Der neue § 57 AO – Reform des Gemeinnützigkeitsrechts durch das JStG 2020

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veröffentlicht am 15. Juli 2021​

 

Jenga

 

Mit dem Jahressteuergesetz (JStG) 2020 wurde die langersehnte Reform des Gemeinnützigkeitsrechts umgesetzt. Insbesondere wurde der § 57 AO um die Absätze 3 und 4 erweitert. Die Neuregelung des § 57 Abs. 3 AO umfasst das Zusammenwirken mit anderen steuerbegünstigten Körperschaften zur unmittelbaren Zweckverfolgung. Eine Erleichterung für Holdinggesellschaften erfasst der neue § 57 Abs. 4 AO und regelt dabei, dass das bloße Halten und Verwalten von Beteiligungen an steuerbegünstigten Körperschaften künftig zur unmittelbaren Zweckverwirklichung führen kann. Insgesamt bringt die Neuregelung des § 57 AO Erleichterungen, neue Handlungsspielräume und mehr Rechtssicherheit für steuerbegünstigte Körperschaften mit sich.

 

Gebot der Unmittelbarkeit und die Bisherige Regelung des § 57 A0

Eine Körperschaft muss die steuerbegünstigten satzungsmäßigen Zwecke unmittelbar – dies bedeutet selbst – verwirklichen. Die Unmittelbarkeit kann auch durch die Beauftragung von Hilfspersonen oder anderen Körperschaften aufgrund fest vereinbarter Verträge erfolgen. Das Wirken der Hilfspersonen kann dann wie das eigene Handeln der Körperschaft gewertet werden.

 

Änderungen durch die Erweiterung des §57 AO

Das Zusammenwirken einzelner Körperschaften ermöglicht es diesen, Ressourcen und Know-how wirtschaftlich sinnvoller einzusetzen und somit effizienter und effektiver zu arbeiten. Die Kooperation für
Non-Profit-Organisationen war bis zur Änderung des § 57 AO davon geprägt, dass bei einer unzureichend geplanten Umsetzung dieser Zusammenarbeit schnell unerwartete Steuerbelastungen entstehen können, da der Unmittelbarkeitsgrundsatz nicht bei allen Gesellschaften gegeben ist.


Die Erweiterung des § 57 AO um die Absätze 3 und 4 bringt Erleichterung und Handlungsspielräume für steuerbegünstigte Körperschaften mit sich. Es sind neue Kooperationen und Gestaltungsmöglichkeiten zwischen steuerbegünstigten Körperschaften denkbar. Es kommt nach § 57 AO nunmehr für die gemeinnützigkeitsrechtliche Beurteilung von Kooperationen auf die Gesamtbetrachtung an. Der bisher zugrunde gelegte Unmittelbarkeitsgrundsatz des § 57 Abs. 1 AO hat viele Kooperationen verhindert. Denn dieser verlangte, dass eine Körperschaft ihre steuerbegünstigten satzungsmäßigen Zwecke selbst verwirklicht.

 

Somit galt bisher, dass für die arbeitsteilige Zusammenarbeit von Körperschaften, jede Körperschaft dahingehend gesondert geprüft werden muss, ob sie selbst unmittelbar steuerbegünstigte Zwecke verwirklicht oder nicht.

 

Der Unmittelbarkeitsgrundsatz des § 57 Abs. 1 AO wurde durch Abs. 3 und Abs. 4 erheblich erweitert. Nach § 57 Abs. 3 AO verwirklicht eine Körperschaft ihre steuerbegünstigten Zwecke nunmehr auch dann unmittelbar im Sinne des Abs. 1 S. 1 AO, wenn sie satzungsgemäß durch planmäßiges Zusammenwirken mit mindestens einer weiteren steuerbegünstigten Körperschaft ihre steuerbegünstigen Zwecke verwirklicht.

 

Es gilt für die Beurteilung, ob die Kooperation der Körperschaften gemeinnützige Zwecke erfüllt, die Gesamtbetrachtung. Dies führt dazu, dass auch Körperschaften, die alle Voraussetzungen der §§ 51 bis 68 AO erfüllen, bei denen aber der Unmittelbarkeitsgrundsatz nicht erfüllt ist, als steuerbegünstigte Körperschaften anerkannt werden können. Der § 57 Abs. 3 AO räumt diesen Körperschaften die Möglichkeit ein, eine unmittelbare Zweckverwirklichung über das planmäßige Zusammenwirken mit anderen steuerpflichtigen Körperschaften zu erreichen.

 

Durch die Neuregelung ergibt sich insbesondere der Vorteil, dass die während der  Betriebsprüfung häufig geführten Diskussionen bezüglich angemessener Verrechnungspreise für Leistungsbeziehungen zwischen den kooperierenden gemeinnützigen Körperschaften und ihren gewerblichen Servicegesellschaften beendet werden.

