Angemessene Abfindung bei aktien- und umwandlungsrechtlichen Strukturmaßnahmen

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veröffentlicht am 19. September 2018

   

Wenn Minderheitsaktionäre infolge eines Beherrschungs- und/oder Gewinn­abführungs­vertrags, eines Squeeze-outs oder einer Ver­schmelzung ihre Anteile hingeben oder verlieren, haben sie einen gesetzlichen Anspruch auf eine angemessene Abfindung, die zumindest dem anteiligen Unterneh­mens­­wert entspricht. Jedoch sind Mehrheits- und Minder­heits­aktionäre oft unterschiedlicher Auffassung zur Angemessenheit der Abfindung. Die angebotene Abfindung wird daher nahezu immer einer detaillierten, gerichtlichen Überprüfung unterzogen.

 

   

Aktien- und umwandlungsrechtliche Strukturmaßnahmen

Zur Erweiterung ihrer Handlungsoptionen und Freiheiten können Unternehmen in Bezug auf ihre Tochter­gesellschaften oder andere Unternehmen verschiedene strukturgestaltende Maßnahmen ergreifen. Zur Strukturgestaltung bei Aktien­gesellschaften (AGs) bieten das Aktiengesetz und das Umwandlungsrecht u.a. Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge, den Squeeze-out und Verschmelzungen an.

 

Mittels Beherrschungs- und Gewinn­abführungs­verträgen (§ 291 AktG) kann eine AG ihre Leitung einem anderen Unternehmen (Hauptaktionär) unterstellen bzw. sich dazu verpflichten, ihre Gewinne an ein anderes Unternehmen abzuführen (zusammengefasst BGAV für Beherrschungs- und Gewinnabführungsver­trag). Gesetzliche Voraussetzung ist ein entsprechender Beschluss der Hauptversammlung, der eine Präsenzmehrheit von mind. 75 Prozent des Grundkapitals erfordert. Mit dem BGAV zielen Hauptaktionäre häufig wesentlich darauf ab, durch eine enge Integration Umsatz und/oder Kostensynergien in einem möglichst weitgehenden Umfang zu realisieren. Minderheitsaktionäre können sich entscheiden, ob sie ihre Aktien behalten und ihren Dividendenanspruch gegen einen Anspruch auf eine jährliche, fixe Ausgleichs­zahlung (daher auch Garantiedividende genannt) tauschen oder ihre Aktien gegen eine Barabfindung an den Hauptaktionär übertragen wollen.

 

Mittels Squeeze-out kann ein Hauptaktionär von den Minderheitsaktionären die Übertragung ihrer Aktien verlangen. Je nach Ausgangssituation setzt das voraus, dass der Hauptaktionär mind. 95 Prozent (aktienrechtlicher Squeeze-out, § 327a AktG; übernahmerechtlicher Squeeze-out, § 39a, 39b WpÜG[1].) bzw. 90 Prozent (verschmelzungsrechtlicher Squeeze-out, § 62 Abs. 5 UmwG) der Aktien innehat. Mit einem Squeeze-out zielen Mehrheitsaktionäre meist auf Vereinfachungen und Kosteneinsparungen ab.

 

Mittels Verschmelzung kann das gesamte Vermögen von AGs auf einen anderen bestehenden oder einen neu zu gründenden Rechtsträger übertragen werden (§ 2 UmwG). Die Aktionäre des übertragenden Rechtsträgers können sich entscheiden, ob sie ihre Aktien in einem bestimmten Verhältnis gegen Aktien am übernehmenden bzw. neuen Rechtsträger tauschen oder ihre Aktien gegen eine Barabfindung an den übernehmenden Rechtsträger übertragen wollen.

 

Angemessene Abfindung zum Schutz von Minderheitsaktionären

Innerhalb der genannten Strukturmaßnahmen haben freiwillig bzw. zwangsweise ausscheidende Minder­heitsaktionäre einen gesetzlichen Anspruch auf eine angemessene Abfindung für die freiwillige Hingabe bzw. den zwangsweisen Verlust ihrer Aktien (BGAV: § 305 AktG; Squeeze-out: § 327a AktG; Verschmel­zung: § 29 UmwG).

 

Bereits die grundsätzliche Frage, was unter Angemessenheit zu verstehen ist, füllt eine Vielzahl von Literaturbeiträgen, wird in Fachkreisen fortlaufend diskutiert und beschäftigt regelmäßig die Gerichte. Die Frage ist ihrer Natur nach interdisziplinär von Juristen und Betriebswirten gemeinsam zu beantworten, denn die zutreffende Antwort muss einerseits den jeweiligen Normzweck berücksichtigen und andererseits aus dem Fundus eines Wirtschaftssachverständigen an Konzepten, Methoden und Instrumenten das Geeignete heranziehen.

