Kammergericht Berlin trifft Grundsatzentscheidung zu Konzessionsvergaben Strom und Gas

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veröffentlicht am 3. Dezember 2018

 

Das Kammergericht Berlin (KG Berlin) hat am 25. Oktober 2018 im Verfahren „Stromkonzession Berlin” eine Grundsatzentscheidung getroffen, die für eine Vielzahl von laufenden und kommenden Konzessionsvergabeverfahren in den Bereichen Strom und Gas von Bedeutung sein wird. Das Kammergericht hat sich neben anderen Fragen insbesondere auch mit dem erst kürzlich durch die Novelle des EnWG (Februar 2017) eingeführten Rügeregime des § 47 EnWG beschäftigt.


Wirksame Rügen

Das KG Berlin hat insoweit festgestellt:

 

„Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung im Eilverfahren nach § 47 Abs. 5 EnWG sind nicht sämtliche potenziellen Rechtsverletzungen der Kommune im Rahmen eines laufenden Konzessionierungsverfahrens, sondern allein solche – vom jeweiligen Verfügungskläger innerhalb der gesetzlichen Frist gerügte – Rechtsverletzungen, die in den im Rahmen dieses Verfahrens erfolgten Verlautbarungen der Kommune manifestiert sind. Denn das Gesetz sieht das spezielle Rügeregime, welches in der Klagemöglichkeit nach § 47 Abs. 5 EnWG mündet, ausdrücklich (nur) für die „Bekanntmachung nach § 46 Abs. 3” EnWG, die „Mitteilung nach § 46 Abs. 4 Satz 4” EnWG und die die Auswahlentscheidung betreffende “Information nach § 46 Abs. 5 Satz 1“ EnWG vor. Zudem nennt es (nur) Rechtsverletzungen, die „aufgrund” der jeweiligen Verlautbarung „erkennbar” sind.”

 

Dies bedeutet im Ergebnis, dass richtigerweise nur solche Rechtsverstöße als wirksam gerügt im Sinne des § 47 Abs. 5 EnWG gelten können, die sich bereits konkretisiert haben. Nicht ausreichend sind damit allgemeine Bedenken gegen das Verfahren oder Nachfragen zu Verfahrensinhalten.

 

Prüfungsumfang im einstweiligen Rechtsschutz

Zum Prüfungsumfang im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 47 Abs. 5 EnWG hat das KG Berlin ausgeführt:

 

„Soweit das Landgericht es unter dem Aspekt, dass es sich um ein Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz handelt, für ausschlaggebend erachtet, ob sich die Bewertungsmatrix bei einer wertenden Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung der Ziele des § 1 EnWG und den von der Rechtsprechung dazu bisher entwickelten Grundsätzen nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge mit einem für das Verfügungsverfahren hinreichenden Maß an Wahrscheinlichkeit als transparent und diskriminierungsfrei und mithin als tragfähig erweist, ist dem nicht zu folgen. Einer nur summarischen Prüfung steht entgegen, dass wegen der in § 47 Abs. 1 Satz 1 EnWG vorgesehenen materiellen Präklusionswirkung eine (vertiefte) Rechtmäßigkeitsprüfung in einem späteren Hauptsacheverfahren nicht mehr erfolgen kann und daher den Antragstellern unter Umständen ein endgültiger Rechtsverlust drohen würde, wenn aufgrund einer nur eingeschränkten Rechtsprüfung im Verfahren nach § 47 Abs. 5 EnWG bestimmte Kriterien im Rahmen der nachfolgenden Auswahlentscheidung angewandt werden dürften, die sich bei vertiefter Prüfung als rechtswidrig herausstellen. Daher hat hier eine umfassende und detaillierte Kontrolle jedes einzelnen (wirksam) gerügten Rechtsverstoßes des Beklagten zu erfolgen, der aus den von ihm bekanntgegebenen Auswahlvorgaben erkennbar ist.”

 

Entgegen der bisher verbreiteten Praxis ist damit im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes nicht nur eine summarische Prüfung durch das Gericht vorzunehmen, sondern das Gericht hat vielmehr eine umfassende und detaillierte Kontrolle aller geprüften Rechtsverstöße vorzunehmen.

 

Vertragliche Zusagen, Mitwirkungs- und Kontrollrechte

Umstritten war bisher stets die Frage, ob sich die vergebende Kommune durch vertragliche Zusagen, Mitwirkungs- und Kon-trollrechte die Möglichkeit einräumen lassen kann, die Inhalte des Konzessionsangebots (insbesondere aus dem Netzbewirtschaftungskonzept) letztlich auch rechtlich gegenüber dem Konzessionär durchsetzen zu können. Diesbezüglich wurde oftmals kritisiert, dass solche Zusagen die von der Rechtsprechung geforderte vorrangige Bedeutung der Ziele des § 1 EnWG im Rahmen der Konzessionsentscheidung relativieren und damit einen Verfahrensverstoß darstellen. Hierzu führt das KG Berlin aus:

 

„Unbegründet ist auch die unter dem dritten Spiegelstrich (Seite 29 des Rügeschreibens) erhobene Rüge, der Beklagte richte die Auswahl nicht vorrangig an den Zielen des § 1 EnWG als Kriterium aus; es sei fehlerhaft, dass „vertragliche Zusagen”, „Informationsrechte”, „Mitwirkungsrechte” und „Sanktionen” in der Gruppe A (Ziele des § 1 EnWG) aufgeführt würden statt in der Gruppe B, welche die vertraglichen Regelungen betreffe; dies habe zur Folge, dass auf die Kriterien der Gruppe A effektiv nur 55 Prozent der Gewichtungsfaktoren entfielen und ein Übergewicht bei den vertraglichen Regelungen entstehe.

