Bewertung von Chancen und Risiken in dynamischen Zeiten

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veröffentlicht am 26. Juli 2022 | Lesedauer ca. 4 Minuten

 

Der M&A-Markt kannte seit der globalen Finanzkrise für mehr als ein Jahrzehnt nur den Weg nach oben. Nach einem ersten Stillstand bei Transaktionen im Rahmen der Pandemie und dem Rekordjahr 2021 – auch durch Nachholeffekte aus 2020 – stehen wir heute vor einigen Fragezeichen. Die Pandemie ist je nach Region unterschiedlich überwunden bzw. fortgeschritten. Die Tatsache, dass solch ein exogener Schock jederzeit eintreten kann, bleibt jedoch im Bewusstsein der Marktteilnehmer – und mit dem Krieg in der Ukraine sind wir seit Februar 2022 einer nächsten für nicht vorstellbar gehaltenen Situation ausgesetzt.

Neben Pandemie und Krieg und den daraus resultierenden Konsequenzen für die Weltwirtschaft erleben wir Disruptionen durch die großen, globalen Makrotrends wie ESG, Nachhaltigkeit, Green Economy und Digitalisierung. 

Wir bezeichnen diese Zeiten daher als dynamisch und haben die derzeitige Situation und Implikationen für M&A-Transaktionen in einem Panel im Rahmen des diesjährigen Rödl & Partner M&A Dialogs unter dem Titel „Neue Welt: Bewertung von Chancen und Risiken in dynamischen Zeiten” diskutiert.
 
In diesem Artikel wollen wir für Sie die Diskussionspunkte aus dem Panel zusammenfassen: 
 
  • Wie ist die aktuelle Sicht auf den Markt, welche Punkte erachten unsere Mandanten und wir derzeit als wie relevant?
  • Was sind Implikationen für das Transaktionsgeschäft, wie berücksichtigt man diese Punkte in Financial Due Diligence und Unternehmensbewertung?
  • Wie strukturiert man Transaktionen in solch dynamischen Zeiten?
 

Aktuelle Sicht auf den Markt 

Wir beobachten im aktuellen Transaktionsumfeld einen grundsätzlichen Anstieg der Unsicherheit, vor allem auf der Käuferseite. Entsprechend nimmt die Geschwindigkeit, mit der eine Transaktion zum Abschluss gebracht wird, ab. Es kommt vermehrt zu Projektverzögerungen und -abbrüchen und Wiederaufnahmen zu späteren Zeitpunkten, da die Käufer- und die Verkäuferseite sich nicht auf eine gemeinsame Sicht und entsprechend nicht auf einen Einigungsbereich verständigen können.
 
Die Intensität der Due Diligence nimmt zu, um den Unsicherheitsfaktoren angemessen Rechnung zu tragen und die laufende Geschäftsentwicklung durch stetig aktualisierte Daten genau zu analysieren.
Wir sehen ebenso, dass sich die Anlässe bzw. Treiber von Transaktionen verändern:
  • Zunahme von Umstrukturierungen: Anpassung von Strukturen mit russischer Beteiligung 
  • De-Globalisierung: Rückverlagerung von Fertigungskapazitäten vor dem Hintergrund von Liefersicherheit und Transportkosten
  • Vertikale Integration: Absicherung von Lieferketten über Akquisitionen 
  • Portfoliobereinigungen: Vermehrte Carve-outs und Spin-offs – Unternehmen stellen ihr Portfolio auf den Prüfstand, um sich auf das Kerngeschäft zu fokussieren und die Bilanz zu glätten
 
Hinsichtlich der skizzierten großen Makrotrends ist beobachtbar, dass 
  • ESG eine zunehmend große Rolle bei unseren Mandanten einnimmt. Auftragsvergaben für Zulieferer und Finanzierungen stellen in zunehmendem Maße auf ESG ab. ESG Reportingpflichten und die Auswirkung des Lieferkettengesetzes kommen auf Unternehmen fast jeder Größe zu, und der Bedarf an Rechtssicherheit in diesem Bereich wächst stark,
  • die Investitionen unserer Mandanten in die Digitalisierung ihrer Geschäftsmodelle deutlich zunehmen – vor allem durch Akquisitionen und Beteiligungen und via unternehmenseigene Inkubator- und Acceleratorprogramme und
  • im internationalen Kontext unsere Mandanten Kompetenzen und Kapazitäten in den Bereichen Digital-, IT- und Engineering durch Zukäufe in Asien, vor allem in Indien und Vietnam erwerben.
 
Im internationalen Kontext muss Asien differenziert betrachtet werden. Die Trends der wirtschaftlichen Entwicklung sind, ausgehend von der Corona-Politik der einzelnen Länder, unterschiedlich. Generell gilt jedoch, dass die pandemiebedingten Einschränkungen in Asien im Vergleich zu Europa deutlich stärker und zeitlich länger wirken. Während sich die Aufhebung der Restriktionen in China sehr verhalten entwickelt und in den ASEAN Staaten nun langsam anläuft, ist in Indien eine dynamische Entwicklung beobachtbar. Grundsätzlich beobachten wir den Aufbau von Alternativen zu China und dies insbesondere in den ASEAN Staaten. 
 
