Multimodale Verkehre als Herausforderung für die etablierten ÖV-Akteure

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veröffentlicht am 1. Januar 2014

 

Die Zukunft der urbanen Mobilität wird multimodal sein. In Städten wie Hamburg, Berlin, Düsseldorf, Stuttgart und Hannover treiben private Fahrzeughersteller seit Jahren die Einführung multimodaler Verkehrsangebote voran.

 

Die etablierten ÖV-Akteure waren und sind hierbei häufig nur Zaungäste dieser Entwicklung. Trotz des großen politischen Interesses und der eindeutigen Präferenz der Kunden für eine verkehrsmittelübergreifende Mobilität haben die Verkehrsverbünde und Verkehrsunternehmen bislang nur sehr zaghaft eigene Ideen und Ansätze hierzu verfolgt. Wenn der ÖPNV auch weiterhin das Rückgrat der Mobilität sein soll, müssen die etablierten Akteure zukünftig die Anforderungen definieren und damit den Rahmen für eine multimodale Mobilität vorgeben.
 

Chancen für den Marktführer nutzen

Verkehrsverbünde und Verkehrsunternehmen bestimmen den öffentlichen Verkehr. Auch für die Ausgestaltung einer multimodalen Zukunft können sie einiges bieten. So hängt der ökonomische
Erfolg multimodaler Angebote maßgeblich von der Einbeziehung in die vorhandenen ÖV-Strukturen ab. Dies gilt etwa für die Tarifanwendung, die Nutzung von Informations-, Zugangs- und Bezahlsystemen und die Nutzung von Haltestellen und Bahnhöfen als gemeinsame Klammer der verschiedenen Mobilitätsangebote. Verkehrsunternehmen und -verbünde sind mit ihrer breiten Angebotspalette und Kundenbasis ein zentraler Bestandteil urbaner Mobilität. Ihnen kommt daher bei den anstehenden Aufgaben eine wichtige Koordinationsfunktion zu. Erst die vielfältige Verbindung und Verknüpfung von Verkehrsmitteln und Wegeketten eröffnet neue Potenziale und Synergien für die etablierten Akteure und die neuen Anbieter: Carsharing-Angebote und Fahrradverleihsysteme können als Ergänzung und Zubringer des ÖPNV die multimodale Alternative zur alleinigen Nutzung des Autos sein. Neue Verkehrsmittel in Form von Elektroautos und E-Bikes bieten zudem neue Chancen durch die Erschließung eines neuen Nutzerkreises. Auch die Zielgruppenbetrachtung zeigt eine hohe Affinität zwischen Carsharing-Kunden und ÖPNV-Nutzung.
 

Rechtliche Anforderungen gestalten

Die bisherige Zurückhaltung der etablierten Akteure mag in der Vielzahl rechtlicher Anforderungen ihre Ursache haben. Zu beachten sind genehmigungs- und kartellrechtliche Fragen sowie die Regelungen des Vergabe-, des Beihilfen- und des Kommunalrechts.
 
Unsicherheiten bestehen bereits bei der rechtlichen Zuordnung solcher Verleihsysteme zum öffentlichen oder privaten Verkehr – und dies mit weitreichenden Konsequenzen: Aus der fehlenden Zuordnung können Rechtsfragen bei der Bereitstellung öffentlichen Parkraums entstehen. So ist unklar, ob eine Kommune berechtigt ist, öffentlichen Parkraum exklusiv für (private) Carsharing-Betreiber vorzusehen, welche ausschließlich private Renditeziele verfolgen. Hilfreich kann sodann die Einbeziehung in ein öffentliches Mobilitätskonzept sein, wonach diese Angebote auch im öffentlichen Interesse sind. Weitere Anforderungen ergeben sich, wenn mehrere Betreiber vor Ort sind und diese um den öffentlichen Parkraum konkurrieren. In diesen Fällen bietet sich die Erstellung einer Satzung an, in der die Zugangs und Nutzungsbedingungen für alle potenziellen Betreiber einheitlich geregelt sind.
 
Sofern die Kommunen selbst oder kommunale Verkehrsunternehmen aktiv werden, können auch die Regelungen zur wirtschaftlichen Betätigung der Kommunen gem. § 104ff. Gemeindeordnung der jeweiligen Länder zu berücksichtigen sein. Insoweit ist genau zu prüfen, ob eine wirtschaftliche Betätigung in Form der Erbringung eigenständiger multimodaler Verkehrsleistungen überhaupt zulässig ist, da diese von der Einordnung als „öffentlicher Verkehr” (vgl. Art. 107 Abs. 3 GO NRW) abhängt.
 
