Physikalische Forschung für rentable On Demand-Mobilität im ländlichen Raum

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​veröffentlicht am 21. März 2018

 

Das Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation (MPIDS) in Göttingen ist interdisziplinär aufgestellt und untersucht dynamische Phänomene und Strukturen verschiedener Fachrichtungen. Die Besonderheit dabei ist, dass die Systeme trotz ihrer unterschiedlichen fachlichen Zuordnung ähnlichen Gesetzmäßigkeiten folgen und mit ähnlichen Methoden erforscht werden können. Seit März 2017 wird das MPIDS durch den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung gefördert. Mit dem EcoBus-Projekt nimmt das Institut die bedarfsgerechte On Demand-Mobilität unter die Lupe. Physikalische Grundlagenforschung wird mit Erkenntnissen aus Pilotvorhaben angereichert und schließlich angewendet. Der Fokus der Umsetzung liegt auf dem ländlichen Raum.

 

RP: Der EcoBus soll zu einem effektiven, intermodalen öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) beitragen und von lokalen Verkehrsunternehmen durchgeführt werden. Was war die Motivation, den ländlichen Raum in den Fokus des Vorhabens zu stellen?

 

In der Tat ist ein On Demand Ridesharing-System sowohl für Ballungsgebiete – dort geht es darum, den Verkehrsinfarkt zu vermeiden und der Umweltproblematik Herr zu werden – als auch für den ländlichen Raum interessant, wo es darum geht, überhaupt erst einen attraktiven öffentlichen Verkehr anbieten zu können und so eine ernsthafte Alternative zum Privat-Pkw bereitzustellen. Erst damit bekommen auch die Teile der Bevölkerung auf dem Lande, die noch nicht (Jugendliche), nicht mehr (Senioren) oder aus ökologischer Überzeugung bzw. finanziellen Gründen nicht mit dem Pkw unterwegs sind, eine selbstbestimmte Mobilitätsoption, wie sie in städtischen Regionen selbstverständlich ist. Dies ist auch ein wichtiger Baustein, um den demographischen Herausforderungen im ländlichen Raum zu begegnen.

 

Dieser Aspekt war für uns spannend genug, um das Problem anzugehen und uns beim Südniedersachsenprogramm um die Fördermittel zur Stärkung des ländlichen Raumes in unserer direkten Nachbarschaft zu bewerben. Wir haben auch festgestellt, dass sich die meisten Mitbewerber eher auf die großen Ballungsräume konzentrieren und der ländliche Raum bisher häufig vernachlässigt wurde.

 

RP: Im ländlichen Raum ergeben sich besondere Herausforderungen hinsichtlich geringer Auslastung, großer Distanzen und tendenziell schlechterer Netzqualität. Wie gehen Sie mit den besonderen Rahmenbedingungen bei der Erstellung des Konzepts um?

 

Es wird im ländlichen Raum sicherlich andere Erwartungen geben als in den Metropolen. Während man in der Großstadt verlangt, dass ein Shuttle praktisch sofort zur Verfügung steht und kaum Umwege fährt, damit es noch bequemer ist als der in der Regel ja doch vorhandene ÖPNV, ist man im ländlichen Bereich eher bereit, etwas länger zu warten und Umwege zu fahren, und freut sich, dass es überhaupt eine Verbindung gibt. Daraus ergeben sich auch Chancen, dass das Pooling ggf. sogar besser funktionieren könnte als in der Großstadt. Diese Erfahrungen könnten für uns auch spannend sein.

 

Zum Thema schlechterer Netzempfang haben wir insofern vorgesorgt, als wir die Mobilfunksignale aller drei deutschen Netzanbieter verwenden werden, um die Funklöcher so klein und die Verbindungsunterbrechungen so kurz wie möglich zu halten. Und da dies ja nun mal bis auf Weiteres die Realität im ländlichen Raum bleiben wird, ist es eben auch wichtig, hiermit technisch zurechtzukommen. Man könnte also auch salopp sagen: „If we can do it here, we can do it everywhere.”

 

RP: Das EcoBus-Projekt beinhaltet zunächst ein Jahr physikalischer Grundlagenforschung. Mit welchen Aspekten setzen Sie sich währenddessen auseinander und mit welchen Ergebnissen rechnen Sie?

