Neues zum Corporate Social Credit System

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von Felix Engelhardt

  

Was wissen wir bereits?

Dass in der Volksrepublik China schon seit vielen Jahren ein weltweit einzigartiges System zur Regulierung des Marktgeschehens und sämtlicher dort agierender Akteure existiert und fortlaufend weiterentwickelt wird, ist an sich keine Neuheit. Auch die wesentlichen Bestandteile (wie etwa behördlicher Austausch von Informationen, Kreditratings und -scores, Black- und Redlists etc.), die Funktionsweise und die praktischen Auswirkungen dieses Sozialkreditsystems auf Unternehmen („Corporate Social Credit System“, oft auch als „SCS“ oder „CSCS“ abgekürzt) waren bereits Gegenstand umfassender Analysen und Bewertungen, u.a. hier, hier, hier und hier. Daher möchten wir für eine vertiefte Darstellung des CSCS auf die genannten Beiträge verweisen.


Mit Bekanntgabe der Opinions on Promoting Enterprise Credit Risk Management to Further Enhance Regulatory Effectiveness (Opinions) am 13. Januar 2022 hat Chinas oberste Marktregulierungsbehörde, die State Administration for Market Regulation (“SAMR”), nunmehr neue Einblicke in die konkrete Ausgestaltung eines wichtigen Elements des CSCS geliefert.

 

Was ist neu?

Es handelt sich bei den Opinions der Sache nach um ein Verwaltungsdokument, welches sich unmittelbar zunächst nur an sämtliche SAMR-Abteilungen sowie lokale AMR richtet, also gegenüber Unternehmen und Individuen nicht unmittelbar Rechte oder Pflichten begründet. Trotz der fehlenden Bindungswirkung außerhalb der chinesischen Verwaltung kommt den Opinions jedoch große Bedeutung für das Verständnis des CSCS sowie die Ausrichtung unternehmerischer Tätigkeiten darauf zu.


Im Wesentlichen beschreiben und präzisieren die Opinions ein verwaltungsinternes System zur Klassifizierung aller auf dem chinesischen Markt tätiger Unternehmen in vier Risikoklassen (A, B, C, D). Dadurch soll Marktüberwachung effizienter, akkurater und schneller sowie behördliche Ressourcen an den richtigen Stellen gebündelt werden. Dies erscheint in Anbetracht der etwa 150 Millionen in China registrierten Unternehmen und des Ausmaßes potenzieller (und tatsächlich verursachter) Schäden infolge rechtswidriger Praktiken durchaus sinnvoll. Abhängig von der jeweiligen Risikoklasse müssen betroffene Unternehmen entweder öfter oder seltener mit behördlichen Inspektionen rechnen.


Im Einzelnen stellt sich die Aufteilung wie folgt dar:

  • Risikoklasse A (niedriges Risiko) – Anzahl und Häufigkeit zufälliger Inspektionen reduziert, außer bei konkreten Beschwerden, Mitteilungen anderer Behörden, Problemen beim Big Data Monitoring;
  • Risikoklasse B (allgemeines Risiko) – normale Häufigkeit zufälliger Inspektionen;
  • Risikoklasse C (relativ hohes Risiko) – gesteigerte Überwachung und Häufigkeit zufälliger Inspektionen;
  • Risikoklasse D (hohes Risiko) – strikte und gezielte Überwachung und hohe Anzahl und Häufigkeit von Inspektionen (einschließlich vor Ort).

 

Die jeweilige Klassifizierung soll dynamisch, also bestenfalls in Echtzeit erfolgen, wissenschaftlich fundiert und landesweit einheitlich sein. Gerade der letztgenannte Aspekt wird in den Opinions besonders hervorgehoben, da es in der Vergangenheit nicht selten große Unterschiede bei der Auswahl relevanter Kriterien und der anschließenden Bewertung in unterschiedlichen Provinzen oder Regionen Chinas gegeben hat. Eine gewisse Einheitlichkeit soll durch ein Indexsystem auf zentralstaatlicher Ebene erreicht werden, an dem sich lokale Behörden einerseits orientieren sollen, ihnen andererseits aber auch ein gewisser Spielraum zur Berücksichtigung lokaler Besonderheiten zugestanden wird.


Die der Klassifizierung zugrunde liegenden Daten werden aus einer Vielzahl von Bereichen und Quellen stammen, damit das Kreditrisiko eines Unternehmens umfassend abgebildet werden kann. Zu den Bezugsquellen der Daten zählen u.a. vom Unternehmen selbst registrierte Informationen, behördliche Genehmigungen und Lizenzen, Informationen zu Rechten an geistigem Eigentum, behördliche und gerichtliche Verfahren und Sanktionen, staatliche Listen (Black- and Redlists), Ergebnisse behördlicher Kontrollen und Inspektionen, etc. Neben diesen allgemeinen Daten werden einzelfallabhängig auch sektorspezifische Daten in die Klassifizierung einfließen, wie etwa aus den Bereichen Lebensmittel und Arzneimittel, Medizinprodukte, allgemeine Produktqualität oder Wettbewerbs- und Kartellrecht. Die Opinions betonen, dass die allgemeine Risikoklassifizierung nicht die sektorspezifische Überwachung ersetzt, sondern diese vielmehr nebeneinander ausgeübt werden sollen.


Im Einklang mit der übergreifenden wirtschaftspolitischen Linie sollen auch für das neue Klassifizierungssystem Zukunftstechnologien vor allem aus den Bereichen Big Data, maschinelles Lernen und künstlicher Intelligenz zum Einsatz kommen. So soll insbesondere die Klassifizierung automatisch durch Algorithmen erfolgen, wobei die sich daran anschließenden Maßnahmen dem Anschein nach (noch) ausschließlich durch Behördenmitarbeiter ausgewählt und umgesetzt werden sollen.


