Vertreterbetriebsstätten: Änderung der Rahmenbedingungen durch AOA und BEPS

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veröffentlicht am 4. April 2018


Grenzüberschreitende Vertriebstätigkeiten können zu steuerlichen Betriebsstätten führen, auch ohne dass ein Unternehmen im Ausland eine feste Geschäftseinrichtung unterhält. In der Praxis wurden häufig sog. Kommissionärsstrukturen aufgesetzt, um solche Vertreterbetriebsstätten im Ausland zu vermeiden. Die internationalen Entwicklungen zielen darauf ab, den in Art. 5 des OECD-MA definierten Betriebsstättenbegriff weiter zu fassen. Das betrifft in erster Linie die Änderung des Begriffs einer Vertreterbetriebsstätte.


Vertreterbegriff

Der Begriff des ständigen Vertreters nach deutschem nationalen Recht ergibt sich aus § 13 AO. Er findet im internationalen Kontext sein weitgehendes Pendant in Art. 5 OECD-MA.

 

Nach bisherigem Wortlaut von Art. 5 Abs. 5 und 6 OECD-MA war ein Vertreter eine Person, die
  • für ein Unternehmen tätig ist,
  • Vollmacht besitzt, im Namen des Unternehmens Verträge abzuschließen,
  • diese Vollmacht gewöhnlich in einem anderen Staat ausübt,
  • keine Hilfstätigkeit im Sinne von Art. 5 Abs. 4 OECD-MA ausübt und
  • kein Makler, Kommissionär oder anderer unabhängiger Vertreter ist, der im Rahmen seiner ordentlichen Geschäftstätigkeit handelt.

 

Künftig soll gemäß Art. 5 Abs. 5  OECD-MA eine Person für ein Unternehmen eine Betriebsstätte begründen, wenn
  • sie im Namen eines Unternehmens handelt,
  • gewöhnlich Verträge schließt, i.d.R. eine tragende Rolle beim Abschluss von Verträgen spielt, die vorwiegend ohne wesentliche Änderungen durch das Unternehmen geschlossen werden,
  • diese Verträge entweder im Namen des Unternehmens, durch die Übertragung einer Eigentumsposition, durch die Gewährung von Nutzungsrechten von Grundstücken, die durch das Unternehmen gehalten werden oder für die das Unternehmen ein Nutzungsrecht hat, oder für die Erbringung von Leistungen durch das Unternehmen geschlossen werden und
  • die Person kein unabhängiger Vertreter im Sinne von Art. 5 Abs. 6 Buchst. a) OECD-MA ist.

 

Die Fassung von Art. 5 Abs. 5 und 6 OECD-MA geht auf den Aktionspunkt 7 des BEPS Aktionsplans zurück. Nach Auffassung der OECD bedurfte der Betriebsstättenbegriff einer Erweiterung, um einer künstlichen Vermeidung von Betriebsstätten durch Steuerpflichtige zu begegnen.

 

Der neue Wortlaut des OECD-MA entfaltet zwar keine unmittelbar rechtsverbindliche Wirkung; aufgrund der Leitwirkung des OECD-MA und des Musterkommentars für die Handhabung grenzüberschreitender steuerlicher Beziehungen sollte ihm gleichwohl Beachtung beigemessen werden. Ungeachtet dessen, ob Deutschland die neuen Regelungsvorschläge in seine DBA aufnehmen wird, ist zu erwarten, dass andere Anwenderstaaten von DBA oder ggf. sogar Vertragsstaaten deutscher DBA motiviert sein können, das neue Verständnis zur Begründung einer (Vertreter-)Betriebsstätte im Wege der Interpretation in bereits bestehende Abkommen aufzunehmen. Sollte Deutschland selbst dem Ansatz folgen, einer DBA Regelung grundsätzlich das Begriffsverständnis zugrunde zu legen, das zum Zeitpunkt des Abschlusses des DBA galt, kann sich hieraus ein nicht unerhebliches Konfliktpotential ergeben. Für weitere Fragen der Anwendbarkeit der neuen Regelungen – insbesondere im Verhältnis zu Deutschland – sei auf den Beitrag „Das Multilaterale Instrument: Verschärfung der Betriebsstättendefinition" verwiesen.

 

Vertretungsmacht

Nach bisherigem Verständnis war eine zivilrechtliche Vollmacht erforderlich, damit eine Person als Vertreter eine Betriebsstätte begründen konnte. Gleichwohl wurde der Begriff der Vollmacht in diesem Zusammen­hang wirtschaftlich verstanden. Das umfasste u.a. den Fall, dass eine nicht zivilrechtlich bevollmächtigte Person Aufträge einholt, sie zwar formal nicht zeichnet, jedoch durch den Prinzipal routinemäßig gebilligt werden (Tz. 32.1 MK 2014). Darüber hinaus war eine offene Stellvertretung nicht erforderlich, um eine Vollmacht im vorgenannten Sinn zu erfüllen. Die Verträge mussten nach Auffassung der OECD nicht im Namen des Prinzipals geschlossen werden (Tz. 32.1 MK 2014). Entgegen des Wortlauts von Art. 5 Abs. 5 und 6 OECD-MA sollte auch das Handeln eines Kommissionärs außerhalb seiner gewöhnlichen Geschäfts­tätigkeit ausreichen, um eine Betriebsstätte zu begründen. Durch die Neufassung von Art. 5 Abs. 5  OECD-MA wird letztlich eine wirtschaftliche Betrachtungsweise bestimmt. Mithin genügt zur Annahme einer Vertretungsmacht ein tatsächliches Handeln, das gewöhnlich zum Abschluss unter standardisierten Bedingungen führt.

