Kommunen im Klimanotstand – Was bedeutet das und welche Maßnahmen sind sinnvoll zu ergreifen?

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veröffentlicht am 7. Oktober 2019

  

54 Kommunen in Deutschland, darunter die Großstädte Köln und Düsseldorf, haben den Klimanotstand ausgerufen, um Maßnahmen gegen den Klimawandel die höchste Priorität einzuräumen. Sie folgen den Beispielen von Weltmetropolen wie u. a. London, Paris und Vancouver. Aber was bedeutet Klimanotstand eigentlich politisch für die Kommunen? Und welche Maßnahmen können von den Kommunen ergriffen werden?


Am 2.5.2019 rief Konstanz am Bodensee als erste deutsche Stadt diesen undefinierten, neuen Begriff „Klimanotstand” aus. „Klimanotstand” ist kein Rechtsbegriff im eigentlichen Sinne und somit sind keine zusätzlichen rechtlichen Befugnisse damit verbunden. Die formale Ausrufung des Klimanotstandes durch eine legislative Gebietskörperschaft ist vielmehr (oder auch nicht mehr) als ein politischer Appell um Klimaschutz und entsprechende Maßnahmen in den Fokus zu rücken. Letztendlich bekennen sich diese Kommunen damit öffentlich, CO2-Emissionen einzusparen. Das weitere Vorgehen beinhaltet die Prüfung, wie sich ihr Handeln und zu treffende Maßnahmen auf das Klima auswirken und die regelmäßige Berichterstattung. Ziel ist es, die kommunale Klimabilanz zu verbessern.


Offen bleibt jedoch die Frage, wo der kommunale Klimaschutz ansetzen soll. Hierzu hilft ein Blick auf die Verteilung der CO2-Emissionen in Deutschland.


Aus Abbildung 1 wird ersichtlich, dass in Deutschland im Jahr 2017 ohne den Industriesektor 76,5 Prozent der energiebedingten CO2-Emissionen in den Sektoren Wärme, Strom, Gebäude und Verkehr emittiert wurden.

CO2-Emissionen nach Sektoren

Abbildung 1: CO2-Emissionen nach Sektoren in Deutschland 2017 (Datenquelle: Umweltbundesamt 2019; (https://www.umweltbundesamt.de/daten/klima/treibhausgas-emissionen-in-deutschland/kohlendioxid-emissionen#textpart-4).

 

 

Obwohl in der Gesamtbetrachtung in 2017 ein Rückgang der Treibhausgasemissionen in Deutschland zu verzeichnen war, ließ sich im Verkehrssektor ein Anstieg um 2,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahr feststellen (absolut: 3,8 Millionen Tonnen). Als einer der Gründe wird die Erhöhung des Pkw-Bestands gesehen (Anstieg um rund 1,5 Prozent), der wiederum zu höheren Fahrleistungen führt.


Im Jahr 2016 stiegen die absoluten Treibhausgasemissionen im Verkehrssektor ebenfalls an und lagen – erstmals seit 2004 – sogar über den Vergleichswerten des Jahres 1990. Nach Angaben des BMU werden 96 Prozent der Emissionen im Verkehrssektor auf der Straße verursacht. Die übrigen Emissionen werden der Kraftstoffverbrennung auf der Schiene, dem Wasser und dem nationalen Luftverkehr zugeordnet. In der Betrachtung bleibt der internationale Luft- und Seeverkehr unberücksichtigt.

Darüber hinaus wird die Stromnutzung des Straßen- und Schienenverkehrs nicht in den Zahlen des Verkehrssektors abgebildet, sondern im Bereich Energie.3


Abbildung 2 zeigt im inneren Kreis den Primärenergiebedarf (inklusive Industrie) für die Sektoren Wärme (inklusive Gebäude), Strom und Verkehr. Im äußeren Ring werden übergeordnete Ziele dargestellt, die Kommunen im jeweiligen Sektor verfolgen können.


Im folgenden Maßnahmenkatalog werden Ansätze beschrieben, die Kommunen für den Klimaschutz in den Bereichen Energiewirtschaft (Strom & Wärme) und Verkehr umsetzen können. Die Übersicht beinhaltet sowohl kurz- und mittelfristig realisierbare Maßnahmen, als auch langfristige Konzepte.

