Münster als Vorreiter bei der Vereinfachung des ÖPNV

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veröffentlicht am 4. April 2018

 

Während viele Kommunen und Städte noch darüber diskutieren, zeigen die Stadtwerke Münster bereits seit fünf Jahren, wie ein praktischer und attraktiver öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV) funktionieren kann. Das 90 MinutenTicket macht es möglich: Mit dem eTicket können Bus und Bahn im Stadtgebiet Münster bargeldlos genutzt werden. Ein einfacher Check-In am Kartenlesegerät beim Einstieg genügt und der Fahrgast kann für 2 Euro 90 Minuten lang beliebig oft den öffentlichen Nahverkehr nutzen.

 

Das eTicket ist übertragbar, Kosten fallen lediglich für die durchgeführten Fahrten an. Bei Überschreitung der 90 Minuten muss erneut eingecheckt werden. Dem Fahrgast wird allerdings eine Bestpreis-Garantie eingeräumt, sodass er maximal den Preis eines Tagestickets von 4,50 Euro bezahlt.

 

RP: Münster ist für seine attraktiven Bedingungen für Fahrradfahrer bekannt. Was war die Motivation, auch den ÖPNV zu stärken? Gibt es Bestrebungen, die Kombination beider Verkehrsmittel zu fördern? Das Fahrrad könnte bspw. zur Überbrückung der ersten/letzten Meile dienen.

 

Das 90 MinutenTicket ist eines von mehreren Produkten, die auf der Stadtwerke-Kundenbindungskarte „PlusCard” buchbar sind. Auf der Chipkarte können außerdem ÖPNV-Abos sowie multimodale Services genutzt werden: Fahrrad- und Autoparken oder Carsharing z.B. Die attraktiven Services bringen für die Mobilität unserer Energie- und Verkehrskunden deutliche Bequemlichkeitsvorteile und sollen die Bindung an das Unternehmen erhöhen.

 

Unser Ziel ist, dass Gelegenheitskunden möglichst einfach Bus fahren können, wir haben viele Zugangshemmnisse zum System ÖPNV abgebaut. Das heißt: nicht mehr überlegen, welches Ticket für den jeweiligen Zweck das günstigste ist oder ob das Kleingeld für den Kauf reicht. Spezielles Ziel beim 90 MinutenTicket war es zudem, die Fahrtabwicklung in den Bussen zu beschleunigen und Verlustzeiten zu reduzieren. Hierzu zählt die Reduzierung der kostenintensiven Verkäufe beim Fahrer inklusive des Bargeldhandlings und aller nachlaufenden Prozesse.

 

Die Kombination mit dem Fahrrad haben wir durch den Service „Leezenbox” („Leeze” = Fahrrad) realisiert. Mit der Chipkarte kann man sein Rad an multimodalen Verknüpfungspunkten beleuchtet, wettergeschützt und videoüberwacht sicher abstellen.

 

RP: Was waren Ihre Überlegungen bei der Erstellung des eTicket-Modells? Welche Nutzersegmente werden mit dem eTicket hauptsächlich angesprochen?

 

Das Ticket sollte günstiger sein als alle anderen Tickets für gelegentliche Fahrten und dem Kunden durch den Tagespreis Sicherheit bieten. Zur Zielgruppe zählen Spontannutzer mit ein bis zwei Fahrtanlässen pro Monat, aber auch häufigere Gelegenheitsnutzer unterhalb der Preisschwelle für ein Abo. Trotz der anspruchsvollen Technik im Hintergrund konnte die Nutzung des Tickets so einfach gestaltet werden, dass überraschenderweise ein hoher Anteil Kunden aus der Altersgruppe „60+” das Ticket nutzt.

 

RP: „Spontan in den Bus, bargeldlos und immer günstig im gesamten Stadtgebiet Münster mobil.” – mit diesem Slogan wird das 90 MinutenTicket beworben. Wie hat sich die Vereinfachung der ÖPNV-Nutzung auf die Fahrgastzahlen ausgewirkt?

 

Die Anzahl registrierter Kunden stieg innerhalb von fünf Jahren auf über 55.000, was für eine Stadt von 310.000 Einwohnern mit 60.000 Studenten ein sehr hoher Marktanteil ist. Die Fahrgastzahl entwickelte sich von 2012 bis 2017 von 35,7 Mio. auf 45,3 Mio. Fahrgäste. Das 90 MinutenTicket hat einen starken Anteil hieran und hat vor allen Dingen für eine bessere Auslastung in den Schwachlastzeiten gesorgt.

 

RP: Durch die Bestpreis-Garantie ist der Fahrgast mit dem eTicket immer mit dem günstigsten Tarif in Münster unterwegs. Wie erfolgt die Abrechnung, werden die angefallenen Kosten für den Kunden am Monatsende aufgeschlüsselt dargestellt?

 

Der Kunde erhält über alle Fahrten eines Monats eine Abrechnung im Folgemonat. Hier gibt es auf Wunsch auch einen „Einzelfahrtennachweis” zur besseren Nachvollziehbarkeit, ähnlich einer Mobilfunkrechnung.

 

RP: Was haben Sie bei der Einführung des 90 MinutenTickets am ÖPNV-Angebot geändert? Gab es eine Erweiterung, um ein etwaiges Mehraufkommen an Fahrgästen effizient transportieren zu können?

 

Das ÖPNV-Netz wurde Ende 2016 grundlegend erneuert und durch die stark gestiegene Gesamtfahrgastzahl nachfragegerecht optimiert, u.a. mit der Einführung einer neuen Ringlinie. Da das 90 MinutenTicket überwiegend vorhandene Fahrten außerhalb der Spitzenzeiten besser ausgelastet hat, haben wir die Fahrplanverbesserungen anhand der Gesamtnachfrage geplant.

 

RP: Wie der ÖPNV attraktiver gestaltet werden kann, wird derzeit viel diskutiert. Welche Empfehlungen können Sie aus Ihren Erfahrungswerten an andere Städte und Kommunen weitergeben?

 

eTicket-Lösungen können Zugangsbarrieren zum ÖPNV im Tarif und Vertrieb abbauen. Allerdings müssen alle neuartigen Lösungen auch massentauglich sein und neben attraktiven Tarifprodukten und multimodalen Erweiterungen muss natürlich auch die Angebotsseite stimmen. Hier geht es in der Zukunft in den Städten im Kern um die Neuaufteilung der Flächen zwischen ÖPNV, Fahrrad und motorisiertem Individualverkehr. Wer mit einem innovativen Produkt trotzdem im Stau steht, hat nichts gewonnen.

 

RP: Gibt es Pläne, das 90 MinutenTicket zukünftig weiter auszubauen? Im Kontext aktueller Diskussionen um Mobilitätsplattformen wäre vorstellbar, dass das Ticket auch bald über eine App verfügbar sein wird?

 

Die Zukunft des 90 MinutenTickets liegt sicherlich im Smartphone, kombiniert mit den aktuell diskutierten Check-In/Be-Out-Technologien. Hier wird sich sicher zeitnah ein funktionierendes Verfahren herauskristallisieren. Für einen Markterfolg muss allerdings speziell in Deutschland die gesellschaftliche Akzeptanz für mobile Payment und mobile Ticketing noch stärker voranschreiten.

 

RP: Vielen Dank für das Gespräch.

 

Dieses Interview führten Herr Frederick Koddenberg, Abteilungsleiter Verkehrswirtschaft der Stadtwerke Münster GmbH und Nicole Biedermann, Koordinatorin Smart Mobility bei Rödl & Partner.

 

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