Der neue Netznutzungs-Standardvertrag (Strom) der Bundesnetzagentur – Was lange währt, wird endlich gut?

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veröffentlicht am 15. Juni 2015

 

Mit Beschluss vom 16. April 2015 hat die Bundesnetzagentur einen standardisierten Netznutzungs- und Lieferantenrahmenvertrag (Strom) festgelegt, der durch Netzbetreiber ab dem 1. Januar 2016 mit den in ihrem Netzgebiet tätigen Netznutzern bzw. Lieferanten (neu) abzuschließen ist. Ob sich hierdurch tatsächlich der administrative Aufwand, den Netzbetreiber und Lieferanten mit dem Vertragsabschluss haben, reduzieren wird, wird sich noch zeigen müssen.
 
Nachdem die Bundesnetzagentur bereits im Mai des Jahres 2006 ein Verfahren zur Festlegung von Inhalten der Lieferantenrahmenverträge eröffnet hatte und auch immer wieder zu einzelnen Inhalten von in der Branche verwendeten Lieferantenrahmenverträgen im Wege der Mitteilung Stellung bezog, dauerte es fast neun Jahre, bis nun am 16. April 2015 die Festlegung eines Standardvertrages erfolgte.1
 

Adressaten

Adressat der Festlegung sind Betreiber von Elektrizitätsversorgungsnetzen aller Spannungsebenen. Auch die Übertragungsnetzbetreiber und die Betreiber von geschlossenen Verteilernetzen sind zur Verwendung des Standardvertrages verpflichtet. Betroffen sind sowohl Vertragsverhältnisse mit Lieferanten als auch solche mit Letztverbrauchern, die die Netznutzung selbst wahrnehmen. Netznutzungsverträge, die Netzbetreiber untereinander abschließen, sind jedoch nicht vom Anwendungsbereich der Festlegung umfasst. Die Bundesnetzagentur hat in ihrer Festlegung – abweichend von der Konsultationsfassung von Ende 2013 – jedoch davon abgesehen, den Netznutzungsvertrag auch für die Netznutzung für Einspeisestellen vorzugeben. Sie behält sich dies jedoch ausdrücklich vor.
 

Verbindlichkeit der Vertragsmuster

Neben dem Netznutzungs-/Lieferantenrahmenvertrag gibt die Bundesnetzagentur ein Kontaktdatenblatt Netznutzer/Netzbetreiber, eine EDI-Vereinbarung und einen Muster-Sperrauftrag vor, deren Regelungen grundsätzlich abschließend sind. Der Standardvertrag lässt die Möglichkeit unberührt, Themenbereiche zu gestalten, die nicht erfasst sind (zum Beispiel Entgeltgestaltung, Anschlussbedingungen, Netzreservekapazität, Bestimmung von Lastprofilen und Schwachlastzeiten). Die Bundesnetzagentur erkennt in der Festlegungsbegründung darüber hinaus ausdrücklich an, dass es zum Beispiel technische, persönliche oder praktische Umstände geben kann, die eine einvernehmliche Abweichung vom Standardvertrag erforderlich oder zumindest sinnvoll machen. Der Netzbetreiber muss den Abschluss der ergänzenden / abweichenden Regelungen jedem Netznutzer diskriminierungsfrei anbieten und sie im Internet veröffentlichen, wobei Abweichungen/Ergänzungen in der Vertragsausfertigung sowie in der Veröffentlichung im Internet deutlich kenntlich zu machen sind. In Betracht kommt zum Beispiel die Hervorhebung durch Fett- und/oder Kursivdruck. Der Abschluss der abweichenden/ergänzenden Regelungen darf aber nicht zur Bedingung für den Abschluss des Vertrages oder für die Gewährung des Netzzugangs gemacht werden; umgekehrt darf der Netzbetreiber andere Konditionen des Netznutzungspetenten ablehnen. Bei Unstimmigkeiten fallen die Vertragspartner immer auf den von der Bundesnetzagentur vorgegeben Standard zurück.
 
Stichtag für die Umsetzung der Festlegung ist der 1. Januar 2016. Zu diesem Datum müssen sowohl bei Neuabschlüssen die vorgegebenen Vertragsunterlagen verwendet werden als auch Bestandsvertragsverhältnisse an die Regelungen des Standards der Bundesnetzagentur angepasst worden sein. Unter Umständen könnte es daher erforderlich werden, die Bestandsverträge entsprechend der vereinbarten Kündigungsfristen – unter gleichzeitiger Übersendung der neuen Verträge – zu kündigen, um eine rechtzeitige Umstellung zu gewährleisten.
 

Einzelne Vertragsinhalte

Der Vertrag enthält einige Regelungen, mit denen bisher umstrittene Punkte klargestellt werden.
 
