Datenschutz und Schadenersatz – Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof veröffentlicht Schlussanträge

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veröffentlicht am 19. Oktober 2022 | Lesedauer ca. 4 Minuten


Die Bestimmungen der DS-GVO werden von den nationalen Gerichten in Europa viel diskutiert und oftmals wegen der richterlichen Unabhängigkeit unterschiedlich aus­gelegt bzw. angewendet. Rechtsklarheit kann bei der Auslegung der Vorschriften le­diglich der gesetzliche Richter, nämlich der Europäische Gerichtshof, bei Zweifels­fragen geben. Dadurch soll eine einheitliche Anwendung europäischen Rechts ge­währleistet werden. 



Die Generalanwälte am Europäischen Gerichtshof unterstützen durch beratende Gutachten (Schlussanträge) das oberste Gericht in Europa.
 
In den am 6. Oktober 2022 veröffentlichen Schlussanträgen zu dem Verfahren C-300/21 konkretisierte der Generalanwalts am Europäischen Gerichtshofs (EuGH) nunmehr die Voraussetzungen des Art. 82 DS-GVO. Er legt die DS-GVO dahingehend aus, dass es in Anwendung des Art. 82 DS-GVO eines Schadens bedarf; der bloße Verstoß gegen die Bestimmungen der DS-GVO begründe hingegen noch keinen Schadensersatzanspruch. Vielmehr müsse der Kläger einen (erheblichen) materiellen und/oder immateriellen Schaden darlegen und beweisen. „Ärger“ über eine Verletzung der DS-GVO sei für die Annahme eines immateriellen Schadens dabei nicht ausreichend. 
 

Ausgangsrechtstreit

Dem Vorabentscheidungsersuchen liegt ein Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof Österreichs zu Grunde, in dem ein Kläger von der Österreichischen Post AG einen Betrag in Höhe von 1.000 Euro zum Ausgleich seines immateriellen Schadens begehrt. Begründet wird der Schadensersatzanspruch damit, dass die Post AG seit 2017 ohne Einwilligung der Betroffenen Informationen zu den Parteiaffinitäten der österreichischen Bevöl­kerung erhob, um Zielgruppen für Wahlwerbung verschiedener politischer Parteien zu ermitteln. Der Kläger führt an, dass die ihm zugeschriebene politische Affinität eine Beleidigung, beschämend und kreditschädigend sei. Das Verhalten der Österreichischen Post habe bei ihm großes Ärgernis, einen Vertrauensverlust sowie das Gefühl der Bloßstellung ausgelöst.
 

Vorlagefragen

Der Oberste Gerichtshof (Österreich) hat dem EuGH am 12. Mai 2021 die folgenden drei Vorlagefragen zur Auslegung des Art. 82 Abs. 1 DS-GVO in Hinblick auf die Voraussetzungen immateriellen Schadenersatzes und die Vereinbarkeit einer „Erheblichkeitsschwelle“ mit den EU-Grundsätzen der Effektivität und Äquivalenz sowie dem Vollharmonisierungsprinzip vorgelegt: 
  1. Erfordert der Zuspruch von Schadensersatz nach Art. 82 der DS-GVO neben einer Verletzung von Be­stimmungen der DS-GVO auch, dass der Kläger einen Schaden erlitten hat, oder reicht bereits die Verletzung von Bestimmungen der DS-GVO als solche für die Zuerkennung von Schadensersatz aus? 
  2. Bestehen für die Bemessung des Schadensersatzes neben den Grundsätzen der Effektivität und Äquivalenz weitere Vorgaben des Unionsrechts? 
  3. Ist die Auffassung mit dem Unionsrecht vereinbar, dass Voraussetzung für den Zuspruch immateriellen Schadens ist, dass eine Konsequenz oder Folge der Rechtsverletzung von zumindest einigem Gewicht vorliegt, die über den durch die Rechtsverletzung hervorgerufenen Ärger hinausgeht?
 

Schlussanträge des Generalanwalts

In seinen Schlussanträgen bezog der Generalanwalt am 6. Oktober 2022 wie folgt auf die Vorlagefragen Stellung:
 

Kein Schadensersatz ohne Schaden

Der Generalanwalt fordert für die Entstehung eines Schadensersatzanspruchs, dass dem Betroffenen ein Schaden entstanden sein muss. Dies begründet er insbesondere mit dem Wortlaut des Art. 82 Abs. 1 DS-GVO. Ohne einen Schaden würde der Schadensersatz vielmehr einer Sanktion gleichkommen und der Funktion des Ausgleiches nicht mehr gerecht werden. Die zivilrechtliche Haftung des Verantwortlichen bezwecke jedoch, der betroffenen Person durch den vollständigen und wirksamen Ersatz des ihr zugefügten Schadens Genugtuung zu verschaffen (Erwägungsgrund 146). Gleichzeitig obliege es den Aufsichtsbehörden Sanktionen gegen den Verantwortlichen zu verhängen. Diese Systematik der Trennung von (privatem) Ausgleich und (öffentlicher) Sanktion fand sich bereits in der Vorgängervorschrift der Richtlinie 95/46 wieder und wurde nach Ansicht des Generalanwalts auch in die DS-GVO übernommen. 
 

Keine EU-Vorgaben für die Schadensbemessung

Nach Ansicht des Generalanwalts spielen die Grundsätzen der Äquivalenz und Effektivität in Hinblick auf die Vollharmonisierung durch Art. 82 DS-GVO für die Bemessung des immateriellen Schadens „keine erhebliche Rolle“. Die Berechnung und Festlegung der Höhe des Schadensersatzes verbleibe dabei in der Verantwortung der nationalen Gerichte - Art. 82 DS-GVO lassen sich hingegen keine Vorgaben zur Schadensberechnung entnehmen.
 

