StVG Novelle des BMVI nimmt Form an – Technische Anforderungen an das autonome Fahren (Teil 1)

PrintMailRate-it

veröffentlicht am 17. September 2020


Fahrzeuge mit autonomer Fahrfunktion haben neue technische Fähigkeiten und müssen nur innerhalb ihres Betriebsbereiches die Verkehrsvorschriften einhalten können.

Wie in der Kompassausgabe vom 24.06.2020 bereits dargestellt, arbeitet das BMVI derzeit an einer StVG-Novelle, die nun auch den Einsatz von Fahrzeugen mit autonomer Fahrfunktion gestatten soll. Inzwischen liegt uns ein Entwurf der Novelle inklusive Verordnung und Anlagen vor, sodass ein vertiefter Einblick möglich wird.

Geregelt werden sollen autonome Fahrfunktionen, die dem SAE-Level 4 entsprechen und nur innerhalb ihres Betriebsbereiches fahrzeugführerlos und somit selbstständig fahren dürfen. Gänzlich autonom fahrende Fahrzeuge (die dem SAE-Level 5 entsprechen) und unabhängig von einem Betriebsbereich selbstständig fahren können, regelt die Novelle nicht. Die folgende technische Anforderungen sind dabei besonders interessant.

 

Vorschriften adressieren das Fahrzeug „selbst”

Das Fahrzeug muss in der Lage sein, den an die Fahrzeugführung gerichteten Verkehrsvorschriften „selbst” zu entsprechen. Bei diversen Vorschriften der StVO müssen daher die Adressaten geändert werden, da es nun nicht mehr heißt „Der Führer eines Kraftfahrzeuges darf (…)”, sondern „Kraftfahrzeuge dürfen (…)”.

 

Es müssen nur „relevante” Verkehrsvorschriften eingehalten werden können

Der Gesetzgeber geht davon aus, dass die Fahrzeuge mit autonomer Fahrfunktion (noch) nicht in der Lage sein werden, alle bisher an einen menschlichen Fahrzeugführer gerichteten Verkehrsvorschriften nun „selbst” einhalten zu können. Um die fortschrittliche Technologie, von der sich auch eine Reduzierung der Verkehrstoten versprochen wird, trotzdem zur Anwendung kommen zu lassen, befreit der Gesetzgeber diese Technologie von der Pflicht, alle an die Fahrzeugführung gerichteten Verkehrsvorschriften einhalten können zu müssen.


Dies mag auf den ersten Blick paradox klingen, führt aber in Kombination mit den zugelassenen Betriebsbereichen zu einem sinnvollen Ergebnis. Durch die Betriebsbereiche wird gewährleistet, dass die an die Fahrzeugführung gerichteten Verkehrsvorschriften, die systemseitig derzeit nicht eingehalten werden können, überhaupt erst gar nicht relevant werden. Innerhalb seines Betriebsbereiches kann das Fahrzeug dann die dort relevant werdenden an die Fahrzeugführung gerichteten Verkehrsvorschriften einhalten.


Wenn das System beispielsweise nicht in der Lage ist, adäquat auf das Verkehrszeichen mit dem Hinweis „Wildwechsel“ zu reagieren, da es mangels menschlicher Intuition nicht entscheiden kann, ob ein Abblenden, Verringern der Geschwindigkeit oder Ausweichen erforderlich ist, dann müssen Strecken mit möglichem Wildwechsel als Betriebsbereich ausgeschlossen werden.

Nicht alle Vorschriften, die von einem System nicht eingehalten werden können, lassen sich jedoch durch einen Betriebsbereich, in dem diese Vorschriften nicht relevant werden können, ausschließen. Dies gilt insbesondere für sonstige, nicht an die Fahrzeugsteuerung gerichtete Vorschriften mit einem Bezug zu Unfällen, da diese eben nicht planbar sind. Vorschriften, die eine menschliche Aktivität vor Ort vorsehen, wie etwa die Fahrzeugsicherung nach § 15 StVO lassen sich von einem System nicht erfüllen, sodass hier eine Lösung gefunden werden muss, die sowohl den Anforderungen an die Sicherheit des Straßenverkehrs gerecht wird, als auch Innovationen zulässt (Automatisierung des Straßenverkehrs), die ebenfalls zu einer Sicherheitssteigerung des Straßenverkehrs beitragen.