  • Für die Abwicklung der Netznutzung ist neben den Festlegungen der Bundesnetzagentur GPKE, MaBiS, WiM, und den Spezifikationen nach EDI@Energy auch das Umsetzungsfragen-Dokument der Verbände maßgeblich, sofern Punkte dort als „konsensual” eingestuft sind.
  • Trafoverluste bei unterspannungsseitiger Messung sind durch einen Korrekturfaktor auf die Messwerte zu berücksichtigen.
  • Ausdrücklich nicht vorgesehen ist eine sog. Nachberechnungsklausel, da eine Nachberechnung von Entgelten nur über das Regulierungskonto zu erfolgen hat und Auswirkungen sich lediglich auf die künftigen Netzentgelte ergeben sollen.
  • Der Vertrag regelt eine Verpflichtung des Netzbetreibers zur unverzüglichen Information über alle voraussichtlichen benannten oder angepassten Entgelte. Zukünftig wird es hierzu ein elektronisches Preisblatt geben. Aktuell muss die Information über ein elektronisches und automatisiert auswertbares Dokument (zum Beispiel Excel-Datei per E-Mail) erfolgen.
  • Der Netzbetreiber hat darüber hinaus eine Pflicht zur Veröffentlichung der Schwachlastzeiten, deren Einhaltung Voraussetzung für die Inanspruchnahme der Schwachlastkonzessionsabgabe ist.
  • Abrechnungszeitraum ist für Entnahmestellen mit registrierender ¼-h-Leistungsmessung (RLM) einheitlich das Kalenderjahr (1. Januar bis 31.Dezember).  Bei einem unterjährigen Lieferantenwechsel trägt der aktuelle Netznutzer ggf. Nach-berechnungen einer höheren Jahresspitze, sofern der gleiche Anschlussnutzer betroffen ist.
  • Ab dem 1. April 2016 hat eine elektronische und lieferstellenscharfe Abrechnung der Mehr-/Mindermengen entsprechend dem Leitfaden der Verbände zu erfolgen. 
  • Der Netzbetreiber hat gegenüber dem Netznutzer bei Unterbrechungen von RLM-Entnahmestellen die Pflicht zur frühestmöglichen Information über Unterbrechungen unter Mitteilung von Grund und Dauer, soweit der Netznutzer vorab ein begründetes Verlangen in Textform mitgeteilt hat. Der Netzbetreiber hat eine  Einzelfallentscheidung zu treffen, ob ein begründetes Interesse im Hinblick auf die Information vorliegt. 
  • Sperraufträge des Lieferanten müssen elektronisch mittels des durch die Bundesnetzagentur vorgegebenen Formulars erteilt werden. Der Netzbetreiber muss dann innerhalb von sechs Werktagen die beauftragte Entnahmestelle sperren.
  • Der Standardvertrag trifft keine Regelungen zur Sicherheitsleistung, sondern nur zur Vorauszahlung in begründeten Fällen. Vorgesehen ist eine monatliche, zweiwöchentliche oder wöchentliche Vorauszahlung, die jeweils zum 13. Werktag des Folgemonats abgerechnet werden muss. Die Bundesnetzagentur hat sich bei der Gestaltung der Vorauszahlungsbestimmungen der Expertise externer Sachverständigen bedient, die die Vorauszahlungsklausel als insolvenzfest bestätigt haben.
  • Will der Netzbetreiber den Vertrag ordentlich (Frist: drei Monate) kündigen, ist dies aufgrund des Kontrahierungszwanges nur dann möglich, wenn keine Pflicht zur Gewährung des Netzzugangs (mehr) besteht oder ggf. ein neues Vertragsangebot unterbreitet wird. Außerordentliche Kündigungsgründe können z.B. ein schwerwiegender wiederholter Vertragsverstoß trotz Abmahnung und Androhung des Entzugs der Netznutzung und die Nichtzahlung der Vorauszahlung sein. 
 

Ausblick

Auch wenn der Standardvertrag den Anspruch erhebt, „die für die Netznutzung wesentlichen Themenkomplexe hinreichend zu regeln, so dass ein sachlicher Bedarf zur Regelung weiterer Themenbereiche im Netznutzungsverhältnis nicht zwingend erscheint”2, ist unseres Erachtens nicht gesichert, dass der „Verhandlungsaufwand”, den Netzbetreiber und Lieferanten aktuell teilweise betreiben (müssen), zukünftig entfallen wird. Klarstellende Erklärungen oder auch einvernehmliche Abweichungen bleiben schließlich grundsätzlich möglich. Zu begrüßen wäre es jedoch, dass Aspekte des Vertrages, die ggf. einen Interpretationsspielraum bieten und zu denen Lieferanten entsprechende Klarstellungen vom Netzbetreiber anfordern, einheitlich durch die Bundesnetzagentur im Wege der Mitteilung klargestellt werden.
 
 
Da ansonsten gegebenenfalls teilweise unterschiedliche Prozesse – insbesondere bei der Abrechnung – vorgehalten werden müssen, sollte eine einheitliche Umstellung zum 1. Januar 2016 erfolgen, sodass im Übergangszeitraum unter Umständen noch „Altverträge” abgeschlossen werden können. Der Versand von Vertragsunterlagen mit Geltung ab dem 1. Januar 2016 kann jedoch bereits zeitnah beginnen, um den Aufwand entsprechend zu entzerren.  Sofern erforderlich müssen die Systemdienstleister eingebunden werden, um gegebenenfalls veränderte Abrechnungsmodalitäten zu implementieren. Auf Lieferantenseite sind Lieferverträge mit RLM-Kunden hinsichtlich der Nachberechnung bei unterjährigem Lieferantenwechsel anzupassen.
 

1 Bundesnetzagentur, Beschluss zur Festlegung eines Netznutzungs- und Lieferantenrahmenvertrages (Strom) vom 16. April 2016, Az.: BK6-13-042.
2 Bundesnetzagentur, Beschluss zur Festlegung eines Netznutzungs- und Lieferantenrahmenvertrages (Strom) vom 16.04.2016, Az.: BK6-13-042, Seite 18.
 
 

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