EuGH stärkt konkludenten Vertrag durch Entnahme von Energie – Vergütungsrisiken erfordern Wahrnehmung der Belehrungs- und Bestätigungspflichten durch Versorger

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veröffentlicht am 30. März 2021

 

Der EuGH hat mit einer aktuellen Entscheidung zur Nichtanwendbarkeit der Vorgaben der Unlauterer-Wettbewerbs-Richtlinie zu unbestellten Waren auf konkludente Vertragsschlüsse in der Versorgungswirtschaft das im deutschen Energierecht verordnungsrechtlich verankerte Institut sog. „faktischer Versorgungsverträge” gestärkt. Dagegen bleibt es aber bei den Risiken aus einer Anwendbarkeit der gesetzlichen Regelungen für Verbraucher-Widerrufsrechte, so dass Strom-, Gas-, Fernwärme- und Wasserversorger ihre Belehrungspflichten in ihren allgemeinen Versorgungsbedingungen berücksichtigen sollten und verbleibende Vergütungsausfallrisiken durch eine gewissenhafte Wahrnehmung der verordnungsrechtlichen Bestätigungspflichten begrenzen müssen.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in einer aktuellen Entscheidung zur Lieferung von Trinkwasser ohne einen schriftlichen Vertragsschluss festgestellt, dass derartige konkludente Verträge mit dem europarechtlichen Verbraucherschutzrecht vereinbar sind (EuGH, Urteil vom 03. Februar 2021 – C-922/19 –).


Nach Feststellung des EuGH zu den nach niederländischem Recht bestehenden nationalen Vorgaben zum Vertragsschluss durch Bezug von Wasser, regelt weder die Richtlinie über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz (97/7/EG geändert durch 2011/83/EU – nachfolgend „Fernabsatz-Richtlinie”) noch die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern (2005/29/EG – nachfolgend „Unlauterer-Wettbewerb-Richtlinie”), ob und wie Verträge zustande kommen. Insofern bleibt es dem nationalen Gesetzgeber unbenommen, gesetzliche Regelungen über das Zustandekommen von Verträgen durch den tatsächlichen Bezug von öffentlichen Versorgungsgütern zu treffen.


Der Begriff „unbestellte Waren oder Dienstleistungen” im Sinne von Anhang I Nr. 29 der Unlauterer-Wettbewerb-Richtlinie ist deshalb dahingehend auszulegen, dass er die Geschäftspraxis sog. „konkludenter Vertragsschlüsse” der Versorgungswirtschaft nicht einschließt. Grundsätzlich bedarf es für das Zustandekommen eines Vertrags einer ausdrücklichen Angebots- und Annahmeerklärung. Ausnahmsweise hat die Rechtsprechung aber für öffentliche Versorgungsleistungen das Zustandekommen durch eine öffentliche Leistungsbereitstellung und deren tatsächliche Inanspruchnahme entwickelt. Darüber hinaus ist dieses Institut durch entsprechende Normierung über die Energiegesetzgebung anerkannt worden.


Im dem der EuGH-Entscheidung zugrundeliegendem Fall hatte das Versorgungsunternehmen beim Einzug eines Verbrauchers in eine vorher bewohnte Wohnung ohne entsprechenden Antrag des Verbrauchers den Anschluss an das öffentliche Trinkwasserversorgungsnetz aufrechterhalten. Der Verbraucher hatte daraufhin den Wasseranschluss ohne einen schriftlichen Vertrag genutzt. Dabei war für den EuGH maßgeblich, dass der Verbraucher keine Möglichkeit zur Auswahl eines anderen Lieferanten hatte und der Versorger veröffentlichte Tarife in Rechnung stellte, die kostendeckend, transparent, nichtdiskriminierend und verbrauchsabhängig waren. Nach Auffassung des EuGH musste dem Verbraucher deshalb bewusst sein, dass die Wohnung an das öffentliche Wasserversorgungsnetz angeschlossen und die Lieferung von Wasser entgeltlich ist. Damit stehe eine Zahlungspflicht aus einem konkludenten Vertragsschluss nicht im Widerspruch zu dem Verbot von Zahlungsansprüchen für unbestellte Waren und Dienstleistungen nach der Unlauterer-Wettbewerb-Richtlinie.