 

Wert der Aktien

Es erscheint klar, dass sich eine angemessene Abfindung für Anteile aus dem Wert der Anteile ableiten muss, weswegen eine Anteilsbewertung (auf den Stichtag der beschlussfassenden Hauptversammlung) vorgenommen werden muss. Der Gesetzgeber hat sich dazu, wie die Bewertung methodisch zu erfolgen hat, nicht festgelegt.

 

Der Anteilswert ist jedenfalls geprägt vom Erfolgspotenzial der Gesellschaft samt all ihrer Beteiligungen (ganzes Unternehmen). Ob der Bewertung jedoch das Potenzial des ganzen Unternehmens aus der Sicht eines Erwerbers oder eines Veräußerers zu Grunde zu legen oder ein Mittelwert zu bilden ist, erschließt sich nicht ohne weiteres. Nach dem überwiegenden juristischen Verständnis von Angemessenheit steht für die Bemessung der Abfindung nicht der Interessenausgleich oder ein anderes Fairnesskonzept unter den Parteien im Vordergrund, sondern der Schutz der Minderheitsaktionäre. Die Abfindung soll den monetären Wert ausgleichen, den der Minderheitsaktionär mit dem Eigentum an seinen Aktien verliert.

 

Unternehmens- und Anteilsbewertung

Zur Ableitung der angemessenen Abfindung sind fundamentale Bewertungsmethoden (Zukunfts­erfolgs­wertverfahren) in der deutschen Rechtsprechung anerkannt, betriebswirtschaftlich herrschende Meinung und dementsprechend auch praxisüblich. Gleiches gilt für die Grundzüge, nach denen die Bewertungs­methoden durchgeführt werden, wie sie in der jeweils aktuellen Fassung des Bewertungsstandards IDW S1 (Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen) des Instituts der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V. dargelegt sind.

 

Neben dem international stark verbreiteten Discounted Cash Flow-Verfahren wird für die diskutierten Bewertungsanlässe in Deutschland nahezu ausschließlich nach dem Ertrags­wert­verfahren bewertet. Danach wird der Unternehmenswert als Barwert der künftigen Einnahmenüberschüsse über die Ausgaben berechnet. Das setzt zum einen die plausible Prognose der zu erwartenden Überschüsse voraus, die sich üblicherweise aus einer entsprechenden Unternehmensplanung sowie der – i.d.R. nochmals wertrele­vanteren – Abschätzung nachhaltiger Überschüsse für die Zeit nach dem Planungshorizont ergeben; zum anderen ist ein geeigneter, insbesondere risikoadäquater Kapitalisierungszinssatz für die Diskontierung der Überschüsse zu verwenden. Der zutreffende Risikozuschlag erfordert i.d.R. eine tiefe Analyse von in Bezug auf die Risikoexposition vergleichbaren Unternehmen sowie historischen und erwartbaren Unternehmensrenditen.

 

I.S.d. IDW S1 ermittelt ein Bewerter in der Rolle eines neutralen Gutachters den sog. objektivierten Unternehmenswert und leitet daraus anschließend rein quotal den Aktienwert ab. Bei der Objektivierung der Unternehmensbewertung werden bestimmte Typisierungen in Bezug auf das Bewertungsobjekt, den Anteilseigner der Gesellschaft sowie die Vorgehensweise vorgenommen, um eine Nachvollziehbarkeit der Bewertung zu gewährleisten. Unter die Objektivierung fällt u.a. auch die Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung etwaiger Synergieerwartungen aus der Strukturmaßnahme nach bestimmten Kriterien.

 

Multiplikator- und andere Vergleichswertverfahren können die Fundamentalverfahren nicht ersetzen.  Aufgrund ihrer naturgemäßen Vereinfachungen können sie gem. IDW S1 lediglich zur Plausibilitäts­beurteilung des ermittelten Unternehmenswerts dienen. Zum Stellenwert dieser Verfahren vertreten andere Organisationen – z.B. die Deutsche Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management – abweichende Ansichten.