Erheblichkeitsschwelle für immaterielle Schäden 

Zwar führe Art. 82 DS-GVO nach dem Wortlaut keine Erheblichkeitsschwelle auf, der Generalanwalt sieht aber dennoch das Erfordernis einer solchen Erheblichkeitsschwelle und stützt seine Annahme auf die Erwägungsgründe 75 und 85. Er argumentiert, dass Ersatzleistungen durch den Gesetzgeber gerade auf „erhebliche“ Nachteile beschränkt seien. Vorübergehende und schwache negative Gefühlslagen wie Ärger wären dementsprechend nicht ersatzfähig. Der Schaden liege aber auch nicht in dem Kontrollverlust der personenbezogenen Daten. Es obliege den Betroffenen neben einem materiellen Schaden auch einen immateriellen Schaden nachzuweisen. Die Feststellung, wann die Schwelle zu einem ersatzfähigen Schaden überschritten sei, wäre aber Aufgabe der nationalen Gerichte. Dabei erkennt er jedoch selbst an, dass diese Grenze unscharf ist. 
  

Ausblick

Obwohl der EuGH oftmals den Schlussanträgen des Generalanwalts folgt, dürfte die Prognose gewagt werden, dass dies vorliegend eher unwahrscheinlich sein dürfte. Zwar hat der Generalanwalt in seiner Begründung systematisch-methodologisch die Vorschriften ausgelegt, dennoch dürfte bei dieser Auslegung nicht der Zweck der DS-GVO im Mittelpunkt gestanden haben, sondern vielmehr der Versuch einer Korrektur bzw. Risiko­mini­mierung zum Schutz der Wirtschaft. Der Europäische Gerichtshof hat zuletzt dagegen eher unter Beweis gestellt, dass der Datenschutz und insbesondere die Verarbeitungen personenbezogener Daten unter besonderen Schutz gestellt werden. 
 
Sollte der EuGH den Schlussanträgen dennoch folgen, müssten die nationalen Gerichte Kategorien heraus­arbeiten, wann im Einzelfall ein subjektives Gefühl als immaterieller Schaden gewertet werden kann. Dies hätte nicht nur die Uneinheitlichkeit der europäischen Rechtsprechung zur Folge, sondern dürfte ebenfalls dem generalpräventiven Ansatz der DS-GVO widersprechen:
  • Zunächst ist zu kritisieren, dass der Generalanwalt den Effektivitäts- und Äquivalenzgrundsatz des Unions­rechts nicht ausreichend würdigt. Die Festlegung einer Erheblichkeitsschwelle auf Unionsebene würde dem Äquivalenzgedanken widersprechen. Gleichzeitig wäre auch die Durchsetzung der Betroffenenrechte durch die Annahme einer Erheblichkeitsschwelle eingeschränkt.  
     
    Diesbezüglich dürften sich die Ausführungen des Generalanwalts im Übrigen konträr zu den gerichtlichen Ausführungen in der Angelegenheit Schrems/Facebook vom 23. Juni 2021 (6 Ob 56/21k) verhalten: Hier hatte der österreichische Oberste Gerichtshof (OGH) - ohne Vorlage an den EuGH - geurteilt (Teilurteil), dass dem Betroffenen immaterieller Schadenersatz schon dann zusteht, wenn ein objektiv nachvollziehbarer immaterieller Schaden vorliegt; unter Verweis auf den schon vorbezeichneten Erwägungsgrund 146 wurde das Vorliegen einer schwerwiegende Gefühlsbeeinträchtigung nicht für erforderlich gehalten. Vielmehr ließ der 6. Senat ein "geringes Unwohlsein" und „massives genervt“-sein infolge nicht rechtmäßig erteilter Auskunft genügen. Eine psychische Beeinträchtigung des Klägers o.ä. wurde von dem OGH gerade nicht als erforderlich angesehen. Dies ist nicht nur infolge der Auswertung der Erwägungsgründe korrekt, sondern auch unter Beachtung von Wortlaut, Genese und systematisch-methodischer Auslegung der DS-GVO.
  • Zudem ist das Ziel der DS-GVO die Vollharmonisierung. Wenn die Entwicklung der Kriterien zur Abgrenzung eines nicht ersatzfähigen und ersatzfähigen Schadens den nationalen Gerichten auferlegt wird, hätte dies zur Folge, dass die DS-GVO in jedem Mitgliedsstaat anders ausgelegt werden würde; Uneinheitlichkeit und Unübersichtlichkeit wären vorbestimmt.
  • Letztendlich dürfte bei den Schlussanträgen des Generalanwalts auch der generalpräventive Ansatz der DS-GVO verkannt worden sein: Die DS-GVO soll gerade den Betroffenen vor einer rechtswidrigen Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten schützen. Wenn der Betroffene nun in die Lage gebracht würde, die Erheblichkeit eines immateriellen Schadens darzulegen und beweisen zu müssen, würden sowohl seine Rechte als Betroffener als auch der präventive Zweck der DS-GVO ausgehöhlt - gleichzeitig wäre die selbst von dem Generalanwalt anerkannte Abschreckungsfunktion gegenüber Unternehmen, die personenbezogene Daten bislang noch rechtswidrig verarbeiten, durch die Annahme einer Erheblichkeitsschwelle nicht ausreichend gewährleistet. 
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