 

 

Beispiel

Eine Krankenhaus gGmbH erhält von ihrer gemeinnützigen Tochtergesellschaft Wäscheleistungen. Die erhaltenen Wäscheleistungen wurden vor Erweiterung des § 57 AO dem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb zugeordnet.

 


Die Tochtergesellschaft erbringt ihre Leistung zwar nicht unmittelbar gegenüber den Patienten sondern nur gegenüber der Krankenhaus gGmbH, jedoch kommt es nach Erweiterung des § 57 AO nunmehr nicht auf die Einzelleistungen, sondern auf die Gesamtbetrachtung an. Dies führt dazu, dass von beiden Gesellschaften unmittelbar gemeinnützige Zwecke verfolgt werden. Leistungen, die in Verwirklichung des gemeinsamen Zwecks im Rahmen eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebes erfolgen, werden innerhalb eines Zweckbetriebs erbracht, wenn die Voraussetzungen der § 65 ff. AO erfüllt sind.


Auswirkungen des neuen § 57 Abs. 3 AO und dessen Anwendung

Bei der konkreten Anwendung des neuen § 57 Abs. 3 AO ist grundsätzlich zwischen dem Zusammenwirken mit einer gewerblichen oder einer gemeinnützigen Körperschaft zu unterscheiden. Dabei stellen sich die Fragen, ob die Anwendung der Neuregelung für gewerbliche Körperschaften Vorteile mit sich bringt, in welchen Konstellationen der neue § 57 Abs. 3 AO angewendet werden kann und welche Leistungen für ein Zusammenwirken infrage kommen.

 

Ist die Anwendung für gewerbliche Körperschaften vorteilhaft?

Für Servicegesellschaften, die sowohl Leistungen an gemeinnützige Körperschaften durch planmäßiges Zusammenwirken erbringen als auch Leistungen, die als wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb zu qualifizieren wären, ist es empfehlenswert, eine Vergleichsrechnung durchzuführen. Diese kann Hinweise darauf geben, ob der Übergang in die Gemeinnützigkeit tatsächlich zu empfehlen ist. Nach der „alten” Rechtslage schied ein Übergang in die Gemeinnützigkeit hier von vornherein aus, da keine unmittelbare Verfolgung eines gemeinnützigen Zwecks vorhanden war.


Für den Fall, dass nach Übergang der Servicegesellschaft in die Gemeinnützigkeit Gewinne im steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb anfallen, können diese Gewinne nur mit möglichen Verlusten aus anderen steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieben verrechnet werden. Die Verrechnung der Ergebnisse aus dem Zweckbetrieb i. S . der §§ 65 ff. AO und dem steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb ist nicht möglich. Bei möglichen Verlusten im Zweckbetrieb und gleichzeitigen Gewinnen im steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb wäre die Steuerbelastung bei Servicegesellschaften demnach nach Überführung in die Gemeinnützigkeit höher als zuvor ohne Gemeinnützigkeitsstatus.


Problematisch wäre auch eine umgekehrte Gewinnverteilung für den Fall, dass im Zweckbetrieb Gewinne und im steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gleichzeitig Verluste erwirtschaftet werden. Durch den Verlust im steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb und aufgrund des steuerbegünstigten Zweckbetriebes führt dies zwar zu einer Steuerersparnis, kann aber gleichzeitig die Gemeinnützigkeit gefährden. Denn hier ist das Gebot der Selbstlosigkeit zu beachten, nachdem die Körperschaft ihre Mittel nur für satzungsmäßige und damit steuerbegünstigte Zwecke verwenden darf. Ein Verlustausgleich im steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb ist nicht erlaubt und kann bei einer groben Mittelfehlverwendung zur Aberkennung des Gemeinnützigkeitsstatus führen. Wird der Übergang in die Gemeinnützigkeit in Betracht gezogen, sollten die Vorteile und Erfolgsaussichten, aber auch die Nachteile und Risiken im Vorfeld geprüft werden.

 

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In welchen Konstellationen kann der neue § 57 Abs. 3 AO angewendet werden?

Für das planmäßige Zusammenwirken zwischen steuerbegünstigten Körperschaften ist keine bestimmte gesellschaftliche Struktur vorgesehen. Die Gesetzesbegründung1 nennt zwar die Zusammenarbeit von Mutter- und Tochtergesellschaften, der neue § 57 Abs. 3 AO kann aber unabhängig von den gesellschaftlichen Beteiligungsstrukturen der kooperierenden Körperschaften angewendet werden. Die Konzernzugehörigkeit oder das Beteiligungsverhältnis zwischen den Körperschaften spielen demnach keine Rolle. So müssen kooperierende Körperschaften nicht zwingend gesellschaftsrechtlich miteinander verbunden sein.

 

Zu beachten sind allerdings Gewinnausschüttungen von an der Servicegesellschaft beteiligten gewerblichen Gesellschaftern. Bei der Überführung in die Gemeinnützigkeit sind Gewinnausschüttungen an diese gewerblichen Gesellschafter nicht mehr möglich. 