 

Unabhängigkeit

Wie bisher soll grundsätzlich auch künftig ein unabhängiger Vertreter als Rückausnahme keine Betriebs­stätte für das Unternehmen begründen, wenn er im Rahmen seiner gewöhnlichen Geschäftstätigkeit handelt. Diese Rückausnahme erfährt aber weitreichende Einschränkungen.

 

Nach der bisherigen OECD-MA Rechtslage sollte sich die Unabhängigkeit eines Vertreters offenbar nach dem Ausmaß der Verpflichtungen gegenüber vertretenen Unternehmen und anhand der Anzahl der Geschäfts­herren eines Vertreters beurteilen (Tz. 38/38.6 MK 2014). Es wurde sowohl auf eine unterneh­mens­bezogene Betrachtung als auch auf das Vorliegen bzw. den Grad der Weisungsgebundenheit abgestellt. Nunmehr soll die Prüfung auf die Vertretertätigkeit abstellen. Die Prüfung der Abhängigkeit soll sich in Zukunft also nicht mehr auf den Prinzipal, sondern auf die Vertretertätigkeit beziehen. Zudem soll künftig die Rückausnahme nicht mehr gelten, wenn der Vertreter ausschließlich oder fast ausschließlich (mind. 90 Prozent) für ein/mehrere Unternehmen weisungsgebunden tätig wird. Das soll (unwiderlegbar) bei einer Beteiligung des vertretenen Unternehmens am Vertreter von mindestens 50 Prozent (Art. 5 Abs. 6 Buchst. b) DBA OECD-MA) vermutet werden. Im Gegensatz zur früheren Rechtslage verhindert somit das Tätigwerden eines Gruppenunternehmens für mehrere andere Gruppenmitglieder eine Abhängigkeit wohl nicht mehr. Zudem soll nach dem Willen der OECD mit der Implementierung der tatsächlichen Betrachtungs­weise Kommissionärsstrukturen begegnet werden.

 

Anwendung des AOA auf Vertreterbetriebsstätten

Grundsätzlich kommen nach § 1 Abs. 5 S. 5 AStG, § 39 Abs. 1 BsGaV die Regeln zur Einkünfteabgrenzung bzw. Gewinnermittlung, zur Bestimmung von Geschäftsbeziehungen und zum Fremdvergleich – die allgemein bei Betriebsstätten gelten – auch bei Vertreterbetriebsstätten zur Anwendung. Somit ist auch für sie in einem 1. Schritt eine Funktions- und Risikoanalyse, beginnend mit der Identifizierung und Zuordnung von Personalfunktionen, durchzuführen. In einem 2. Schritt sind Geschäftsvorfälle zu bestimmen und zu analysieren.

 

Dennoch gibt es Besonderheiten. So berücksichtigt der Gewinn einer Vertreterbetriebstätte die Funktionen und Risiken, die ihr – mittelbar durch Tätigkeit des Vertreters – zugerechnet werden. In der Folge sollte somit einer solchen Vertreterbetriebstätte kein Gewinn zugerechnet werden, wenn der Vertreter keine Funktionen ausübt, die dem Vertretenen zugerechnet werden müssten. Im Hinblick auf Vertreterbetriebs­stätten können insbesondere folgende Funktionen Probleme aufwerfen:
  • Überwachung und Kontrolle Delkredere,
  • Lagerhaltung,
  • Marketing,
  • Funktionsausübung (Kostenaufschlagsmethode) oder
  • Risikoübernahme (Risikoprämie).

 

In Teilen abweichend von der deutschen Interpretation äußert sich die OECD in einem gesonderten Papier zur Gewinnermittlung und -abgrenzung bei Vertreterbetriebsstätten. Auch aufgrund des unterschiedlichen Verständnisses der Gewinnermittlung und -abgrenzung resultieren letztlich Risiken der Doppelbesteuerung.

 

Fazit

Die Schwelle zum Entstehen einer (Vertreter-)Betriebsstätte sinkt. Angesichts dessen, dass nicht in sämtlichen (OECD-Mitglieds-)Staaten (zeitgleich) ein entsprechendes Rechtsverständnis Anwendung finden wird, steigt für Steuerpflichtige die Komplexität der Bewältigung steuerlicher Fragen und das Risiko einer Doppelbesteuerung. Steuerpflichtige sollten daher frühzeitig ihre grenzüberschreitenden Vertriebs­tätigkeiten untersuchen, um ggf. auf eine Doppelbesteuerung reagieren zu können.

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