„Zusammen weniger allein” - Interkommunale Kooperation am Beispiel der „Stadtreinigung Hamburg”

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veröffentlicht am 1. Juli 2019

 

Im Wesentlichen regelt § 108 GWB Ausnahmen vom Anwendungsbereich des Vergaberechts für öffentliche Aufträge zwischen öffentlichen Einrichtungen auf vertikaler Ebene (Inhouse-Vergabe). Neben der Inhouse-Vergabe sieht § 108 Abs. 6 GWB eine weitere Ausnahme vom Anwendungsbereich des Vergaberechts für eine Zusammenarbeit auf horizontaler Ebene vor (sog. öffentlich- öffentliche Zusammenarbeit bzw. interkommunale Kooperation).

 

Einführung

Das EU-Vergaberecht ist gemäß § 108 Abs. 6 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) nicht anzuwenden auf Verträge, die zwischen zwei oder mehreren öffentlichen Auftraggebern im Sinne des § 99 Nummer 1 bis 3 geschlossen werden, wenn

  1. der Vertrag eine Zusammenarbeit zwischen den beteiligten öffentlichen Auftraggebern begründet oder erfüllt, um sicherzustellen, dass die von ihnen zu erbringenden öffentlichen Dienstleistungen im Hinblick auf die Erreichung gemeinsamer Ziele ausgeführt werden,
  2. die Durchführung der Zusammenarbeit nach Nummer 1 ausschließlich durch Überlegungen im Zusammenhang mit dem öffentlichen Interesse bestimmt wird und
  3. die öffentlichen Auftraggeber auf dem Markt weniger als 20 Prozent der Tätigkeiten erbringen, die durch die Zusammenarbeit nach Nummer 1 erfasst sind.

Die interkommunale Kooperation nach der Rechtsprechung des EUGHs

Die Vergaberechtsfreiheit interkommunaler Kooperationen wurde erstmals im Jahr 2009 als ungeschriebener Freistellungstatbestand von der Rechtsprechung des EuGH in der Streitsache „Stadtreinigung Hamburg” anerkannt.

 

Ausschlaggebend für den EuGH war zum einen, dass „mit dem streitigen Vertrag eine Zusammenarbeit von Gebietskörperschaften bei der Wahrnehmung einer ihnen allen obliegenden öffentlichen Aufgabe vereinbart” wurde. Zum anderen, dass „der Vertrag zwischen der Stadtreinigung Hamburg und den betreffenden Landkreisen das Ergebnis einer Initiative der Vertragsparteien zur interkommunalen Zusammenarbeit” sei und „Anforderungen enthält, mit denen sichergestellt werden kann, dass die Aufgabe der Abfallentsorgung erfüllt wird”, ferner „im Vertrag […] auch einige Verpflichtungen der vertragsschließenden Gebietskörperschaften vorgesehen” waren, „die mit dem Gegenstand der öffentlichen Aufgabe unmittelbar im Zusammenhang stehen.”1


In dem Folgeurteil „Ordine degli Ingegneri della Provincia di Lecce” aus dem Jahr 2012 komprimierte der Europäische Gerichtshof die Voraussetzungen an eine interkommunalen Kooperation. Die Luxemburger Richter stellten fest, dass EU-Vergaberecht nicht anwendbar ist, „sofern solche Verträge ausschließlich zwischen öffentlichen Einrichtungen ohne Beteiligung Privater geschlossen werden, kein privater Dienstleistungserbringer bessergestellt wird als seine Wettbewerber und die darin vereinbarte Zusammenarbeit nur durch Erfordernisse und Überlegungen bestimmt wird, die mit der Verfolgung von im öffentlichen Interesse liegenden Zielen zusammenhängen”.2


In der weiteren Entscheidung „Piepenbrock” aus dem Jahr 2013 wiederholte der Europäische Gerichtshof die in seinem Urteil „Lecce” zusammengefassten Voraussetzungen einer interkommunalen Zusammenarbeit und verneinte diese im damaligen Streitfall. Dort beauftragte der Kreis Düren die Stadt Düren mit der Gebäudereinigung der landkreiseigenen Liegenschaften gegen Zahlung eines Entgeltes. Das Vergaberecht findet auf einen Vertrag Anwendung, „mit dem – ohne eine Zusammenarbeit zwischen den vertragsschließenden öffentlichen Einrichtungen zur Wahrnehmung einer gemeinsamen Gemeinwohlaufgabe vorzusehen – eine öffentliche Einrichtung eine andere öffentliche Einrichtung mit der Aufgabe betraut, gegen eine finanzielle Entschädigung, die den bei der Durchführung dieser Aufgabe entstehenden Kosten entsprechen soll, bestimmte Büro-, Verwaltungs- und Schulgebäude zu reinigen, wobei die erstgenannte Einrichtung sich die Befugnis vorbehält, die ordnungsgemäße Erfüllung der fraglichen Aufgabe zu kontrollieren, und die letztgenannte Einrichtung sich zur Erfüllung der ihr übertragenen Aufgabe Dritter bedienen darf, die unter Umständen in der Lage sind, zur Durchführung dieser Aufgabe auf dem Markt tätig zu werden […].” 3