 

Welche Leistungen kommen für ein „Zusamenwirken” infrage? 

Das erforderliche Zusammenwirken gem. § 57 Abs. 3 S. 1  AO ist auf keine bestimmten Leistungen beschränkt. Es kann davon ausgegangen werden, dass sämtliche Leistungen begünstigt sind, die zur gemeinsamen Zweckverwirklichung der steuerbegünstigten Satzungszwecke zwischen den steuerbegünstigten Körperschaften erbracht werden. Demnach kann das Zusammenwirken steuerbegünstigter Körperschaften und Servicegesellschaften auch Dienstleistungen wie Verwaltungsleistungen, Buchführungsleistungen oder die Überlassung von Personal erfassen, wenn dieses für die Verwirklichung der steuerbegünstigten Satzungszwecke eingesetzt wird.


Auch Leistungen, die bisher der Vermögensverwaltung zugeordnet waren, können zukünftig als Zweckbetrieb einzustufen sein.

 

 

Beispiel

Eine gemeinnützige GmbH überlässt Räumlichkeiten an ihre gemeinnützige Tochter MVZ gGmbH.

 

Vor der Überführung in die Gemeinnützigkeit verwirklicht die gemeinnützige GmbH durch die Überlassung der
Räumlichkeiten nicht unmittelbar einen gemeinnützigen Zweck gem. § 57 Abs. 1 AO. Der neue § 57 Abs. 3 AO führt dazu, dass durch die Kooperation mit der MVZ gGmbH Einnahmen dem Zweckbetrieb zugeordnet werden.

 

 

Ertragsteuerliche Konsequenzen ergeben sich bei der Unterscheidung zwischen Vermögensverwaltung und
Zweckbetrieb zwar nicht, da auch die Vermögensverwaltung steuerbegünstigt ist. Für die Mittelverwendung
spielt dies jedoch eine Rolle, denn Investitionen im Bereich der Vermögensverwaltung müssen aus freien
Rücklagen finanziert werden. Vor diesem Hintergrund spielt auch die Zuordnung von Leistungen zu den Sphären Zweckbetrieb und Vermögensverwaltung eine Rolle. Einige Leistungen müssen daher neu bewertet werden.

 

Erfassung der Holdinggesellschaften durch die Neuregelungen des § 57 Abs. 4 AO

 

Umsetzung der NEuregelung des § 57 AO

Die Neuregelung des § 57 Abs. 3 und Abs. 4 AO ist mit Wirkung zum 29.12.20202 in Kraft getreten. Gegen eine rückwirkende Anwendung für noch offene Veranlagungszeiträume spricht grundsätzlich nichts. Hier ist jedoch das noch ausstehende BMF-Schreiben der Finanzverwaltung abzuwarten. Um die Neuregelung in Anspruch zu nehmen, ist für bereits gemeinnützige Körperschaften eine Satzungsanpassung zumindest empfehlenswert; Genaueres könnte auch hier das erwartete BMFSchreiben regeln.


Für bisher gewerbliche Servicegesellschaften ist eine Anpassung der Gesellschaftsverträge zwingend erforderlich, wenn diese den Gemeinnützigkeitsstatus über das „planmäßige Zusammenwirken” i. S. d. § 58 Abs. 3 AO erlangen wollen. Hier sind insbesondere die Anforderungen der in der Abgabenordnung abgedruckten Mustersatzung umzusetzen sowie die Regelungen zum planmäßigen Zusammenwirken. Gem. § 60 Abs. 2 AO tritt die gewünschte Steuervergünstigung bei einer unterjährigen Satzungsanpassung nicht bereits für das Jahr 2021 ein. Ändern Servicegesellschaften ihre Gesellschaftsverträge im Laufe des Kalenderjahres 2021, können sie erst ab Veranlagungszeitraum 2022 als gemeinnützig anerkannt werden.

Zusammenfassung

Die Änderungen bzw. die Erweiterung des § 57 AO bieten neue Kooperationsmöglichkeiten für gemeinnützige Körperschaften und ihre Servicegesellschaften. Auch reine Holdinggesellschaften profitieren von den Änderungen. Durch die Erweiterung können auch die Servicegesellschaften den Gemeinnützigkeitsstatus erlangen und die ausgeführten Leistungen an die gemeinnützigen Körperschaften dem steuerbegünstigten Zweckbetrieb zuordnen. Dies kann Steuervorteile für betroffene Körperschaften bieten.

 

 

 

1 BT-Drs. 19/25160, 202.

2 Art. 50 Abs. 1 JStG 2020 v. 21.12.2020, BStBl. I S. 3096.

Kontakt

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Julia Agapova , LL.M.

Steuerberaterin, Master of Laws (Steuerrecht & Steuerlehre)

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Diana Haidar

Bachelor of Laws Wirtschaftsrecht, Steuerassistentin, Prüfungsassistentin

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