Ab wann kommt das neue Klassifizierungssystem zum Einsatz?

Da es sich bei den Opinions nicht um ein rechtsverbindliches Dokument mit Außenwirkung handelt, enthalten diese kein konkretes Datum zu deren Inkrafttreten. Tatsächlich wurde das System schon seit 2019 in der Provinz Shandong erprobt und Erkenntnisse aus diesem lokalen Pilotprogramm wurden nun teilweise in das neue System aufgenommen. Die Opinions nennen jedoch drei Meilensteine:

  • Bis Ende 2022 soll auf lokaler Ebene durch die zuständigen Behörden ein allgemeines Klassifizierungssystem für Unternehmensrisiken etabliert, sämtliche lokal registrierte Unternehmen nach dem System klassifiziert und weitere notwendige Vorbereitungen zur Umsetzung des Systems ergriffen werden;
  • Bis Ende 2023 soll auf lokaler Ebene ein funktionsfähiges System zur Klassifizierung von Unternehmensrisiken etabliert werden, welches mit der sektorspezifischen Verwaltung gemeinsam ausgeübt wird;
  • Innerhalb der kommenden 3 Jahre soll das System zur Klassifizierung von Unternehmensrisiken vollumfänglich in die staatliche Marktregulierung integriert werden, um Risiken frühzeitig zu identifizieren und effektiv zu handhaben.


Aus diesem ambitionierten Zeitplan wird ersichtlich, dass das Klassifizierungssystem schon sehr bald fester Bestandteil regulatorischer Compliance in China sein wird.


Was ist unsere Einschätzung?

Als Erstes können wir festhalten, dass das neue Klassifizierungssystem unterschiedslos auf rein chinesisch wie auch ausländisch investierte Unternehmen Anwendung findet. Dies galt bisher ohnehin schon für die Anwendung des CSCS in anderen Bereichen. Ein weiterer positiver Aspekt ist, dass die Opinions das ausdrückliche Bekenntnis enthalten, Unternehmen bei deren Bemühungen hin zu rechtskonformem Verhalten ausreichend Zeit einzuräumen und diese sogar aktiv dabei zu unterstützen. Dies leuchtet ein, da Selbstregulierung durch betroffene Unternehmen effektiv zur Vorbeugung von Risiken und Schonung staatlicher Ressourcen beitragen kann.

 

Problematisch ist indes, dass die Klassifizierungsergebnisse nur behördenintern geteilt werden, Unternehmen also nach aktuellem Kenntnisstand nur mittelbar über verstärkte Kontrollen von ihrer jeweiligen Klassifizierung erfahren können. Ob dies später auch so bleibt oder ob Unternehmen vielmehr Möglichkeiten eingeräumt wird, von ihrer Klassifizierung Kenntnis zu erlangen und diese somit proaktiv zu beeinflussen, kann momentan nicht gesagt werden. Ein weiterer überaus kritischer Aspekt ist der breitflächige Einsatz von KI-Algorithmen zur Klassifizierung der Unternehmen. Darin verbergen sich neben Chancen für mehr Effizienz in der Verwaltung erhebliche Gefahren für die unzutreffende Einstufung der betroffenen Unternehmen. Hier bleibt abzuwarten, wie der Staat sicherstellen wird, dass die eingespeisten Daten fehlerfrei und vollständig sind, die Algorithmen zu zutreffenden Ergebnissen führen und ausreichend Mechanismen zur Fehlerkorrektur zur Verfügung stehen. Schließlich bleibt sehr zu hoffen, dass die vom Staat angestrebte Harmonisierung der Marktüberwachung tatsächlich realisiert werden kann und es nicht weiterhin zu abweichenden oder sogar widersprüchlichen Entscheidungen und Behördenpraxis in unterschiedlichen Provinzen und Regionen Chinas kommt. 


Was können Unternehmen aktiv tun?

Auch wenn die Unternehmensklassifizierung zukünftig dem Anschein nach hauptsächlich behördenintern ablaufen wird, können Unternehmen durchaus aktiv etwas für die Vorbereitung und Anpassung an das neue System tun. Hierzu empfehlen wir zunächst (wenn nicht bereits geschehen) die vertiefte Beschäftigung mit den Grundprinzipien und der Funktionsweise des CSCS. Erst durch ein solides Verständnis dieses weitverzweigten Verwaltungsmechanismus ist es Unternehmen möglich, die Reichweite des Systems zu erkennen und Einflussmöglichkeiten zu identifizieren. Anschließend sollten die Bereiche ausgemacht werden, in denen das jeweilige Unternehmen in der Vergangenheit hinter den rechtlichen Anforderungen zurück geblieben ist (wie etwa Steuern, Genehmigungen, Produktsicherheit, Arbeitsschutz etc.). Sodann gilt es, den als problematisch identifizierten Unternehmensbereichen verstärkte Aufmerksamkeit zu widmen und alsbald Maßnahmen zur Behebung zu ergreifen. Auf der anderen Seite der Medaille können sich bestimmte Aktivitäten und Zustände positiv auf die Klassifizierung des Unternehmens auswirken. So kann es einem Unternehmen beispielweise zugutekommen, wenn zunächst nur unternehmensintern erkannte Missstände aktiv angegangen oder bei den Behörden von sich aus angezeigt werden. Schließlich sollte – wenn nicht bereits bestehend - ein umfassendes Compliance-System im Unternehmen eingerichtet werden, das Risiken aus verschiedenen Unternehmensfeldern frühzeitig erkennen und diese effektiv beseitigen lässt.​

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