Hier sieht die Gesetzesbegründung bisher vor, dass Vorschriften, die sich nicht an die Fahrzeugführung richten nur „soweit möglich” eingehalten werden müssen.

Würde man weiterhin eine verantwortliche Person innerhalb des Fahrzeuges fordern, die im Notfall die Fahrzeugsicherung vornehmen kann, würde man den Fahrzeugführer lediglich durch eine Sicherungsperson ersetzen. Es ist nicht zu erwarten, dass ÖPNV-Unternehmen die zusätzlichen Kosten durch die Anschaffung und den Betrieb der Fahrzeuge mit autonomer Fahrfunktion auf sich nehmen, wenn sie nicht an anderer Stelle (Kosten für das Fahrpersonal) Einsparungen machen könnten.


Der durch die autonome Fahrfunktion mögliche Sicherheitsgewinn für den Straßenverkehr ist aber nur dann möglich, wenn diese Technologie auch zum Einsatz kommt. Besteht kein Anreiz für die ÖPNV-Unternehmen, ist zu befürchten, dass diese von dem Einsatz der Technologie absehen.

Eine Lösung mit verantwortlicher Person innerhalb des Fahrzeuges würde auch alle Möglichkeiten des flexiblen Einsatzes, die die Technologie mit sich bringt, ungenutzt lassen. Ein fahrzeugführerloser On-Demand-Betrieb im ländlichen Raum ist besonders deshalb besser umsetzbar, weil das Fahrzeug eben nicht ständig mit einer Person besetzt werden muss. Wenn das Fahrzeug erst mit Fahrpersonal fahren darf, ist ein 24/7 On-Demand-Einsatz in ländlichen Gebieten wirtschaftlich kaum darstellbar.

 

Fahrzeug kann ohne menschliche Hilfe einen risikominimalen Zustand erreichen

Die Fahrzeuge mit autonomer Fahrfunktion müssen in der Lage sein, selbstständig einen risikominimalen Zustand erreichen zu können, da es keinen Fahrzeugführer mehr gibt, der notfalls die Steuerung übernehmen kann. Der risikominimale Zustand ist etwa dann vorgesehen, wenn das Fahrzeug einen Verstoß gegen die StVO begehen müsste, um die Fahrt fortzusetzen (z.B. Überfahren einer durchgezogenen Linie). Der Zustand ist dann erreicht, wenn das Fahrzeug an einer möglichst sicheren Stelle zum Stillstand kommt.

 

Manövervorschläge

Aus diesem risikominimalen Zustand heraus soll das Fahrzeug dann Fahrmanöver vorschlagen können, die von der Technischen Aufsicht aus der Leitstelle heraus freigegeben werden. Planung und Ausführung dieser Fahrmanöver werden dabei ohne menschliche Einflussmöglichkeit von dem Fahrzeug selbst durchgeführt. 

Besonders für die ÖPNV-Unternehmen dürften die Neuerungen sehr willkommen sein, da insbesondere Randgebiete mit geringem Fahrgastaufkommen wirtschaftlicher betrieben werden können, wenn das auf Abruf fahrende Fahrzeug ohne Fahrzeugführer fahren kann. Die Festlegung auf einen Betriebsbereich ist hier nicht hinderlich, da der Einsatz des Nahverkehrs sowieso auf ein Gebiet beschränkt ist.

Aus dem Newsletter

Kontakt

Contact Person Picture

Till Stegemann

Rechtsanwalt

Associate

+49 30 8107 9568

Anfrage senden

Profil

Wir beraten Sie gern!

​​Mobilität
Befehle des Menübands überspringen
Zum Hauptinhalt wechseln
Deutschland Weltweit Search Menu