 

Zwar liegt nach ständiger höchstrichterlicher und obergerichtlicher Rechtsprechung ein erheblicher Mangel vor, wenn der Kriterienkatalog der Gemeinde die Ziele des § 1 EnWG nicht oder nicht vorrangig berücksichtigt (vgl. BGH, aaO. – Stromnetz Berkenthin – Rn. 82 ff.). Die von der Klägerin erhobene Rüge geht jedoch schon deshalb fehl, weil die bei den Kriterien der Gruppe A angeforderten und von der Klägerin monierten vertraglichen Regelungen weder ein aliud zu den Zielen des § 1 EnWG bilden noch diese relativieren. Im Gegenteil sichern sie gerade das Erreichen dieser Ziele, indem sie die konzeptionelle Darstellung erheblich verstärken. Gewissermaßen wird überhaupt erst durch die vertragliche Zusage nebst Kontrollrechten und Sanktionen das Erreichen der Ziele des § 1 EnWG garantiert, da nur sie der Gemeinde nach Konzessionserteilung ermöglichen, die Realisierung des (rein deskriptiven) Konzepts gegenüber dem Konzessionär rechtlich durchzusetzen.”

 

Damit können nach zutreffender Auffassung des KG Berlin vertragliche Zusagen sowie Mitwirkungs- und Kontrollrechte sehr wohl im Rahmen der Auswahlkriterien nach § EnWG bewertet werden.

 

Anforderungen an die Eignung der Bewerber um die Konzession

Ein großer Streitpunkt in Konzessionsvergaben Strom und Gas ist regelmäßig die Frage, welche Anforderungen an die Eignung der Bewerber um den Netzbetrieb zu stellen sind, insbesondere im Hinblick auf sogenannte Newcomer. Hierzu stellt das KG Berlin fest:

 

„Es stellt keinen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot dar, dass im ersten Verfahrensbrief von den bietenden Unternehmen weder die Vorlage einer Genehmigung nach § 4 EnWG noch der Beleg des (aktuellen) Vorliegens der Voraussetzungen für eine entsprechende Genehmigungserteilung als Eignungsvoraussetzung verlangt wird. […] Zwar wäre eine Auswahlentscheidung zugunsten eines Bieters, der nicht hinreichend substanziiert belegt hat, dass er spätestens bei Aufnahme des Netzbetriebs sämtliche Voraussetzungen für die Erteilung einer Genehmigung nach § 4 EnWG erfüllen wird, also kumulativ die personelle, technische und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit für die dauerhafte Gewährleistung des Netzbetriebs entsprechend den Vorschriften des EnWG besitzt, rechtswidrig (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17. April 2014 – VI-2 Kart 2/13 (V) – juris Rn. 62). Die von dem Beklagten aufgestellten Vorgaben tragen diesen Anforderungen jedoch in noch ausreichender Weise Rechnung. Bereits im Ersten Verfahrensbrief wurden die Bewerber unter dem Gliederungspunkt E. (Seite 13) aufgefordert, ihre Kompetenz, ihre technische und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, ihre Zuverlässigkeit und damit ihre grundsätzliche Eignung als Netzbetreiber nachzuweisen, was den in § 4 Abs. 2 EnWG normierten Voraussetzungen für die Erteilung einer Genehmigung nach § 4 Abs. 1 EnWG entspricht. Dass den Bewerbern verschiedene Möglichkeiten eingeräumt wurden, um das Vorliegen der genannten Voraussetzungen zum Zeitpunkt einer etwaigen Aufnahme des Netzbetriebes zu plausibilisieren, ist nicht zu beanstanden. Vielmehr erscheint eine solche flexible Handhabung bereits deshalb erforderlich, damit nicht solche Bieter von vornherein vom Wettbewerb ausgeschlossen werden, die bislang noch nicht als Netzbetreiber tätig waren (sog. Newcomer).”

 

Das KG Berlin stärkt insoweit nochmals zu Recht die Position von Newcomern im Netzbetrieb, indem es der Gemeinde einen Spielraum dahingehend einräumt, in welcher Weise die Voraussetzungen für einen ordnungsgemäßen Netzbetrieb zum Zeitpunkt seiner Aufnahme nachgewiesen werden.

 

Die Entscheidung des KG Berlin zeigt, dass trotz der Novelle des EnWG im Jahre 2017 die Komplexität der Konzessionsvergabeverfahren Strom und Gas eher zu- als abnimmt. Vor allem das Rügeregime nach § 47 EnWG hat nochmals eine Reihe weiterer, insbesondere prozessualer Fragen eröffnet, die noch nicht in jeder Facette geklärt sind. Sowohl Kommunen als auch Netzbetreiber sind daher gut beraten, sich auf anstehende Konzessionsvergabeverfahren optimal vorzubereiten.


 

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Dr. Thomas Wolf, LL.M. oec.

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