Boykott im Aufsichtsrat: Wenn Abwesenheit zur Strategie wird

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​​​​​​​​​​​​​veröffentlicht am 21. Mai 2025 | Lesedauer ca. 2 Minuten

 

Nicht selten kommt es in Aufsichtsräten von Aktiengesellschaften zu Unstimmigkeiten. Dies kann sogar soweit führen, dass ein Aufsichtsratsmitglied seine Mitwirkung komplett einstellt und Aufsichtsratssitzungen boykottiert. Sodann stellt sich für die übrigen Aufsichtsratsmitglieder die Frage, wie darauf reagiert werden kann, um die Funktionsfähigkeit des Aufsichtsrats wieder herzustellen. 


Beschlussfähigkeit

Grundsätzlich ist der Aufsichtsrat nur dann beschlussfähig, wenn mindestens die Hälfte seiner gesetzlichen oder satzungsmäßigen Mitglieder an der Beschlussfassung mitwirkt, sofern keine abweichenden Regelungen bestehen. Für dreiköpfige Aufsichtsräte heißt das jedoch nicht, dass bereits zwei Mitglieder für eine wirksame Beschlussfassung genügen würden. Denn: Das Aktiengesetzt schreibt zwingend vor, dass an jeder Beschlussfassung des Aufsichtsrats mindestens drei Mitglieder teilnehmen müssen. Somit kann in kleinen Aufsichtsräten ein einzelnes Mitglied durch seine Abwesenheit die Beschlussfähigkeit des Gremiums vollständig verhindern und sämtliche Beschlussfassungen blockieren kann.

Auch in größeren Aufsichtsräten besteht die Gefahr, dass die Beschlussfassung durch dauerhaft oder strategisch fernbleibenden Mitglieder behindert wird – insbesondere dann, wenn die Satzung oder die Geschäftsordnung strengere oder spezifischere Anforderungen an die Teilnahme oder Mehrheiten für Beschlüsse festlegt, als es das Gesetz vorsieht.

Abhilfe durch Abberufung

Aktiengesellschaften haben immer wieder mit boykottierenden Aufsichtsratsmitgliedern zu kämpfen. Verweigert bei einem dreiköpfigen Aufsichtsrat ein Mitglied die Mitwirkung im Aufsichtsrat, indem es die Sitzungen boykottiert, ist die Beschlussfähigkeit des Gremiums verhindert. Damit ist der Aufsichtsrat handlungsunfähig, was ggf. die gesamte Gesellschaft lähmen kann.

Das Aktiengesetz sieht folgende Mittel im Hinblick auf die Zusammensetzung des Aufsichtsrats vor:

  • gerichtliche Ergänzung des Aufsichtsrats, § 104 Abs. 1 AktG;
  • Abberufung eines Aufsichtsratsmitglieds durch Hauptversammlungsbeschluss, § 103 Abs. 1 AktG; und
  • Abberufung eines Aufsichtsratsmitglieds durch Gericht, § 103 Abs. 3 AktG.

Fraglich ist, welches dieser Instrumente passend ist.

Die gerichtliche Ergänzung des Aufsichtsrats nach § 104 Abs. 1 AktG ist nicht das passende Instrument. Die Norm besagt zwar, dass das Gericht Mitglieder in den Aufsichtsrat berufen kann, wenn nicht genügend Mitglieder vorhanden sind, um Beschlüsse zu fassen. Doch: Die Norm greift nur, wenn dem Aufsichtsrat die erforderliche Anzahl von Mitgliedern fehlt oder ein Mitglied dauerhaft rechtlich oder tatsächlich verhindert ist (z.B. durch Krankheit oder Unerreichbarkeit). Ein Boykott aus Eigeninteresse stellt jedoch keine dauerhafte Verhinderung im Sinne des Gesetzes dar, da das Mitglied jederzeit wieder an den Sitzungen teilnehmen könnte. Eine planwidrige Regelungslücke – und damit die Möglichkeit der analogen Anwendung des § 104 Abs. 1 AktG – bestehe gerade nicht. So hat es zuletzt der Bundesgerichtshof in einem solchen Fall des dauerhaft boykottierenden Aufsichtsratsmitglieds zuletzt mit Beschluss vom 9. Januar 2024 - II ZB 20/22 entschieden.

Das Aktiengesetz sieht andere Mittel vor, um gegen ein obstruktives Aufsichtsratsmitglied vorzugehen. Insbesondere kann ein solches Mitglied durch die Hauptversammlung abberufen werden oder auf Antrag des Aufsichtsrats durch das Gericht, dann jedoch nur, wenn ein wichtiger Grund – wie ein nachweisbares Boykottverhalten – vorliegt. Hierbei sollte der Aufsichtsrat auf eine lückenlose schriftliche Dokumentation des grundlosen Fernbleibens oder anlasslosen Einstellens der Mitwirkung achten. Dieser Antrag selbst kann nicht durch das boykottierende Aufsichtsratsmitglied verhindert werden. Das gilt auch für einen dreiköpfigen Aufsichtsrat. Denn das Aufsichtsratsmitglied, das durch sein eigenes Fernbleiben bzw. Boykottverhalten die Beschlussfähigkeit zu verhindern versucht, kann sich nicht auf diese formale Rechtsposition berufen, um die Einleitung eines Abberufungsverfahrens zu blockieren. In solchen Fällen unterliegt das betroffenen Aufsichtsratsmitglied einem Stimmverbot, sodass die verbleibenden Mitglieder auch ohne das boykottierende Mitglied einen wirksamen Beschluss zur Antragstellung auf Abberufung fassen können.

Fazit

​Die gerichtliche Ergänzung des Aufsichtsrats ist nicht das geeignete Mittel, um die Handlungsfähigkeit des Aufsichtsrats bei einem dauerhaften Boykott durch ein Aufsichtsratsmitglied wiederherzustellen. Ein solches Verhalten – selbst wenn es zur Beschlussunfähigkeit führt – wird nicht als dauerhafte Verhinderung im Sinne des Gesetzes gewertet; denn das Mitglied könnte ja jederzeit wieder an den Sitzungen teilnehmen. Die Funktionsfähigkeit des Aufsichtsrats ist in einem solchen Fall, in dem Abwesenheit zur Strategie wird, vielmehr durch die im Aktiengesetz vorgesehenen Abberufungsmechanismen zu sichern, insbesondere durch die Abberufung durch die Hauptversammlung oder durch das Gericht auf Antrag des Aufsichtsrats bei Vorliegen eines wichtigen Grundes, wie etwa nachweisbarem Boykottverhalten.

Die Gesellschaft ist also nicht schutzlos gestellt, sondern kann und muss gegen obstruktive Aufsichtsratsmitglieder mit den vorhandenen gesetzlichen Mitteln vorgehen.

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