Ferner unterfällt der Betrieb des Carsharings nicht der Genehmigungspflicht nach dem Personenbeförderungsgesetz (PBefG). Aus der Anwendung von Beförderungsentgelten- und  Bedingungen für das Carsharing-Angebot werden aber Änderungen an den genehmigten Beförderungsentgelten und -bedingungen erforderlich, die wiederum nach den Regelungen des PBefG zustimmungspflichtig sind.
 
Zudem unterliegen der Zusammenschluss und die Durchführung von Verkehrskooperationen, wie etwa Verkehrs- und Tarifverbünden, grundsätzlich den kartellrechtlichen Vorgaben des § 1 GWB (Kartellverbot) und §§ 35f. GWB (Fusionskontrolle). Dies gilt auch für die Einbeziehung intermodaler Verkehrsanbieter und deren Integration in eine bestehende Verkehrs- und Tarifkooperation. Diese können zu Auswirkungen auf den Passagiermärkten mit anderen, etablierten Carsharings und zum Ausschluss weiterer Carsharing-ähnlicher Angebote führen. Exklusive Vereinbarungen könnten zudem als Behinderungs-, Preishöhen- und Konditionsmissbräuche bewertet werden, von denen Verkehrsverbünde als „positive Kartelle” des öffentlichen Verkehrs bislang freigestellt waren. Im Falle einer Verletzung des Kartellverbotes oder einer übersehenen vorherigen Fusionskontrollanmeldung droht die Unwirksamkeit der Verträge gem. § 134 BGB, § 41 Abs. 1 S. 2 GWB sowie die Verhängung empfindlicher Geldbußen gem. § 81 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 GWB.
 
Werden öffentliche Mittel oder mittelbare Vorteile zugunsten multimodaler Angebote durch die öffentliche Hand bereitgestellt, können auch die vergaberechtlichen Regelungen zu beachten sein. Ob dabei das Kartellvergaberecht zur Anwendung gelangt, hängt davon ab, ob der Schwerpunkt in der „Beschaffung” einer Leistung der Anbieter von Verleihsystemen liegt oder ob lediglich eine „Förderung” oder „Verwertung” vorgenommen wird. Die Grenzen sind nicht immer leicht zu ziehen.
 
Die Gewährung öffentlicher Mittel und mittelbarer Vorteile muss sich zudem stets an den beihilferechtlichen Vorgaben messen lassen, um eine Verfälschung des Wettbewerbs zu vermeiden. Die maßgeblichen Regelungen ergeben sich aus Art. 93, 106, 107 und 108 des AEUV-Vertrages. Daneben bestehen zahlreiche Sonderregelungen für die Förderung umweltfreundlicher Antriebstechniken, die Erprobung innovativer Verkehrskonzepte, etc. Sofern diese keine Anwendung finden, ergeben sich die Anforderungen aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache Altmark-Trans. Erforderlich ist danach, dass die Parameter für die Berechnung des Ausgleichs zuvor objektiv und transparent definiert werden und eine Überkompensation, insbesondere ein übermäßiger Gewinnaufschlag, vermieden wird. Aufgrund der beihilferechtlichen Gewinnbegrenzung dürften diese Anforderungen nicht immer im Interesse der privaten Betreiber sein. Diese Restriktionen gelten nicht, wenn die Verkehrsdienste und die hierfür bereitgestellten öffentlichen Mittel im Wege einer Ausschreibung und damit im Wettbewerb vergeben werden.
 

Fazit

Soll zukünftig eine integrierte Verkehrsleistung ermöglicht werden, sind Aufgabenträger, Verkehrsverbünde und Verkehrsunternehmen aufgerufen, die hierfür notwendigen rechtlichen, organisatorischen und verkehrlichen Voraussetzungen zu schaffen. Dies betrifft etwa die Einbeziehung in die gesamtstädtische Planung und die Entwicklung von Mobilitätskonzepten und geeigneten Organisationsmodellen, die über die bisherige Rolle der Verkehrsverbünde hinausgehen.

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Jörg Niemann

Diplom-Jurist

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