 

Die interkommunale Kooperation am Beispiel der „Stadtreinigung Hamburg”  

Anders als bei der Inhouse-Vergabe fehlt es bei der interkommunalen Kooperation an einem Kontrollverhältnis, das grundsätzlich entscheidend für die Vergaberechtsfreiheit ist. An dessen Stelle tritt das Element der Zusammenarbeit. § 108 Abs. 6 GWB soll öffentlichen Auftraggebern die Möglichkeit einräumen, öffentliche Dienstleistungen unter bestimmten Voraussetzungen gemeinsam im Wege der Zusammenarbeit zu erbringen, ohne dass das Vergaberecht zur Anwendung kommt.4 Welche Anforderungen an eine solche Zusammenarbeit zu stellen sind, ist eine der zentralen Fragen bei Prüfung des Vorliegens einer Ausnahme nach § 108 Abs. 6 GWB.

 

Im Fall der „Stadtreinigung Hamburg” hatten die Landkreise Rotenburg (Wümme), Harburg, Soltau-Fallingbostel und Stade mit der Stadtreinigung Hamburg direkt (d. h. ohne Durchführung eines förmlichen Vergabeverfahrens) einen Vertrag über die Entsorgung ihrer Abfälle in der neuen Müllverbrennungsanlage Rugenberger Damm geschlossen.

 

Dem EuGH kam es vor allem darauf an, dass mit dem streitigen Vertrag eine Zusammenarbeit von Gebietskörperschaften bei der Wahrnehmung einer ihnen allen obliegenden öffentlichen Aufgabe – der Abfallentsorgung – vereinbart wurde. Der Vertrag zwischen der Stadtreinigung Hamburg und den betreffenden Landkreisen war das Ergebnis einer Initiative der Vertragsparteien zur interkommunalen Zusammenarbeit und enthielt Anforderungen, mit denen sichergestellt werden konnte, dass die Aufgabe der Abfallentsorgung erfüllt werde. Im Gegensatz dazu ging es in der ablehnenden Entscheidung „Piepenbrock” nicht um die gemeinsame Wahrnehmung einer Gemeinwohlaufgabe.


Im Vertrag waren auch einige Verpflichtungen der vertragsschließenden Gebietskörperschaften vorgesehen, die mit dem Gegenstand der öffentlichen Aufgabe unmittelbar im Zusammenhang standen. Beispielsweise die Zurverfügungstellung nicht selbst durch die Landkreise genutzter Entsorgungskapazitäten und die Übernahmen nicht verwertbarer Müllverbrennungsschlacke. Außerdem mussten sich die Vertragsparteien auch in Notfällen Beistand bei der Erfüllung der ihnen gesetzlich obliegenden Entsorgungspflicht leisten.


Weiterhin ergab sich aus dem Vertrag, dass die in ihm vorgesehene Zusammenarbeit nicht zu Finanztransfers zwischen ihnen führe. Die Erstattung der Kosten gehe nicht über den Teil hinaus, der von den Landkreisen zu tragen sei.


Der Vertrag wurde ausschließlich zwischen öffentlichen Stellen ohne Beteiligung Privater geschlossen und sah keine Vergabe eventuell erforderlicher Aufträge über den Bau und den Betrieb der Anlage vor bzw. präjudizierte sie auch nicht. Hingegen sah die Vereinbarung, die der ablehnenden Entscheidung „Piepenbrock” zugrunde lag vor, dass die öffentliche Einrichtung die Leistungserbringung an einen Dritten übertragen konnte.


Schlussendlich kann eine vergaberechtsfreie Kooperation erfolgen, wenn die „Zusammenarbeit nur durch Überlegungen und Erfordernisse bestimmt wird, die mit der Verfolgung von im öffentlichen Interesse liegenden Ziele zusammenhängen, sodass kein privates Unternehmen bessergestellt wird als seine Wettbewerber”.5

 

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1 EuGH, Urteil vom 9. Juni 2009, C-480/06, „Stadtreinigung Hamburg”.
2 EuGH, Urteil vom 19. Dezember 2012, C-159/11, „Lecce”.

3 EuGH, Urteil vom 13.Juni 2013, C-386/11, „Piepenbrock”.
4 BT-Drs. 18/6281, S. 81.
5 EuGH, Urteil vom 9. Juni 2009, C-480/06, „Stadtreinigung Hamburg”.

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Freya Weber, geb. Schwering

Rechtsanwältin, Fachanwältin für Vergaberecht, Europajuristin (Univ. Würzburg)

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