 

Wir sind ja Grundlagenforscher und möchten zunächst einmal ein Verständnis für die Klasse aller denkbaren Ridesharing-Modelle entwickeln. Und hier liegt unser Fokus langfristig ganz klar in der intelligenten Verknüpfung der Verkehrsträger, so dass zukünftig den Nutzerinnen und Nutzern auch zuverlässige und einfach handzuhabende multimodale Wegeketten aus einer Hand angeboten werden können.

 

Natürlich können wir nicht erwarten, dass wir bei den zeitlich und örtlich begrenzten Pilotversuchen schon das perfekte Mobilitätsmodell der Zukunft präsentieren werden. Vielmehr rechnen wir damit, dass wir mit den Pilotversuchen viele wichtige Erkenntnisse gewinnen, welche Aspekte für eine Weiterentwicklung des Algorithmus' entscheidend sind.

 

RP: Nach einem Jahr Grundlagenforschung sollen die Ergebnisse in praktischen Pilotvorhaben erprobt werden. Nach welchen Kriterien werden Sie die Testfelder auswählen? Rechnen Sie mit der Übertragbarkeit auf andere Regionen?

 

Unser Förderprogramm gibt vor, dass wir uns im Raum Südniedersachen bewegen, daher planen wir Pilotvorhaben in den drei dazugehörenden Landkreisen Northeim, Goslar und Göttingen – was im wahrsten Sinne des Wortes naheliegend ist, weil unser Institut mit allen Wissenschaftlern eben auch hier in Göttingen ansässig ist und so kurze Wege zwischen der Forschung und den Praxistests möglich sind.

 

Die konkreten Piloträume haben die Aufgabenträger dort vorgeschlagen, wo aus ihrer Sicht einerseits Bedarf an einem On Demand-Verkehr ist – z.B. weil es in bestimmten Relationen noch gar kein ÖPNV-Angebot gibt oder dieses als ungenügend angesehen wird. Natürlich werden wir bei unseren Pilotversuchen noch keinen bestehenden Linienverkehr ersetzen. Daher kam es den Aufgabenträgern auch darauf an, dass die bestehenden lizenzierten Verkehrsunternehmen möglichst wenig betroffen sind. Für uns als Forschungsinstitut war es hingegen wichtig, dass die Piloträume so zugeschnitten sind, dass wir ein zusammenhängendes sinnvolles Bediengebiet haben, aus dem wir auch die erhofften Erkenntnisse gewinnen können. Dass diese unterschiedlichen Sichtweisen zum Teil nicht einfach unter einen Hut zu bekommen sind, kann man sich sicherlich vorstellen.

 

Auf unserer Pressekonferenz am 8. März 2018 haben wir gerade verkündet, dass wir am 10. Juni 2018 im Landkreis Northeim im Raum Bad Gandersheim parallel zu den dortigen bekannten Domfestspielen starten werden, und ab Sommer 2018 ist ein an die Landkreise Goslar und Göttingen übergreifender Flächenpilot im Westharz geplant.

 

Wir rechnen fest damit, dass wir die Erkenntnisse aus dem ländlichen Raum Südniedersachsens auch auf andere ländliche Gebiete Deutschlands und ähnlich strukturierter Staaten übertragen können.

 

RP: Die Umsetzung des EcoBus soll den ÖPNV sinnvoll ergänzen. Wie schätzen Sie die Befürchtungen ein, dass der ÖPNV nicht substituiert wird? Könnte stattdessen mehr Verkehrsaufkommen entstehen?

 

Der EcoBus soll ja gerade Teil des ÖPNVs sein und diesen neben Bahn und Linienbus eben dort ergänzen, wo es aus Kunden- und Betreibersicht sinnvoll ist. Ziel des EcoBusses ist es, die Hauptlinien zu stärken, indem diesen Verkehrsmitteln zusätzliche Fahrgäste aus der Fläche zugeführt werden (Stichwort „erste und letzte Meile”). Dadurch, dass sich die Haupt-Buslinien ganz auf die Hauptroute konzentrieren können und die vielen heute üblichen Schlenker durch neben der Route liegende Ortschaften nicht mehr zu machen brauchen, können diese Linien dann auch beschleunigt und damit attraktiver werden.

 

Eine Substitution kann es höchstens da geben, wo zur Zeit noch ein schwach genutzter Linienbus verkehrt. In diesen Bereichen könnte dann zukünftig in der Tat statt dessen ganz nach Bedarf der EcoBus fahren. Und genau das ist dann ja auch von den Kundinnen und Kunden sowie den ÖPNV-Aufgabenträgern so gewollt, weil es bequemer und wirtschaftlicher ist.

