IDW S6 – Die Markt- und Wettbewerbsanalyse im Sanierungsgutachten

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von Wolfram Lenzen

 

In der letzten Ausgabe des Sanierungsbriefs wurde die finanzwirtschaftliche Entwicklung im Sanierungsgutachten nach IDW S6 beschrieben. In dieser Ausgabe widmen wir uns der Markt- und Wettbewerbsanalyse im Sanierungsgutachten und stellen einige Überlegungen vor, die im Zusammenhang mit der Beurteilung der Markt- und Wettbewerbssituation üblicherweise angestellt werden. Der zweite Beitrag zum IDW S6 gibt dann einen Überblick über operative Analysen im Sanierungsgutachten.

Die nachhaltige Sanierung eines Unternehmens und damit die Bestätigung der Sanierungsfähigkeit setzen voraus, dass das Unternehmen durch geeignete Sanierungsmaßnahmen sowohl die Wettbewerbsfähigkeit in seinem relevanten Markt als auch die Renditefähigkeit wiedererlangen kann. Wettbewerbsfähigkeit und Renditefähigkeit sind dabei nicht losgelöst voneinander zu betrachten, sondern bedingen sich gegenseitig. So beschreiben die „Anforderungen an die Erstellung von Sanierungsgutachten” (IDW S6) den Begriff „Wettbewerbsfähigkeit” als Potenzial des Unternehmens, Werte durch marktfähige Produkte und Leistungen zu schaffen.

Das Unternehmen muss also in der Lage sein, mit seinen Produkten oder Dienstleistungen die Kundenanforderungen zu erfüllen.

Des Weiteren wird im IDW S6 ausgeführt, dass eine Voraussetzung für die Erlangung der Wettbewerbsfähigkeit darin besteht, dass die Unternehmensleitung in der Lage ist, das Unternehmen in einem überschaubaren Zeitraum so weiterzuentwickeln, dass es eine Marktstellung erlangt, die ihm eine nachhaltige branchenübliche Rendite bei einer angemessenen. Kapitalausstattung ermöglicht (Renditefähigkeit).

Wettbewerbsfähigkeit und Renditefähigkeit sind somit wechselseitig zu sehen. Ist das Unternehmen in der Lage, die Kundenanforderungen zu erfüllen, wird es für seine Produkte und Dienstleistungen Abnehmer finden und somit eine stabile Umsatzbasis vorfinden. Auf der anderen Seite muss das Unternehmen aber auch seine Leistungserstellungsprozesse und Kosten gemessen am Wettbewerb im Griff haben, um erfolgreich zu wirtschaften. Denn nur wenn das Unternehmen eine positive branchenübliche Rendite erwirtschaftet, wird es in der Lage sein, auf Marktveränderungen zu reagieren und eine stabile Wettbewerbsposition aufzubauen. Ein Peer-Group-Vergleich gibt hier Aufschluss über die branchenüblichen Renditen.

Gehen wir davon aus, dass das Unternehmen die Kundenanforderungen grundsätzlich kennt und erfüllt und seine Leistungserstellungsprozesse in den Griff bekommt. Dann stellt sich die Frage, warum der Kunde bei dem eigenen Unternehmen kaufen soll und nicht beim Wettbewerber. Wie kann aus einem Zufallskauf des Kunden eine bewusste Entscheidung für das eigene Unternehmen werden?

Die Beratungspraxis zeigt, dass diese Fragestellung, also die Frage nach den Wettbewerbsvorteilen des eigenen Unternehmens, die Verantwortlichen – gerade in mittelständisch geprägten Firmen – oft ratlos macht.

Die Schaffung von Wettbewerbsvorteilen setzt voraus, dass das Unternehmen im Vergleich zu seinen Wettbewerbern über Differenzierungsmerkmale bzw. Alleinstellungsmerkmale verfügt (im Englischen USP – Unique Selling Proposition). Differenzierungsmerkmale können unterschiedlicher Natur sein. Sie können beispielsweise im Produkt- und Preisbereich liegen, im Markenimage, im Produktions- und Servicebereich oder in der Kundennähe und Kundenbindung. Entscheidend für Differenzierungs- bzw. Alleinstellungsmerkmale sind jedoch gemäß IDW S6 folgende Kriterien:
  • Das Differenzierungsmerkmal muss vom Kunden wahrgenommen werden (d.h. es muss bei der Bestimmung von Differenzierungsmerkmalen die Kundensicht eingenommen werden – die Eigenwahrnehmung des Unternehmens ist dafür unerheblich).
  • Der Kunde muss bereit sein, das Differenzierungsmerkmal zu honorieren, d.h. es muss kaufrelevant für den Kunden sein.
  • Das Differenzierungsmerkmal muss dauerhaft sein und darf nicht allzu leicht imitierbar sein. Nur dann kann das Unternehmen sich hinsichtlich des Differenzierungsmerkmals langfristig vom Wettbewerb absetzen.

