Integration von Frühwarnsystemen in Unternehmensprozesse

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veröffentlicht am 17. März 2023


Risiken sind laut des Schriftstellers Carl Amery die Bugwelle des Erfolgs. Wer seine Chancen erkennen und nutzen will, muss unabdingbar auch seine Risiken kennen und managen. Ein unachtsamer Umgang mit Risiken im Unternehmen kann sich schnell existenzgefährdend auswirken. Daher und mit Blick auf die obigen Ausführungen zum § 1 StaRUG kommt der Krisenfrüherkennung in Unternehmensprozessen eine hohe Bedeutung zu.

Der Krisenfrüherkennung sollte ein grundlegendes Risikoverständnis vorgelagert sein. Denn nur wenn umfassende Kenntnisse über Unternehmensrisiken angeeignet wurden, können Risiken richtig erkannt und bewertet werden. Hierfür sind kontinuierliche Schulungen und Sensibilisierungen der Mitarbeiter im Hinblick auf mögliche Risiken erforderlich.

Die Krisenfrüherkennung sollte als integriertes System aufgebaut sein. Ein solches System erfordert eine methodisch fundierte Risikoidentifikation, -bewertung und -aggregation. Die Risikoidentifikation ist das Grundelement eines Frühwarnsystems und umfasst die regelmäßige und systematische Identifizierung von Risiken, die einzeln oder im Zusammenwirken mit anderen Risiken zu bestandsgefährdenden Entwicklungen führen können. Für eine vollständige Übersicht der identifizierten Risiken sollten diese in einem sogenannten Risikoinventar dokumentiert werden. Die Identifikation von Risiken sollte sich dabei nicht nur auf unternehmensinterne Bereiche beschränken, sondern auch volkswirtschaftliche und branchenspezifische Entwicklungen berücksichtigen. Eine mögliche Vorgehensweise zur Strukturierung der Risikoidentifikation ist die Bildung einer Projektgruppe, die im Rahmen von Workshops ein Risikoschema mit einzelnen Risikofeldern erarbeitet. Die Risikofelder werden dann mit den entsprechenden Organisationseinheiten tiefergehend analysiert und in Risikobereiche aufgeteilt (siehe Abbildung 1). Von entscheidender Bedeutung ist neben der Wahl geeigneter Instrumente eine Zuordnung von Verantwortlichkeiten zu den einzelnen Risikobereichen und -feldern.

Abbildung 1: Exemplarische Risikofelder und -bereiche; In Anlehnung an Seidel 2011, Risikomanagement und -controlling

Zur Risikoidentifikation stehen vielfältige Instrumente wie bspw. SWOT-Analysen, Balance Scorecards, Checklisten, Portfolioanalysen, Mitarbeiterbefragungen oder KPI-Analysen zur Verfügung. Mit Rücksicht auf die Größe und die Komplexität des Unternehmens dürften daneben regelmäßig die nachfolgenden Instrumente sinnvolle Bestandteile eines Krisenfrüherkennungssystems sein:
  • eine rollierende 13-Wochen-Liquiditätsplanung,
  • eine mittelfristige integrierte Vermögens-, Ertrags- und Finanzplanung, die stetig aktualisiert wird,
  • eine datenbasierte Übersicht zu operativen Kennzahlen (KPIs), beispielsweise zur Ertragslage, zum Cash-Flow oder zum Working Capital

Diese Instrumente sollten zudem in Stresstests in Form von Szenariorechnungen erweitert werden, um eine etwaige Bestandsgefährdung frühzeitig erkennen zu können.

 

Nach der Identifikation sollten die erkannten Risiken im Hinblick auf deren Eintrittswahrscheinlichkeiten und möglichen Schadensauswirkungen systematisch bewertet werden. Das zu erwartende Schadensausmaß beschreibt die Auswirkungen beim Eintritt des Risikoereignisses auf die Finanzen oder Reputation. Die Eintrittswahrscheinlichkeit dient der Gewichtung des Schadensausmaßes und wird üblicherweise anhand von statistischen Häufigkeitsverteilungen, Erfahrungswerten oder qualitativen Prognosen bemessen. Die Bewertung ist erforderlich, um wesentliche Risiken zu erkennen und damit die Erforderlichkeit von risikobegrenzenden Maßnahmen besser beurteilen zu können.


