Eisenbahninfrastrukturbetreiber (EIU) kann auch für Vermögensschäden der Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) haftbar gemacht werden

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​veröffentlicht am 19. Mai 2021

 

Mit Urteil vom 03.02.2021 (Az.: XII ZR 29/20) hat der 12. Zivilsenat des BGH ein Streitverfahren der ODEG gegen die Schienennetznutzungsbedingungen (SNB) von DB Netz aus den Jahren 2013 bzw. 2014 an das LG Frankfurt am Main zurückverwiesen mit der Maßgabe, eine Pflichtverletzung der DB Netz unter Berücksichtigung seiner Rechtsauffassung zu prüfen. Die o.a. SNB könnten Schadensersatzansprüche des EVU wegen Vermögensschäden nicht wirksam ausschließen.

 

EVU, die Schienenpersonennahverkehrsleistungen (SPNV) im Auftrag öffentlicher Aufgabenträger (AT) erbringen, sind vertraglich „eingeklemmt” zwischen auf der einen Seite den letzteren mittels umfangreicher Verkehrsverträge, die insbesondere Leistungspflichten und Minderungsregime bei Schlecht- und Nichtleistung bzw. Vertragsstrafen regeln und den EIU mittels Infrastrukturnutzungsverträgen auf der anderen Seite. Diese Verträge wiederum sind versehen mit Benutzungsbedingungen, die aus regulierungsrechtlichen Gründen von der Bundesnetzagentur genehmigt werden müssen. Auch hier gibt es Minderungsmöglichkeiten für Schlechtleistungen der EIU zugunsten der EVU. Problematisch ist nun, dass diese jeweiligen Minderungsregime nicht kongruent aufeinander abgestimmt sind.

 

Wenn beispielsweise ein EVU seine SPNV-Leistungen wegen einer mangelhaften Vorleistung „Infrastrukturbereitstellung” nicht vertragskonform gegenüber dem AT erbringen kann, dann kann er dessen Sanktionen zwar grundsätzlich gegenüber dem EIU „weiterreichen”, regelmäßig aber nicht in Gänze. Vermögensschäden der EVU – und als solche sind die zu zahlenden Pönalen der EVU zu werten – sind nämlich gemäß damals einschlägiger SNB nicht ersatzfähig. In den heute geltenden SNB gilt übrigens nichts anderes. Im Ergebnis verbleibt beim EVU ein Minderungsdelta. Dies schadet wirtschaftlich ausschließlich nichtbundeseigenen Eisenbahnunternehmen (der Ausnahmefall privater Infrastruktur bleibt hier einmal außer Betracht), bei dem integrierten Konzern DB AG stellt das Delta beim DB-EVU eins zu eins eine Ersparnis beim DB-EIU dar. Das Prinzip „linke Tasche, rechte Tasche”. Insofern hat der vom BGH beurteilte Rechtsstreit auch eine wettbewerbspolitische Komponente.

 

Den auch für das gewerbliche Mietrecht zuständige Senat interessieren allerdings die regulierungsrechtlichen Implikationen nicht, er stuft den Rechtsstreit als in Gänze dem Zivilrecht unterfallend ein, nämlich dem Mietrecht. Dass es bei den SNB um die Buchung einer Trasse, also eines bestimmten Streckenabschnitts innerhalb eines klar definierten Zeitfensters geht, stehe dem nicht entgegen, vielmehr sei von einem klassischen Nutzungsvertrag auszugehen, so auch schon die Wortwahl im strittigen Vertrag. Die SNB stellten hier Allgemeine Geschäftsbedingungen dar, die, weil sie das EVU unangemessen benachteiligten, unwirksam seien, also eine Haftung für Vermögensschäden nicht ausschlössen.

 

Anders als die Frankfurter Vorinstanzen LG und OLG gäbe es auch keine „Überkompensation” wegen der bereits in den SNB bestehenden Entgeltminderungsregeln. Vielmehr wären diese, als dem Regulierungsrecht entspringend, als eisenbahnrechtlicher Anreiz für ein pünktliche Leistungserbringung anzusehen, hätten also eine Marktperspektive. Schadensersatz bei Vermögensschäden wegen Schlechtleistung wäre hingegen dem klassischen Leistungsstörungsrecht zuzuordnen, stünde daher parallel zu den SNB und könnte unabhängig von diesen zur Anwendung kommen.

 

Das OLG Frankfurt muss nun als erkennendes Gericht sich erneut der Streitsache annehmen und das tatsächliche Vorliegen einer Pflichtverletzung der DB Netz AG prüfen. Vom BGH wurden ihm dazu Hinweise mit auf den Weg gegeben, die Erleichterungen der Darlegungs- und Beweislast für den Kläger beinhalten.  

 

 

Bewertung für die Praxis

Mit dem Urteil des BGH ist nach langer Zeit höchstrichterlich geklärt, dass Infrastrukturnutzungsverträge eben auch eine zivilrechtliche Komponente haben und diese nicht allein am Maßstab des öffentlich-rechtlichen Eisenbahnrechts zu messen sind. EVU und EIU nähern sich langsam einer vertraglichen Augenhöhe an, was erste freuen dürfte. Mit einher geht dabei allerdings eine zunehmende Unübersichtlichkeit der Materie.

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Oliver Ronnisch

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