 

Die Überlegungen zum Differenzierungsmerkmal sind auch bedeutsam für die Herleitung eines Leitbildes des zu sanierenden Unternehmens, also der Beschreibung der strategischen Grundausrichtung. Die vorstehenden Überlegungen zeigen, dass es elementar wichtig für die nachhaltige Sanierung eines Unternehmens ist, die Branchenstruktur, die Marktentwicklung und die Markttrends, die Kundenanforderungen und den relevanten Wettbewerb zu kennen. Die Erfahrung zeigt, dass der Analyse und Beurteilung der Markt- und Wettbewerbssituation in Sanierungsgutachten leider häufig nicht die Aufmerksamkeit geschenkt wird, die eigentlich notwendig wäre. Im Folgenden sollen einige Methoden beschrieben werden, die zur Analyse des Markt- und Wettbewerbsumfeldes häufig bei der Erstellung und Beurteilung von Sanierungsgutachten angewendet werden.


Abgrenzung des relevanten Marktes

Am Anfang der Markt- und Wettbewerbsanalyse steht die Abgrenzung des relevanten Marktes. Hierbei gilt es herauszuarbeiten, welche Produkte und Dienstleistungen das Unternehmen anbietet (ggf. definiert in Untergruppen), in welchen Regionen (Deutschland, Europa, Welt) das Unternehmen agiert und wie die Zielkundenstruktur aufgebaut ist. Hierbei lassen sich bereits Einflussfaktoren für weitere Analysen identifizieren. Beispielsweise können Marktentwicklungen in verschiedenen Regionen unterschiedlich sein. So kann einem gesättigten Heimatmarkt ein durchaus wachsender ausländischer Markt gegenüberstehen. Entwicklungen in den Märkten der Zielkunden können mittelbare Auswirkungen auf den eigenen Absatzmarkt haben etc.

 

Analyse der allgemeinen Marktentwicklung

Analysen zur allgemeinen Marktentwicklung sollen Aufschluss darüber geben, wie sich der zu betrachtende Absatzmarkt in der Vergangenheit entwickelt hat und welche zukünftige Entwicklung prognostiziert wird. Häufig wird hierbei auf den erzielten Umsatz, der insgesamt in einem definierten Markt erwirtschaftet wurde, abgehoben. Abgrenzungen können beispielsweise regional (Deutschland, Europa, weltweit etc.) oder nach einzelnen Produktarten (Textil/Bekleidung, Damenoberbekleidung, Herrenbekleidung etc.) erfolgen. Die Analyse zur allgemeinen Absatzmarktentwicklung soll insbesondere in Hinsicht auf zwei Fragestellungen Aufschluss geben.

Zunächst ist von Bedeutung, in welchem Marktlebenszyklus das Unternehmen agiert: Ist das Unternehmen in einem wachsenden Markt tätig, in dem auch zukünftig auf eine stabile Umsatzentwicklung zu hoffen ist, oder ist der Markt gesättigt? Unter Umständen befindet sich der relevante Wachstumsmarkt auch bereits in einer Schrumpfungsphase, bspw. weil das Produkt oder die Dienstleistung, die das Unternehmen anbietet, technologisch überholt ist. Ein Beispiel hierfür wäre die früher stark verbreitete VHS-Videokassette oder entsprechend Musikkassetten. Mit dem Aufkommen digitaler Speichermedien sind damals ganze Märkte zusammengebrochen, Unternehmenskrisen und Insolvenzen waren die Folge. Man erkennt, dass bereits die Analyse des allgemeinen Marktes Aufschluss über die Krisenursachen und die mögliche Ableitung von Sanierungsmaßnahmen und damit in Folge auch die zukünftige strategische Ausrichtung liefern kann.

