Wird die Kommunalisierung von Strom- und Gasnetzen nun einfacher? – BGH stärkt Rechte der Neukonzessionäre

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veröffentlicht am 27. Oktober 2014

 

Kommunen sind verpflichtet, nach Ablauf eines Strom- bzw. Gaskonzessionsvertrages einen diskriminierungsfreien und transparenten Wettbewerb um das Recht zur Nutzung der öffentlichen Verkehrswege für den Betrieb der Versorgungsnetze durchzuführen. Führt dieses Verfahren dazu, dass die Konzessionen einem neuen Netzbetreiber – etwa einer kommunalen Gesellschaft oder einem Stadtwerk – zu erteilen ist, so steht diesem Neukonzessionär ein Anspruch auf Herausgabe des Versorgungsnetzes zu. Dieser Anspruch führt in der Praxis regelmäßig zu kontrovers geführten Netzübernahmeverhandlungen. Mitte August wurden nun die Entscheidungsgründe zu dem Beschluss des BGH vom 3. Juni 2014 (EnVR 10/13) veröffentlicht. Hierbei ging der BGH auf ganz wesentliche, im Rahmen von Netzübernahmen regelmäßig relevante Streitthemen ein und sorgte damit für einen Paukenschlag.

 

Ausgangssituation – unklare Rechtslage

Nach § 46 Abs. 2 S. 2 EnWG ist der bisherige Nutzungsberechtigte verpflichtet, dem Neukonzessionär seine für den Betrieb der Netze der allgemeinen Versorgung im Gemeindegebiet notwendigen Verteilungsanlagen gegen Zahlung einer wirtschaftlich angemessenen Vergütung zu übereignen. Diese gesetzliche Regelung enthält gleich mehrere unbestimmte und daher stets umstrittene Rechtsbegriffe. Neben der Frage, welche Verteilungsanlagen für den Betrieb der Netze „notwendig” sind, war insbesondere die Frage der Ermittlung der „wirtschaftlich angemessenen Vergütung” regelmäßig Gegenstand von Auseinandersetzungen.

 

Übereignungsanspruch umfasst auch gemischt genutzte Leitungen

Streitig war bislang stets der Umfang des Übereignungsanspruchs im Hinblick auf sogenannte gemischt genutzte Leitungen, die sowohl der Versorgung des Gemeindegebiets als auch anderer Versorgungsgebiete dienen. In seinen Entscheidungsgründen kommt der BGH zu dem Ergebnis, dass nach allgemeinem Sprachgebrauch „notwendig” alle Anlagen sind, die nicht hinweg gedacht werden können, ohne dass der neue Konzessionsnehmer seine Versorgungsaufgabe nicht mehr wie der frühere Netzbetreiber erfüllen könnte.
Die Bestimmung des Übereignungsanspruchs hat damit ausdrücklich auf der Grundlage einer funktionalen Abgrenzung der betreffenden Anlagen zu erfolgen. Entscheidend ist zunächst, ob die jeweiligen Anlagen für die Versorgung des Gemeindegebiets relevant sind. Damit ist erstmals höchstrichterlich geklärt, dass auch gemischt genutzte Mittelspannungsleitungen dem Übereignungsanspruch nach § 46 Abs. 2 S.2 EnWG unterfallen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn an die besagten Mittelspannungsleitungen im Netzgebiet zumindest ein Letztverbraucher direkt angeschlossen ist. Ob der Herausgabeanspruch auch dann besteht, wenn Letztverbraucher nur mittelbar, d.h. über Niederspannungsleitungen an die gemischt genutzten Leitungen angeschlossen sind oder aber auch gemischt genutzte Umspannwerke vorhanden sind, lässt der BGH dagegen bislang offen. Bei diesen Fragen ist daher weiterhin mit Diskussionen zwischen abgebendem und übernehmendem Netzbetreiber zu rechnen.

