeiten, die Herausforderungen für Unternehmen und darüber, wie Rödl & Partner seinen Mandanten zur Seite stehen wird. Mehr »
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