Diese Grundsätze sind unseres Erachtens auch auf andere Versorgungsmedien der öffentlichen Energieversorgung, insbesondere soweit es sich um tatsächliche Versorgungsangebote in der Strom- und Erdgasgrundversorgung sowie in der Fernwärme- und Wasserversorgung nach deutschem Recht handelt, übertragbar. Danach steht das europäische Verbraucherschutzrecht auch den gesetzlichen Regelungen zu konkludenten Verträgen des deutschen Energierechts (z.B. § 2 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2 AVBFernwärmeV/AVBWasserV, § 2 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 StromGVV, GasGVV, § 3 Abs. 2 NAV/NDAV) nicht entgegen.  Zu berücksichtigen ist jedoch, dass im Bereich der Strom- und Gasversorgung, anders als in dem der Entscheidung des EuGH zugrundeliegenden Sachverhalt (und der Lieferung und Wasser und Wärme nach deutschem Recht) sehr wohl die Möglichkeit zur Auswahl eines anderen Lieferanten neben dem Grundversorger bestünde. Indes muss auch dem Strom- und Gaskunden bewusst sein, dass bei an das Strom- bzw. Gasversorgungsnetz angeschlossenen Entnahmestellen die Energielieferung nicht kostenfrei erfolgen wird. Dass die Lieferung nicht durch den jeweiligen Netzbetreiber, sondern einen hiervon verschiedenen Grundversorger erfolgt (der in vielen Fällen das identische Unternehmen ist), ist den Entflechtungsvorgaben geschuldet. Dem Kunden steht es darüber hinaus jederzeit frei, sich selbst um einen Lieferanten zu bemühen. Tut er dies nicht, kann er sich unseres Erachtens nicht auf den Standpunkt stellen, bei der Belieferung durch den Grundversorger handele es sich um unbestellte Waren. 


Zu beachten ist jedoch, dass seit der Novellierung der §§ 356 BGB ff. auch außerhalb geschlossener Geschäftsräume oder im Fernabsatz geschlossene Verbraucherverträge über die Lieferung von Wasser, Gas, Strom und Fernwärme einer Widerrufsbelehrung bedürfen. Ohne eine Widerrufsbelehrung schuldet der Verbraucher nach § 357 Abs. 8 BGB keinen Wertersatz für die gelieferte Energie. Nach § 361 BGB besteht auch kein bereicherungsrechtlicher Anspruch auf Wertersatz. Danach kann der Verbraucher bei einer unterlassenen Widerrufsbelehrung bis zum Ablauf der Jahresfrist des § 356 Abs. 3 Satz 2 BGB widerrufen, so dass im ungünstigsten Fall über ein Jahr ohne Wertersatzansprüche Energie geliefert worden ist.

 

Vor diesem Hintergrund ist auf die öffentliche Bekanntgabe von Versorgungsbedingungen (z.B. § 2 Abs. 3 Satz 7, Abs. 4 Satz 2 StromGVV/GasGVV; § 1 Abs. 4 AVBFernwärmeV/AVBWasserV) und die Bestätigung des Vertragsschlusses (z.B. § 3 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit § 2 Abs. 4 StromGVV/GasGVV, § 2 Abs. 1 Satz 2 AVBFernwärmeV/AVBWasserV) unter Übermittlung der allgemeinen Versorgungsbedingungen (z.B. § 2 Abs. 4 Satz 2 StromGVV/GasGVV, § 2 Abs. 3 AVBFernwärmeV/AVBWasserV) jeweils inklusive einer korrekten Widerrufsbelehrung  hinzuweisen. Zwar ist vertretbar, dass bei einem konkludenten Vertrag die Widerrufsbelehrung bereits im Rahmen der öffentlichen Bekanntgabe bzw. deren zumutbaren Kenntnisnahme konkludent erfolgt ist. Darüber hinaus könnte ein Widerruf als widersprüchliches Verhalten zur im tatsächlichen Bezug enthaltenen Erklärung eines fortgesetzten Bezugs unbeachtlich sein. Die Tendenzen der BGH-Rechtsprechung, insbesondere zur fehlenden Einbeziehung von Fernwärme-Versorgungsbedingungen beim konkludenten Vertragsschluss (BGH, Urteil vom 15. Januar 2014 – VIII ZR 111/13 –), aber auch in vollkommen anderen Bereichen wie dem konkludenten Abschluss von Rechtsanwaltsverträgen (BGH Urteil vom 19. November 2020 – IX ZR 133/19 –) scheinen in eine andere Richtung zu gehen.


An sich hat die Bestätigungspflicht der AVBFernwärmeV/AVBWasserV/StromGVV/GasGVV zwar nur deklaratorische Bedeutung, so dass der konkludente Vertrag auch ohne Bestätigung wirksam zustande kommt. Vor dem Hintergrund der Rechtswirkung einer Widerrufsbelehrung erlangt die Vertragsbestätigung jedoch konstitutive – d.h. rechtsbegründende - Wirkung für widerrufsrechtliche Fristen und Erstattungsansprüche; die verordnungsrechtliche Bestätigungspflicht sollte daher schon zur Begrenzung der widerrufsrechtlichen Haftungsrisiken erfüllt werden. Insbesondere die Tendenz zur Preis- und Vertragsanpassung durch außerordentliche Kündigung als Reaktion auf die unterinstanzliche Zurückweisung gesetzlicher Leistungsbestimmungsrechte (zuletzt zu § 4 Abs. 2 AVBFernwärmeV: KG Berlin, Urteil vom 29. September 2020 – 9 U 19/20) führt gerade zu einer Renaissance der konkludenten Vertragsschlüsse im Fernwärmerecht, so dass diese Grundsätze hier besonders beachtet werden sollten.


Rödl & Partner bietet Musterversorgungsbedingungen und Musterdokumente für die Vertragsbestätigung in der Strom-, Erdgas-, Fernwärme- und Wasserversorgung an, die den Vorgaben des europäischen und nationalen Verbraucherschutzrechts entsprechen.


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