Städtische Zuwendungen an ein Alten-/ und Pflegeheim sind keine staatlichen Beihilfen im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV

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​veröffentlicht am 18. Januar 2018

 

Autorin: Jana Wollmann

 

Zuwendungen einer kreisfreien Stadt an ein Alten-/Pflegeheim, das ein örtlich geprägtes Einzugsgebiet hat, Standardleistungen im Pflegebereich anbietet und dessen Bewohner nicht aus anderen Mitgliedstaaten, sondern nur aus der näheren Region stammen, stellen keine staatlichen Beihilfen im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV dar. Es handelt sich um rein lokale Fördermaßnahmen ohne Auswirkungen auf den zwischenstaatlichen Handel (Leitsatz).

 

[OLG Nürnberg, Urteil vom 21. November 2017 – 3 U 134/17]

 

Sachverhalt

Der Kläger, Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (BPA), machte gegen die Beklagte, eine kreisfreie Stadt, unter anderem wettbewerbsrechtliche Unterlassungsansprüche geltend. Die kreisfreie Stadt ist zu 100 Prozent an einer Gesellschaft beteiligt, die in ihrem Stadtgebiet ein Alten- und Pflegeheim zur Sicherung des Pflegebedarfs betreibt. Die Gesellschaft dient der Förderung der Wohlfahrtspflege und verfolgt ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige und mildtätige Zwecke. Da die Gesellschaft in den Jahren 2010 bis 2015 ausschließlich Verluste erwirtschaftete, unterstützte die Stadt sie seit 2010 mit Kapitaleinlagen für den Betrieb der Heime sowie für den Neubau des Bürgerheims.


Der Kläger ist ein eingetragener Verein und vertritt die Interessen von privaten Unternehmen der Alten- und Behindertenhilfe, der ambulanten Dienste und sonstiger sozialer Dienste. Nach seiner Satzung ist sein Verbandszweck die Wahrnehmung der beruflichen und sozialen Interessen seiner Mitglieder als Unternehmer sozialer Dienste gegenüber der Öffentlichkeit. Zu seinen Aufgaben gehört auch Wettbewerbsverstößen entgegenzuwirken, soweit diese die Interessen seiner Mitglieder berühren. Er sieht in den Zuwendungen der Beklagten an die Gesellschaft staatliche Beihilfen, die mangels Notifizierung bei der Europäischen Kommission gegen das Durchführungsverbot des Art. 108 Abs. 3 AEUV verstießen. Außerdem liege eine Ungleichbehandlung vor, weil nur der Zuwendungsempfängerin nicht aber anderen in der Gemeinde ansässigen Pflegeheimbetreibern eine Existenzgarantie in Form jährlicher Investitionszuschüsse sowie Verlustübernahmen gewährt werde, obwohl die Angebote und Leistungen sämtlicher Betreiber unter allen maßgeblichen Gesichtspunkten vergleichbar seien. Im Hinblick darauf macht er Ansprüche gemäß §§ 3, 3a, 8 Abs. 1 UWG i.V.m. Art. 108 Abs. 3 AEUV bzw. Art. 3 Abs. 1 GG geltend und hat die Beklagte auf Unterlassung von Ausgleichszahlungen, Übernahme nicht verzinster oder nicht marktüblich verzinster Bürgschaften sowie sonstiger Beihilfen im Sinne der Art. 107 ff. AEUV zugunsten der Gesellschaft in Anspruch genommen.


Das vorinstanzliche Landgericht hat die Klage wegen fehlender Binnenmarktrelevanz der streitgegenständlichen Finanzhilfen nach Art. 107 Abs. 1 AEUV als unbegründet abgewiesen. Dagegen wandte sich der Verband mit Berufung an das OLG Nürnberg.

 

Aus den Gründen

Das OLG Nürnberg bestätigte die vorinstanzliche Entscheidung. Ein Verstoß gegen das Durchführungsverbot des Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV liege nicht vor, da die gewährten Zuwendungen keine staatlichen Beihilfen nach Art. 107 Abs. 1 AEUV darstellen, da das Merkmal der Binnenmarktrelevanz fehlt, so das OLG Nürnberg. Bei den angegriffenen Zuwendungen handele es sich um rein lokale Fördermaßnahmen ohne Auswirkungen auf den Handel innerhalb der Union.


Das Gericht prüfte dabei die im Jahre 2016 von der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BGH, Urteil vom 24. März 2016 - I ZR 263/14 - Kreiskliniken Calw), die auch von der Kommission ergangene Entscheidungen einbezieht, entwickelten Maßgaben, wann eine Beihilfe im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AUEV und wann eine den Handel nicht beeinträchtigende, lediglich lokal wirkende Zuwendung vorliegt. Zu berücksichtigen wären danach insbesondere folgende Kriterien, die gegen eine grenzüberschreitende Bedeutung sprechen:

 

  • das Einzugsgebiet des Beihilfeempfängers und seine überwiegende Bedeutung für die regionale Versorgung mit der angebotenen Dienstleistung,
  • die Erbringung von Standardleistungen (keine Spezialisierungen),
  • geringes Aufsuchen durch ausländische Besucher, da das Unternehmen sich auch nicht gezielt auf diese einrichtet, z.B. durch Vorhalten von mehrsprachigem Personal/ mehrsprachiges Angebot und Websitenauftritt und
  • die geographische Lage und Entfernung des begünstigten Unternehmens von der nächsten „innereuropäischen” Grenze.


Das Gericht sah die Voraussetzung für die Verneinung der Binnenmarktrelevanz als gegeben an. Eine medizinische Einrichtung, die ein örtlich geprägtes Einzugsgebiet hat und Standardleistungen im Pflegebereich anbietet sei nicht binnenmarktrelevant, wenn sie vorwiegend Patienten aus der Region versorge, argumentierten die Richter. Aufgrund der Verneinung staatlicher Beihilfe hat das Gericht offengelassen, ob es sich bei den gewährten Zuwendungen um Zuwendungen zur Erbringung von Dienstleistungen von öffentlichem Interesse (DAWI) im Sinne des Art. 106 Abs. 2, 3 AEUV handelt, die von der Notifizierungspflicht des Art. 108 AEUV befreit sind.


Der Senat sah auch keinen Anlass für eine Zulassung der Revision zum Bundesgerichtshof. Die Rechtssache hätte nach Auffassung des Senats weder grundsätzliche Bedeutung noch gebiete die Fortbildung des Rechts eine Zulassung der Revision, da die der tatrichterlichen Würdigung des Senats zugrunde liegenden Rechtsfragen bereits höchstrichterlich geklärt seien. Nichtsdestotrotz betonten die Richter, dass es sich hierbei um eine Einzelfallentscheidung handelt.

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Norman Lenger-Bauchowitz, LL.M.

Mediator & Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Fachberater für Restrukturierung & Unternehmensplanung (DStV e.V.)

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