 

Primärenergiebedarf

Abbildung 2: Primärenergiebedarf nach Sektoren (Datenquelle: Agentur für Erneuerbare Energien 2018).

 

 

Strom:

  • Netzübernahme und Aufbau eigener Stromvertrieb – hiermit Einflussnahme auf Stromeinkauf und -vertrieb in der Kommune
  • Beschaffen von Ökostrom für kommunale Liegenschaften
  • Suchen und Verpachten von Flächen für Photovoltaik/ Windprojekte oder
  • Eigene Photovoltaik-Projekte realisieren auf Basis der EEG
  • Förderung: Konversionsflächen am Rande von Autobahnen, Schienenwegen und Dächern (kommunale Gebäude)
  • Organisieren von Solarinitiativen in Kooperation mit ansässiger Industrie (Nutzung Solarstrom im Eigenverbrauch)
  • Information von Bürgern und Gewerbe zu den Möglichkeiten dezentraler Stromerzeugung
  • Investitionen in LED-Straßenbeleuchtung (Energieeffizienz)
  • Energetische Optimierung von Kläranlagen (Erhöhung Autarkiegrad)

 

Die Dezentralisierung des Stromsektors wird vorangetrieben, um einerseits die Erzeugung für Strom auf bestehende Flächen zu verteilen und um Energieverluste aufgrund langer Wege zwischen Produktions- und Verbrauchsort zu minimieren. Gerade die Elektromobilität sowie die zunehmende Elektrifizierung des Wärmesektors mittels Wärmepumpen werden den Strombedarf mittelfristig ansteigen lassen. Der geplante Kohleausstieg und die Zielsetzung der Bundesregierung, 60 Prozent des Stromes bis 2013 CO2-neutral zu erzeugen, stellen eine große Aufgabe dar, die letztendlich auch auf kommunaler Ebene durch entsprechende Maßnahmen unterstützt werden sollte.

 

 

 

Wärme:

  • Investitionen in Energieeffizienz bei kommunalen Gebäuden
  • Umstellung von fossilen Heizungen auf ökologische Varianten
  • Analyse des Wärmeenergiebedarfs im Kerngebiet der Kommune
  • Identifikation von möglichen Ankerkunden für den Aufbau einer ökologischen Nahwärmeversorgung in dichtbesiedelten Gebieten
  • Integration von Solarthermie in Versorgungskonzepte

 

Der Grundstein, um Wärmeenergie einzusparen, wird durch ein kommunales Energie- und Klimaschutzmanagement gelegt. Zum einen kann durch Investitionen in energetische Sanierungsprojekte die Wärmeenergieeffizienz kommunaler Gebäude optimiert werden. Ab 2019 müssen, gemäß EU-Gebäuderichtlinie, alle Neubauten den Standard eines Niedrigstenergiegebäudes erfüllen. Zum anderen bedarf es der Umstellung von fossilen Heizungen auf ökologische Varianten wie die Wärmepumpe oder Solarthermie, deren Potenzial noch nicht im ausreichenden Maße genutzt wird. Um eine gesicherte und weitgehend klimaneutrale Wärmeversorgung zu gewährleisten, werden bestenfalls mehrere Versorgungskonzepte integriert und miteinander verbunden. Hierfür bietet sich der Aufbau eines ökologischen Nahwärmenetzes an, insbesondere in dicht besiedelten Gebieten. Um dies umzusetzen, ist es essenziell, den Wärmenergiebedarf der Kommune zu analysieren und mögliche Ankerkunden zu identifizieren. Eine effiziente, dekarbonisierte und langfristig auch kosteneffiziente Wärmeversorgung wird im besten Falle multimodal, mithilfe mehrerer verschiedener, miteinander verbundener Technologien gewährleistet. Des Weiteren ist es grundlegend, dass die vorhandenen Mittel systematisch und effizient eingesetzt werden sowie ein mittel- bis langfristiger Betrachtungshorizont gewählt wird.