 

Börsenkurse

Eine alternative Objektivierung kann grundsätzlich auch durch einen Bezug zu Marktpreisen hergestellt werden. Für börsennotierte Aktien liegen mit den Aktienkursen börsentäglich Marktpreise vor. Der Börsenkurs markiert in der Rechtsprechung seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem April 1999 (sog. DAT/Altana-Entscheidung) die Untergrenze einer Abfindung, wenn er den Verkehrswert der Aktie widerspiegelt. Der Börsenkurs ist insoweit nicht heranzuziehen, wenn er nach bestimmten Kriterien betrachtet verzerrt ist oder sein könnte. Das ist z.B. bei einer Marktenge der Fall, wenn die Aktie zu wenig gehandelt wird, zu wenig free float vorhanden ist oder ein zu großer bid-ask spread besteht, oder bei Kurs­mani­pulationen. Der Börsenkurs wird jedoch nicht als Stichtagskurs herangezogen. Nach der BGH-Rechtsprechung aus dem Juli 2010 (sog. Stollwerck-Entscheidung) ist grundsätzlich der umsatzgewichtete Durchschnittskurs über 3 Monate vor der Bekanntmachung der Strukturmaßnahme heranzuziehen, um Schwankungen zu glätten und verzerrende Einflüsse aus der Bekanntmachung der Strukturmaßnahme unberücksichtigt zu lassen.

 

Zusammenfassend ist jedoch herauszustellen, dass Börsenkurse die Fundamentalbewertung nicht ersetzen, sondern lediglich den Mindestbetrag einer Abfindung anzeigen. Es gibt zahlreiche Gründe, warum der Fundamentalwert eines Unternehmens den Börsenwert übersteigen kann, darunter z.B. temporäre Kapitalmarktsituationen und unzureichende Informationslagen im Kapitalmarkt.

 

Für nicht börsennotierte Aktien sind Marktpreise mangels eines vollständig funktionsfähigen Marktes, der den Namen aufgrund seiner Eigenschaften betriebswirtschaftlich verdient, i.d.R. nicht verfügbar, sodass zur Ermittlung der Abfindung lediglich der Weg einer fundamentalen Unternehmensbewertung offensteht.

 

Der lange Weg zur angemessenen Abfindung

Zur Angemessenheit und damit zur Höhe der Abfindung im konkreten Fall gibt es – nicht nur wegen des natürlichen Interessengegensatzes – nahezu immer Dissens, i.d.R. offenen Streit zwischen den Mehrheits- und den Minder­heits­aktionären. Unternehmensbewertungen nach den Fundamentalmethoden sind grundsätzlich komplex, sowohl in Bezug auf die stets unter Unsicherheit erfolgenden Überschussprognosen als auch die Festlegung des Kapitalisierungszinssatzes. Eine besondere Herausforderung an den Bewerter liegt oft in der zutreffenden Einschätzung der Märkte des zu bewertenden Unternehmens sowie dessen Position und Möglichkeiten in den Märkten. Zur Vermeidung einer unangemessenen, zu niedrigen Abfindung schützt das Gesetz die Minderheitsaktionäre mittels mehrerer Überprüfungen.

 

Die Unternehmens- und Anteilsbewertung und die Ableitung eines Mindestbetrags für das Abfindungs­angebot werden regelmäßig von Wirtschafts­prüfungs­gesellschaften durchgeführt, wenngleich es sich nicht um Vorbehaltsaufgaben von Wirtschaftsprüfern handelt. Meist erstellen die Bewerter ihre Gutachten in der ausdrücklichen Rolle eines neutralen Gutachters i.S.d. IDW S1; formal sind sie jedoch lediglich Parteigut­achter. Im Falle eines BGAV oder eines Squeeze-outs beauftragt der Mehrheitsaktionär die Bewertung. Zum Schutz der Minderheitsaktionäre sieht das Gesetz eine zwingende Prüfung durch unabhängige, vom Gericht ausgewählte und bestellte, jedoch vom Hauptaktionär vergütete Wirtschaftsprüfer oder Wirtschafts­prüfungs­gesellschaften vor, die sich im Kern auf die Feststellung richtet, ob die Abfindung angemessen ist. Je nach Strukturmaßnahme handelt es sich um eine Vertragsprüfung (BGAV, §§ 293b-e AktG), eine Angemessen­heits­prüfung (Squeeze-out § 327c AktG) oder eine Verschmelzungs­prüfung (§§ 9-12 UmwG). Bei der Prüfung wird zwar keine eigenständige Unternehmens- und Anteils­be­wertung durchgeführt, jedoch ist die vorliegende Bewertung dezidiert in allen wesentlichen Schritten nachzuvollziehen. Das erfolgt häufig zeitlich parallel zur Erstellung der Bewertung. Auf der beschluss­­fassenden Hauptversammlung werden das Bewertungsgutachten sowie der Bericht des/der Prüfer(s) ausgelegt. Minderheits­aktionäre können während der Haupt­versammlung Fragen an die Gesellschaft zur Bewertung, Abfindungs­bemessung und Prüfung stellen. I.d.R. sind Bewertungs­gutachter und Prüfer Teil des Backoffice-Teams der Gesellschaft und bereiten die Antworten vor. Erfahrungsgemäß fallen die Antworten knapp aus.