In den USA sind derzeit, ähnlich wie in Europa, vor allem Logistikthemen aufgrund des Shut-Downs in China und die Herausforderung, Mitarbeiter zu finden und zu halten, die wesentlichen Punkte.
 

Financial Due Diligence 

Grundsätzlich gilt, dass die klassische Kaufpreisformel im Rahmen von M&A-Transaktionen weiterhin Gültigkeit hat und entsprechend die Financial Due Diligence weiterhin das nachhaltige EBITDA als Bewertungsbasis sowie die Netto-Finanzverbindlichkeiten und das nachhaltige Niveau an Net Working Capital und Investitionen evaluieren soll. 
 
Waren während der Pandemie die COVID-19 Adjustments teilweise noch gut beherrschbar – v.a. hinsichtlich temporären versus langfristigen Kostenstrukturveränderungen – so ist die derzeitige Bestimmung nachhaltiger Größen eine Herausforderung. 
Wir skizzieren nachfolgend einige dieser Punkte, die wir bei laufenden Due Diligence Projekten derzeit intensiv bearbeiten:
  • Hoher Normalisierungsbedarf und unklare Sicht auf die Zukunft durch verstärkte Lieferkettenprobleme und Inflationstendenzen,
  • EBITDA-Reduzierungen durch Lieferverzögerungen,
  • Temporäre Hochkonjunktur durch Aufbau von Sicherheitsbeständen bei den Kunden,
  • Bereinigung des Geschäfts um Einflüsse aus Russland und der Ukraine bzw. Kunden in diesen Märkten,
  • Rohgewinnanalysen im Hinblick auf Preisüberwälzungen und Lieferantenanpassungen, 
  • Bestimmung eines nachhaltigen Working Capital und ob zukünftig ein wieder sinkendes Niveau zu erwarten ist,
  • Diskussion darüber, wer die Vorfinanzierung der erhöhten Vorratsbestände sowie Forderungen zu tragen hat sowie
  • Capex Shortfall Analysen – Verzögerungen bei Beschaffung von Anlagen, Verschiebung von Capex

 

Unternehmensbewertung

Wir beobachten derzeit steigende Renditeanforderungen aufgrund der Unsicherheit und der makroökonomischen Effekte (Zinsen und Inflation) sowie einen Anstieg der Volatilität an den Aktienmärkten. Das Bewertungsniveau hat sich reduziert und in nahezu allen Branchen sind reduzierte EBITDA Multiples an den Börsen beobachtbar.
Diese Unsicherheit ist für die Unternehmensbewertung eine große Herausforderung – gleichermaßen bei DCF-Modellen und Multiples. Über Simulationsmodelle kann dieser Unsicherheit Rechnung getragen werden, und es können Bandbreiten definiert und Sensitivitäten analysiert werden: 
  • Umsatzentwicklungen und -verschiebungen,
  • Inflationsraten und inflationsbedingtes Wachstum,
  • Rohstoffpreisentwicklungen und Personalkostenentwicklungen,
  • Grad der Überwälzbarkeit auf die Kunden,
  • Working Capital Niveau,
  • Zinsen und Kapitalkosten oder
  • Insolvenzwahrscheinlichkeiten.
 

Transaktionsstrukturen

Die in den vorherigen Abschnitten skizzierte Unsicherheit hinsichtlich zukünftiger Entwicklungen und Wertimplikationen resultiert in einer beobachtbaren zunehmenden Verlagerung von Risiken von Käufer- auf Verkäuferseite. Dies ist eine erste Abkehr vom Verkäufermarkt, der in den letzten Jahren vorherrschte. 
 
Die Mechanismen können hier unterschiedlich sein. Neben Earn-outs sehen wir stufenweise Veräußerungen auf Basis von Optionsvereinbarungen oder Teilverkäufe sowie kreative Strukturierungen mit Vendor Notes, welche in Abhängigkeit der Erreichung von Meilensteinen gepreist werden.
 
Im internationalen Kontext ist hier zu beachten, dass die Gestaltungsfreiheit in der Strukturierung von Earn-outs oder vergleichbaren Modellen sehr eingeschränkt sein kann. Das Devisenrecht als öffentliches Recht begrenzt in den meisten Ländern Asiens die finanziellen Strukturen grenzüberschreitender Transaktionen. Hier müssen rechtliche Modelle gefunden werden wie die Schaffung unterschiedlicher Aktiengattungen, wie es in manchen Jurisdiktionen (nicht jedoch in China) möglich ist und gelebt wird. Teilweise verbleibt es jedoch auch dauerhaft bei einem teilweisen Erwerb und damit bei einer Minderheitsbeteiligung der Verkäufer – was in einem wirtschaftlich und kulturell anspruchsvollen Umfeld auch im Sinne des Käufers sein kann, wenn man sich die Führung des Unternehmens nur mit erheblicher Mitbeteiligung der Verkäufers zutraut.
 
Earn-outs sollten gut strukturiert und eingehend definiert werden, um möglichen späteren Rechtsstreitigkeiten bei der Auslegung bestimmter Komponenten des Earn-outs vorzubeugen. Insbesondere wenn Bereinigungen beim Ergebnis die Basis des Earn-outs beeinflussen sollen, ist es wichtig, diese in einem klar definierten Katalog festzulegen.

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