Ein weiteres, nach wie vor in vielen Krisenfällen anzutreffendes Beispiel für eine möglicherweise krisenauslösende Marktentwicklung ist das hohe Wachstum im Bereich E-Commerce. Viele Unternehmen des stationären Handels haben die Entwicklungen und die Konkurrenz des E-Commerce für ihre eigene Geschäftsentwicklung unterschätzt.

Quellen für die Analyse allgemeiner Marktentwicklungen können u.a. Markt- und Branchenstudien von Verbänden, Kreditinstituten und Forschungseinrichtungen sein. Aber auch Studien zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung können hilfreich für die Einschätzung der aktuellen und zukünftigen Marktentwicklung sein. Wertvolle Informationen können sich zudem durch die Hinzuziehung von Branchenexperten ergeben.

 

Analyse der Marktstruktur

Die Analyse der Markt- und Wettbewerbsstruktur hilft dabei, Marktkräfte besser einschätzen und die Positionierung des Unternehmens in seinem Wettbewerbsumfeld besser definieren zu können. Hierbei stehen bspw. die Fragen im Vordergrund, ob es sich hinsichtlich der Wettbewerbsstruktur um ein Angebotsmonopol, ein -oligopol oder ein -polypol handelt, d.h. ob es einen Anbieter, wenige oder sehr viele Anbieter in dem relevanten Markt gibt. Die wohl am häufigsten anzutreffende Form des Anbietermarktes ist das Angebotspolypol, bei dem viele Marktteilnehmer sich einen definierten Markt teilen. Nachdem geklärt ist, wie viele Marktteilnehmer es auf der Angebotsseite gibt, stellt sich die Frage nach der Unternehmensgröße der einzelnen Wettbewerber. Es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Wettbewerber umso stärker den Markt beeinflussen kann, je größer er ist. Grundsätzlich istdavon auszugehen, dass mit der Größe auch die Finanzkraft steigt, nicht zuletzt deshalb, weil größere Unternehmen eher in der Lage sind, ihr Produktangebot zu diversifizieren oder auch renditeschwächere Segmente zu subventionieren, wenn dies strategisch sinnvoll erscheint.

 

Analyse von markt- und wettbewerbsbeeinflussenden Umweltfaktoren

Die Markt- und Branchenentwicklung kann neben der allgemeinen Wirtschaftsentwicklung auch von anderen Faktoren abhängig sein. Diese gilt es herauszufinden und in die Beurteilung der Marktentwicklung einzubeziehen. Ein gängiges Instrument, um unterschiedliche Bereiche möglicher Einflussfaktoren abprüfen zu können, ist die PESTL-Analyse. Im Rahmen dieser Analyse sollen die Fragen beantwortet werden, welche zukünftigen Trends das Marktverhaltenverändern können, wie diese für das Unternehmen zu gewichten sind und in welchem Zeitraum sich diese Veränderungen auf das Marktverhalten auswirken können.

Die PESTL-Analyse untersucht unterschiedliche Untersuchungsfelder der externen Umwelt:

P – Politische Faktoren (political change)
E – Ökonomische Faktoren (economic change)
S – Soziokulturelle Faktoren (sociological change)
T – Technologische Faktoren (technological change)
L – Rechtliche Faktoren/Gesetzgebung (legal change)

Politische Faktoren können beispielsweise Subventionen sein, politische Stabilität (man denke hier insbesondere auch an internationale Bezüge, ebenso Sanktionen), Sicherheitsvorschriften etc. Ein aktuelles Beispiel sind Sanktionen gegen Russland mit entsprechenden Handelsbeschränkungen und damit Auswirkungen auf inländische Unternehmen und deren russischen Absatzmarkt.

Unter ökonomische Faktoren fallen Wirtschaftswachstum, Inflation, Konjunkturzyklen, Verfügbarkeit von Ressourcen etc. Als aktuelles Beispiel kann der Fachkräftemangel in einigen Branchen angeführt werden. Durch die beschränkte Verfügbarkeit von geeignetem Personal können sowohl Wachstum  wie auch Qualitätserfordernisse in bestimmten Bereichen nur unzureichend erfüllt werden.

