Bundesverfassungsgericht: Vom Grundrecht auf Nachhaltigkeit zur Mobilitätswende

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​veröffentlicht am 19. Mai 2021

 

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in einer weithin beachteten Leitentscheidung das geltende Klimaschutzgesetz teilweise verworfen. Dieser Beschluss ist nicht nur verfassungsrechtlich hoch interessant, relevant ist vor allem auch, was für die Politik daraus folgt. Insbesondere natürlich für die Mobilitätspolitik.

 

Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts

Mit Beschluss vom 24. März diesen Jahres hat der erste Senat des BVerfG (1 BvR 2656/18; 1 BvR 78/20; 1 BvR 96/20; 1 BvR 288/20) wieder einmal Rechtsgeschichte geschrieben. Unmittelbar danach hat das Bundesministerium für Umwelt (BMU) einen Referentenentwurf zur Änderung des Klimaschutzgesetzes erarbeiten lassen, der zugleich am 12.05. vom Bundeskabinett verabschiedet wurde. Ziel ist eine Verabschiedung noch in der laufenden Legislaturperiode. Das BVerfG hatte auf mehrere Verfassungsbeschwerden hin das Klimaschutzgesetz von 2019 in Teilen für verfassungswidrig erklärt. Für einzelne Sektoren (Energie, Industrie, Landwirtschaft, Verkehr) wurde ein fest definierter Abbaupfad von jährlich zulässigen Treibhausgasemissionen festgelegt. Treibhausgasneutralität sollte bis 2050 erreicht werden. Konkrete Regelungen für die jährlichen Höchstwerte waren allerdings nur bis 2030 geregelt. Ab 2025 sollte durch Rechtsverordnungen die nachfolgenden Zeiträume geregelt werden.

 

Das BVerfG hat festgestellt, dass Art. 20a GG (Staatszielbestimmung zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen) in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG eine „intertemporale Freiheitssicherung" gewähre, welche durch das Gesetz verletzt sei. Danach darf auch die Freiheitsausübung künftiger Generationen nicht dadurch gefährdet werden, dass heute keine ausreichenden Regelungen getroffen werden, um erst in der Zukunft wirksam werdenden Effekten des Klimawandels zu begegnen. Im Kern waren dem BVerfG die inhaltlichen Regelungen, also die dort niedergelegten Grenzwerte, aber auch das Verschieben von Regelungsverantwortung auf künftige Gesetzgeber aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht ambitioniert genug. Zu beachten ist dabei, dass die Staatszielbestimmung aus Art. 20a GG sich nicht auf den Klimaschutz beschränkt sondern die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere insgesamt als für die künftigen Generationen schützenswert erachtet. Ökologische Nachhaltigkeit kann also künftig Grundrechtsschutz vermitteln

 

Die Novellierung des Klimaschutzgesetzes

Im eingangs erwähnten Kabinettsbeschluss für die nun notwendige Novellierung des Klimaschutzgesetzes wird insbesondere an zwei relevanten Stellschrauben gedreht. Zum einen wird ein konkreter Gesetzgebungspfad (bis 2024) für den Zeitraum nach 2030 in das Gesetz eingebaut, zum anderen werden die Zielwerte angepasst. So wird das Enddatum für die Erreichung der Treibhausgasneutralität von 2050 auf 2045 vorgezogen. Die dazwischen gelegenen Meilensteine in 2030 und 2040 werden deutlich ambitionierter. Zur Erreichung werden die Jahreshöchstmengen an Emissionen in den einzelnen Sektoren reduziert, dies allerdings in sehr unterschiedlichen Ausmaß: Energieerzeugung und Industrie, die am stärksten emittierenden Sektoren, werden einen großen Anteil tragen, im Verkehrssektor bleiben die Mengen zunächst bis 2027 unangetastet, danach wird auch hier stärker als geplant abzubauen sein. Höchstausstoß in 2030 soll hier 85 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent sein. Zur Unterstützung der Abbauziele sind Vorgaben zur umfassenden Berücksichtigung des Klimaschutzziels bei allen vom Bund getragenen Planungen und vorgenommenen Beschaffungen vorgesehen.     

 

Auswirkungen auf die Mobilitätspolitik

Dass der Verkehrssektor zunächst verschont bleibt, scheint unverständlich, dies auch noch vor dem Hintergrund, dass es neben der Landwirtschaft, der einzige Sektor ist, der – vom Corona-Ausnahmejahr 2020 abgesehen – seine Reduktionsziele bisher immer verfehlt hatte. Allerdings soll hier wohl dem Umstand Rechnung getragen werden, dass neue Planungsvorhaben und neugewichtete alte Planungen sowie Beschaffungen in großem Umfang einen gewissen Zeitvorlauf haben. Den hatten sie zwar schon immer, aber diesmal soll wohl nun wirklich Ernst gemacht werden mit der Mobilitätswende.

 

Dabei sollte klar sein, dass auch die zusätzlichen Reduktionsziele in diesem Bereich so hoch sind, dass die Akteure der Mobilität weiter denken müssen als nur bis zur Umplanung einiger Verkehrswege des Bundes. Jeder Akteur wird in seinem Tätigkeitsfeld gefragt sein, Antwort darauf geben zu können, welchen Beitrag er oder sie leisten kann. Das betrifft beispielsweise etwa

 

  • private KMU-Busunternehmen, egal ob eigen- oder gemeinwirtschaftlich tätig, im Hinblick auf die strategische Entscheidung hinsichtlich des Antriebs bei Neufahrzeugen: Nur noch E-Busse oder auch Wasserstoff? Wie organisiert wer in welchem Zeitraum mit welchen Fördermitteln die benötigte Infrastruktur: Stromleitungen zum Betriebshof, die einer Mittelstadt würdig wären und/oder dezentrale Wasserstofftankstellen?
  • Kommunale Verkehrsunternehmen mit Blick auf Beschaffungen von Fahrzeugen: Allein oder mit anderen öffentlichen Auftraggebern zusammen wegen höheren Beschaffungsaufwands klimafreundlicher Fahrzeuge? Welche Finanzierungsinstrumente nutzen?
  • Kommunale Aufgabenträger mit Blick auf die Ausgestaltung der Nahverkehrspläne, neuer Tarifmodelle (etwa Kostenlos-Tickets, Optimierung von Verbünden), überhaupt der Attraktivitätssteigerung des ÖPNV, aber auch der weiteren Verkehrsträger des Umweltverbundes, etwa im Rahmen einer umfassenden Integration.
  • Länder bei der Planung und dem Ausbau von innovativem und integriertem SPNV, der Priorisierung des ÖV zulasten des Straßenverkehrs.
  • Betreiber von Luft- und Schiffsverkehr oder von LKW-Flotten mit Blick auf eine Teilnahme an Treibhausgasemissionshandelssystemen.

 

Bewertung für die Praxis

Die Mobilitätswende hat in Deutschland gerade erst begonnen. Alle Akteure dieses Sektors stehen vor der Herausforderung, für ihren jeweiligen Tätigkeitsbereich nach optimalen Lösungen für einen nachhaltigen Umgang mit den natürlichen Ressourcen zu suchen, diese gemeinsam mit anderen zu finden und umzusetzen.

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