 

Für uns ist klar, dass durch die Einführung von On Demand Ridepooling keinesfalls die Situation wie derzeit z.B. in New York entstehen darf, wo unkoordiniert unabhängig vom bestehenden ÖPNV viele hundert zusätzliche On Demand Fahrzeuge zusätzlich die Straßen verstopfen und schlimmstenfalls sogar noch Fahrgäste von Bussen und Bahnen abgezogen werden.

 

RP: Die klassischen, analogen Ruf-Taxis werden überwiegend unrentabel betrieben. Wie schätzen Sie die Aussichten mit dem EcoBus ein, dass trotz der besonderen Rahmenbedingungen im ländlichen Raum ein wirtschaftlicher Betrieb gegeben ist?

 

Wirtschaftlich bedeutet ja nicht unbedingt, dass man mit dem EcoBus im ländlichen Raum einen Gewinn erzielen müsste. Es wäre ja schon ein Fortschritt, wenn man bei ähnlichem Zuschussbedarf eine deutlich bessere Bedienqualität erreichen könnte. Unsere wissenschaftlichen Ergebnisse legen nahe, dass das theoretisch funktionieren müsste, wenn man das System nur attraktiv genug macht. Und mit unseren Pilotversuchen wollen wir ja wie bei einem Laborexperiment überprüfen, ob unsere Annahmen richtig sind.

 

RP: Die Buchung des EcoBus kann über eine entsprechende App, einer Plattform im Internet, telefonisch oder auch persönlich in einer der Mobilitätszentralen erfolgen. Wie viel Vorlaufzeit muss der Nutzer zwischen Buchung und Nutzung einplanen?

 

Im Gegensatz zu den klassischen Anruf-Verkehren, wo ja meistens 30 oder 60 Minuten im Voraus gebucht werden muss, funktioniert die Buchung beim EcoBus in Echtzeit. Das heißt, man bekommt sofort innerhalb von Sekunden eine Abfahrtszeit des EcoBusses angeboten. Je nach aktueller Position der Fahrzeuge, des gewünschten Abfahrtsortes und der Auftragslage muss man dann natürlich noch ein paar Minuten auf sein Fahrzeug warten. Gerade im ländlichen Raum können das dann zwar auch schon mal 15 oder 20 Minuten sein, aber das ist ja bei einem Taxi auch nicht anders und verglichen mit einer bestenfalls stündlichen oder meist noch schlechteren Bus-Taktung schon ein Quantensprung in der Angebotsqualität.

 

RP: Wie reagieren die etablierten Mobilitätsdienstleister auf das EcoBus-Konzept?

 

Mit den örtlichen Aufgabenträgern, also dem Zweckverband Verkehrsverbund Süd-Niedersachsen und dem Regionalverband Großraum Braunschweig arbeiten wir ja als Kooperationspartner ganz eng im Projekt zusammen. Diese Zweckverbände haben selbst ein großes Interesse daran herauszufinden, ob der EcoBus auch langfristig etwas für die Verkehre in ihren Gebieten wäre. Und für den Betrieb der Busse konnten die Aufgabenträger ein ansässiges Busunternehmen gewinnen, das auch schon im Linienbetrieb im selben Gebiet tätig ist und hier auch innovative Wege mitgehen möchte.

 

Auf den ersten Blick könnte man vermuten, dass die Taxibranche der Verlierer bei einem solchen On Demand-Verkehr sein müsste. Wir sehen aber auch hier den kooperativen Ansatz: Beispielsweise könnten Taxiunternehmen zukünftig auch den Betrieb der EcoBusse komplett oder als Spitzenzeitergänzung übernehmen und so ihr derzeitiges Angebot ausweiten. Wir gehen auch davon aus, dass durch das Ridesharing und die damit verbundenen geringeren Fahrpreise das Volumen dieser flexiblen Haus-zu-Haus-Beförderungen stark zunehmen wird und der „Kuchen” für die Branche insgesamt – zulasten des Privat-Pkws – größer wird. Und schließlich wird es auch zukünftig immer Bedarf an einem „ungeteilten”, privaten Taxi mit besonderem Service geben, z.B. für eilige Geschäftsreisende oder auch für Krankentransporte. Diese Segmente kann und will der EcoBus gar nicht abdecken.

 

RP: Vielen Dank für das Gespräch.
 
Dieses Interview führten Herr Michael Patscheke, Mobilitätsmanager am Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation (MPIDS) und Nicole Biedermann, Koordinatorin Smart Mobility bei Rödl & Partner.

 

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