 

Spruchverfahren

Fasst die Hauptversammlung den Beschluss zur gesellschaftsrechtlichen Strukturmaßnahme, wird deren Umsetzung seit und durch Einführung des Spruchverfahrensgesetzes im September 2003 nicht mehr verzögert, wenn Minderheitsaktionäre die Angemessenheit des Abfindungsangebots angreifen. Im Spruchverfahren überprüft das Landgericht auf Aktionärsantrag ausschließlich die Abfindungshöhe. Annährend jede aktienrechtliche Strukturmaßnahme mündete bisher in ein Spruchverfahren, bei großen Gesellschaften z.T. mit einer deutlich 3-stelligen Anzahl an Antragstellern, darunter häufig auch Streitaktionäre oder aktivistische Aktionäre.

 

Die Verfahrensführung durch die Gerichte, respektive Richter, und die von den Parteien wahrnehmbare Dichte ihrer Überprüfungsschritte fällt sehr unterschiedlich aus. Die Verfahren können sich über viele Jahre, durchaus auch mehr als 10 Jahre hinziehen. Soweit das Gericht es zulässt oder sogar fördert, kann sich im Laufe eines Verfahrens die anfangs extrem ausgeprägte Informationsasymmetrie zu Bewertungssach­verhalten zulasten der Antragsteller schriftsatzweise oder aufgrund mündlicher Verhandlungen abbauen und so eine erheblich bessere Basis für die Überprüfung erreicht werden. Der Streit um Bewertungsan­nahmen und -methodik kann eine sehr hohe Detailtiefe erreichen. Wegen Besonderheiten im Geschäfts­modell, den Märkten oder Technologien ziehen Antragsteller mit größeren Positionen teilweise ent­sprechende Branchenexperten zur Beurteilung hinzu. Die Überprüfung auf Planungsmängel findet nach der Rechtsprechung jedoch z.B. ihre Grenze dort, wo zwar sachverständig durchaus eine weitaus profitablere Strategie umsetzbar erscheint, das Unternehmen jedoch tatsächlich etwas anderes geplant hat.

 

Entstehen beim Gericht Zweifel an einer ausreichenden Prüfung der Bewertung durch den/die sachver­ständigen Prüfer oder der Bewertung selbst, kann es einen weiteren Sachverständigen gutachtlich mit einer umfänglichen Unternehmensbewertung oder einer Stellungnahme zu punktuellen Bewertungssachverhalten beauftragen.

 

Gegen den Beschluss des Landgerichts kann Beschwerde erhoben werden, die den Streit zur nächsten Instanz, dem Oberlandesgericht, führt.

 

Entscheidet das Gericht auf eine höhere als die angebotene Abfindung, wirkt das für alle von der Struktur­maßnahme betroffenen Minderheitsaktionäre, auch, wenn sie sich im Spruchverfahren nicht engagiert haben. Schließlich ist zu beachten, dass Zahlungen an Minderheitsaktionäre infolge einer gerichtlichen Erhöhung der Abfindung ab dem Tag des Beschlusses der Hauptversammlung gemäß § 327b Abs. 2 AktG zu 5 Prozent­punkten über dem Basiszins verzinst werden müssen.

 

Fazit

Aktien- und umwandlungsrechtliche Strukturmaßnahmen – BGAV, Squeeze-out, Verschmelzung – stellen aufgrund der gesetzlich vorgegebenen Ermittlung einer angemessenen Abfindung für die Minderheits­aktionäre komplexe Bewertungsanlässe dar. Die Unternehmens­bewertungen nach dem in der Recht­sprechung anerkannten Bewertungsstandard IDW S 1 werden von Wirtschaftsprüfungsgesellschaften durchgeführt und geprüft und annährend jeder Fall wird auch bei einem Spruchverfahren gerichtlich überprüft. Die Angemessenheit der Abfindung wird häufig erst viele Jahre nach dem Tag des Beschlusses über die Strukturmaßnahme festgestellt und kann zu erheblichen Nachzahlungen an die Minderheits­aktionäre führen. Um als Mehrheits- oder Minderheitsaktionär bestmöglich auf das Spruchverfahren vorbereitet zu sein, sollte man sich zur Unternehmensbewertung professionell durch erfahrene Experten beraten lassen.

 



[1] Der übernahmerechtliche Squeeze-out wird im vorliegenden Beitrag nicht weiter behandelt.

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