Soziokulturelle Faktoren sind z.B. der Lebensstil, demografische Einflüsse, Einkommensverteilung, Bildung etc. Ein wichtiger Effekt ist auch die zunehmende Alterung der Gesellschaft. Für bestimmte Unternehmen erschließen sich hier neue Marktfelder bzw. kommt es hier zu verstärkter Nachfrage. Man denke an Unternehmen aus den Bereichen Medizin, Forschung, Pflege. Für andere Unternehmen kann es zu negativen Auswirkungen kommen, bspw. Krankenkassen, Träger von Bildungseinrichtungen etc.

Technologische Faktoren können neue Produkte und Prozesse sein, Produktlebenszyklen, staatliche Forschungsausgaben etc. Die technologischen Faktoren sind sicherlich Faktoren, an die sehr häufig gedacht wird und die gut wahrnehmbar sind. Man denke beispielsweise an E-Commerce, digitale Speichermedien, Technologie im Bereich Wärme und Energie oder Ähnliches.

Rechtliche Faktoren sind unter anderem Gesetzgebung, Steuerrichtlinien, Wettbewerbsregelungen, Produktvorgaben etc. Ein aktuelles Beispiel sind die Abgasvorschriften bei Pkw und Lkw, die Automobilhersteller, Automobilzulieferer, Engineering-Unternehmen etc. beeinflussen können.

Es ist anzumerken, dass es zwischen den einzelnen Faktoren Abhängigkeiten geben kann, man denke bspw. an neue technologische Entwicklungen und die Verfügbarkeit von Fachkräften.


Analyse der Erfolgsfaktoren

Eine überaus wertvolle Analyse im Rahmen der Unternehmenssanierung kann die Analyse der Erfolgsfaktoren sein. Sie kann nicht nur den Blick des Managements für relevante Steuerungsgrößen schärfen, sondern auch deutliche Hinweise für unternehmensinterne Schwachstellen in Prozessabläufen geben. Zudem liefert die Erfolgsfaktorenanalyse Angaben darüber, warum ein Kunde bei einem bestimmten Unternehmen kauft oder eben nicht. Ich verweise hier auf die oben stehenden Ausführungen zum Thema „Wettbewerbsvorteile”. Die Analyse der Erfolgsfaktoren kann in unterschiedlichen Schritten erfolgen. Am Anfang steht die eigentliche Definition der Faktoren, die für die Kunden kaufentscheidend sind (unsere Erfolgsfaktoren). Dies können bspw. Lieferzeit, Lieferzuverlässigkeit, Qualität bestimmter technischer Merkmale, Passgenauigkeit, Preisniveau, Innovationsfähigkeit, Beratungsqualität, Erreichbarkeit sein, um nur einige zu nennen. In einem nächsten Schritt bietet es sich an, diese Erfolgsfaktoren zu gewichten, um später einen Fokus bei der Definition entsprechender Maßnahmen setzen zu können. Anschließend werden die Erfolgsfaktoren hinsichtlich des Erfüllungsgrades durch das Unternehmen bewertet. Es bietet sich hier an, auch die wesentlichen Wettbewerber – soweit bekannt – anhand der gewonnenen Faktoren zu bewerten.

Überraschende Ergebnisse können erzielt werden, wenn die Einschätzung der Erfüllungsgrade auch direkt bei wesentlichen Kunden abgefragt werden kann. Hierbei kann ermittelt werden, ob die Definition der Erfolgsfaktoren richtig ist und die Einschätzung des Unternehmens hinsichtlich des Erfüllungsgrades (Eigenwahrnehmung) mit der Einschätzung der Kunden (Fremdwahrnehmung) übereinstimmt. Fairerweise muss man allerdings sagen, dass je nach Unternehmensstruktur, Projektumfang und zur Verfügung stehender Zeit eine Abfrage bei den relevanten Kunden nicht immer möglich ist. Ist eine Kundenabfrage durchführbar, kann die Beurteilung der Erfolgsfaktoren ein hochinteressantes und mächtiges Werkzeug sein.

 

Fazit

Die Markt- und Wettbewerbsanalyse bietet ein weites Feld an Überlegungen und Analysemethoden. Am Ende geht es um die Beantwortung der Frage nach der Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens. Realistischerweise muss man zugeben, dass die Analyse- und Beurteilungsmöglichkeiten von Markt und Wettbewerb umso detaillierter und aussagekräftiger werden, je größer das zu beurteilende Unternehmen ist. Bei kleineren mittelständischen Unternehmen in einem polypolen Marktumfeld sollte man die Verhältnismäßigkeit der Untersuchung im Auge behalten.

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