 

 

 

 Verkehr:

  • Integrierte Betrachtung der Stadt- und Mobilitätsplanung
  • Entwicklung eines intermodalen, vernetzten Mobilitätssystems
  • Umgestaltung des motorisierten Individualverkehrs
  • Berücksichtigung aller Stakeholder der kommunalen Mobilität bei der Konzeptentwicklung (Politik, lokale
    Unternehmen, Bürger aller Altersstufen, bestehende und neue Mobilitätsdienstleister und Verkehrsunternehmen …)

 

Mit dem Klimaschutzplan wurden zahlreiche verkehrliche Ziele beschlossen, um bis zum Jahr 2050 ein weitestgehend treibhausgasneutrales und dekarbonisiertes Verkehrssystem in Deutschland herzustellen.

 

Die Bundesregierung setzt neben alternativen Antrieben, Kraftstoffen und energieeffizienten Fahrzeugen auch auf eine Verkehrsverlagerung. Es wird also ein Anstieg im schienen- und straßengebundenen öffentlichen Personenverkehr sowie in der nichtmotorisierten Nahmobilität (Radfahrer, Fußgänger) angestrebt. Unterstützt werden soll das Ganze durch Sharing-Modelle, den Einsatz digitaler Technologien und die Vernetzung sämtlicher Verkehrsträger zur Stärkung der Inter- und Multimodalität. Darüber hinaus wird im Klimaschutzplan eine verkehrsvermeidende und ganzheitliche Planung von Mobilität und Siedlungsentwicklung betont. Damit ist eine bedarfsgerechte Umgestaltung des Straßenraums und eine Durchmischung städtischer Funktionen gemeint, um mit kürzeren Wegen die Nachfrage nach Mobilität zu reduzieren.

 

 

 

Die zuvor aufgelisteten Handlungsrichtungen zeigen auf, wie ein kommunales Verkehrssystem nachhaltiger gestaltet werden kann. Sie dienen kommunalen Entscheidungsträgern als Orientierung, um einen Beitrag zur Erreichung des Klimaschutzplans zu leisten.

 

FÖRDERMÖGLICHKEITEN

Die übliche Frage bei der Maßnahmenumsetzung ist: Wie sollen die Kommunen die Maßnahmen finanzieren? Hierfür bestehen auf Landesund Bundesebene vielfältige Fördermöglichkeiten, die in Frage kommen können. Beispielsweise fördert das Programm „Klimaschutzinitiative – Kommunale Klimaschutz-Modellprojekte” kommunale Projekte über eine Laufzeit von 4 Jahren mit einem Prozentsatz von bis zu 70 Prozent (bei finanzschwächeren Kommunen bis 90 Prozent). Der Zuschuss kann bis zu 10 Millionen Euro betragen. Kommunen sind angehalten, sich mit ihren Projekten bis zum 31.10.2019 zu bewerben.

 

Speziell im Verkehrssektor sollten bei der Frage nach der Finanzierung bestehende Tarif- und Verbundstrukturen hinterfragt werden. Innovative Preismodelle und der Zusammenschluss von Verbünden können eine multimodale Verkehrsentwicklung berücksichtigen und dabei das öffentliche Mobilitätssystem attraktiver gestalten.

 

Weitere Fördermöglichkeiten bieten die zahlreichen Initiativen des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie und der KfW-Entwicklungsbank an. Sie finden diese unter: https://www.deutschland-machts-effizient.de/KAENEF/Redaktion/DE/Foerderprogramme/D-nachhaltige-gemeinden.html.


Festzuhalten ist, dass die vollständige Dekarbonisierung der jeweiligen Sektoren eine Mammutaufgabe darstellt, bei deren Bewältigung viele Aufgaben auf die Kommunen zukommen.


Für 2018 weist das BMWI gerade mal 14 Prozent des Primärenergieverbrauchs in Deutschland als erneuerbar aus, somit beträgt nach Abzug der Kernenergie der Anteil fossiler Energien noch 80 Prozent.

 

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3 Die Stromnutzung im Straßen- und Schienenverkehr wird im Energiesektor ausgewiesen.

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Kai Imolauer

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