Die bewerteten Risiken sind anschließend methodisch zu aggregieren. Aufgrund der hohen Komplexität lässt sich ein Gesamtunternehmensrisiko in der Regel nur mit Hilfe von Simulationstechniken, wie der Monte-Carlo-Methode oder auf Basis stark vereinfachter Formeln bestimmen. Ziel der Monte-Carlo-Methode ist es, die Wahrscheinlichkeitsverteilungen einzelner Risiken zu einer Wahrscheinlichkeitsverteilung der Zielgröße des Unternehmens (zum Beispiel Gewinn oder Cashflow) zusammenzufassen. Auf diese Weise lässt sich eine Messzahl ermitteln, die den maximalen Verlust für eine zuvor definierte Wahrscheinlichkeit angibt. Häufig ist es jedoch nicht möglich oder unwirtschaftlich, Risiken in solch qualifizierter Weise zu quantifizieren oder Wahrscheinlichkeitsverteilungen zu bestimmen, sodass diese vereinfacht in einer Risikomatrix (geringes, mittleres, hohes Risiko) aggregiert werden. Bei einer solchen Einteilung ist jedoch zu berücksichtigen, inwiefern zwischen den Einzelrisiken auch Kombinationseffekte bestehen.


Neben einer Aggregation der Einzelrisiken empfiehlt sich eine Berücksichtigung des möglichen Deckungspotentials bspw. In Form des Eigenkapitals oder der Liquidität. Das mögliche Deckungspotential sollte ins Verhältnis zu den ermittelten Risiken gesetzt werden. Auf Basis dieses Verhältnisses lassen sich die Entwicklungen unter Berücksichtigung von Schwellenwerten in Form einer „Warnampel” darstellen. Im Falle eines „grünen Status” würden keine gravierenden Risiken vorliegen. Ein „gelber Status” würde drohende bestandsgefährdende Risiken signalisieren und im Falle eines „roten Status” wären bestandsgefährdende Entwicklungen bereits gegenwärtig.

 

Da sich die Risikolage jederzeit ändern kann, handelt es sich bei der Identifizierung, Bewertung und Aggregation der Risiken um eine Daueraufgabe, die rollierend erfolgen sollte. Für die Funktionsfähigkeit eines Risikomanagementsystems ist es auf nachgelagerter Ebene zwingend erforderlich, dass die Ergebnisse der Risikofrüherkennung kontinuierlich an Entscheidungsträger und Kontrollgremien kommuniziert werden. Hierfür sollten standardisierte Berichte verwendet werden, um eine Vergleichbarkeit zwischen den Perioden zu ermöglichen. Für eilbedürftige Risikomeldungen sollte daneben ein Berichtsprozess etabliert sein, der eine unverzügliche Übermittlung relevanter Informationen an die Geschäftsleitung sicherstellt. Prozessübergreifend sollte zudem eine Überwachung des Risikofrüherkennungssystems stattfinden, um die Wirksamkeit sicherzustellen und gegebenenfalls Verbesserungen vorzunehmen.

 

Der frühzeitigen Erkennung von Risiken kommt in Industrieunternehmen im Vergleich z. B. zu Banken eine besondere Bedeutung zu, da sie häufig größere und längerfristige Investitionen vornehmen, die weitreichende Verluste zur Folge haben können, falls sich die geschäftliche Strategie nicht umsetzen lässt oder diese obsolet wird. Das Risikofrüherkennungssystem sollte daher insbesondere bei Industrieunternehmen fortlaufend auf seine Funktionsfähigkeit überwacht werden.

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