 

Ertragswert maßgeblich für Kaufpreis

Ein weiterer „Knackpunkt” bei Netzübernahmeverhandlungen war neben dem Umfang der zu übernehmenden Anlagen regelmäßig auch die Frage des wirtschaftlich angemessenen Kaufpreises. Fraglich war dabei, ob die sogenannte „Kaufering-Rechtsprechung” des BGH aus dem Jahr 1999 auch für die aktuelle Rechtslage anwendbar ist. Auch hierzu hat sich der BGH nun geäußert und festgestellt, dass zur Berechnung der Vergütung  nach den Grundsätzen der Kaufering-Entscheidung sowohl der Ertragswert als auch der Sachzeitwert zugrunde gelegt werden. Es sei denn, dass der Sachzeitwert den Ertragswert des Versorgungsnetzes nicht unerheblich übersteigt. Für die wesentliche Überschreitung wird dabei eine Abweichung von ca. 10 Prozent als Orientierungshilfe herangezogen. Obwohl der Sachzeitwert nach der Entscheidung also ausdrücklich vereinbart werden darf, macht die Entscheidung deutlich, dass maßgebend für die Bestimmung des Kaufpreises im Ergebnis der Ertragswert sein soll.
 
Jedoch sollte die Klärung der bloßen Frage des anzuwendenden Wertermittlungsverfahrens am Ende nicht überschätzt werden. Ob Ertragswert, Sachzeitwert oder kalkulatorischer Restwert: Im Ergebnis wird der Erfolg eines Kommunalisierungsvorhabens letztlich an der Wirtschaftlichkeit der Netzübernahme gemessen werden. Dabei darf nicht übersehen werden, dass das nunmehr erneut höchstrichterlich anerkannte Ertragswertverfahren insoweit seine Tücken hat, als bewertungsspezifische Spielräume teilweise erheblich sein können. Im Zuge einer Netzübernahme sollte daher,  neben der für die Ertragswertermittlung erforderlichen objektivierten Planung, zusätzlich ein Businessplan erstellt werden, der die individuelle Sicht des Netzerwerbers abbildet. Zudem sollte die vom Erwerber erwartete Zielrendite auf das eingesetzte Eigenkapital bzw. Gesamtkapital als Prämisse klar festgelegt und auf dieser Basis der Grenzpreis, d.h. der maximale zu zahlende Kaufpreis, ermittelt werden.
 

Vorbehaltskauf

Weitere wesentliche Ausführungen der Entscheidung betreffen die Möglichkeit eines Vorbehaltskaufs. Diese Gestaltung wurde oftmals vom Neukonzessionär angeboten, um die Netzübernahmeverhandlungen zu beschleunigen und die Klärung insbesondere der Kaufpreisfrage auf einen Zeitpunkt nach der Netzübernahme zu verschieben. Einer solchen Lösung haben sich abgebende Netzbetreiber in der Vergangenheit oftmals mit dem Hinweis verweigert, dass nur bei einer abschließenden Einigung über den Netzkaufpreis ein Netzübergang erfolgen muss. Der BGH führt hierzu nun aus, dass der Kauf – wenn auch unter Vorbehalt – zu dem vom Verkäufer geforderten Kaufpreis zustande kommt, wenn sich der neue Konzessionsnehmer den Preisvorstellungen des alten Netzbetreibers beugt, sich aber eine gerichtliche Überprüfung der Angemessenheit des Kaufpreises vertraglich vorbehält. Die bisher verbreitete Verweigerungshaltung vieler abgebender Netzbetreiber kann damit nicht länger aufrechterhalten werden.
 

Fazit und Ausblick

Im Ergebnis hat der BGH mit seinen Ausführungen die grundlegenden Streitfragen geklärt, sodass Netzübernahmen im Zuge von Kommunalisierungsprojekten in der Praxis künftig schneller und effektiver abgewickelt werden können. Zwar kann von einer abschließenden Klärung der Rechtsfragen sicher noch nicht ausgegangen werden. Der vorliegende Beschluss weist jedoch eine klare Richtung: der Wettbewerb um Energieversorgungsnetze darf nicht durch prohibitive Übernahmekonditionen verzögert, be- oder gar verhindert werden. Trotz der Entscheidung des BGH sollten sich Kommunen und Stadtwerke bewusst sein, dass eine Netzübernahme ohne Kompromisse und einem gewissen Maß an Pragmatismus nicht zu einem schnellen Erfolg führen wird. 

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Christian Marthol

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