EVB-IT und komplexe Projekte – Fertigbaukasten oder nur Werkzeugsammlung?

PrintMailRate-it

veröffentlicht am 1. Juni 2023 | Lesedauer ca. 4 Minuten

 

Die Ergänzenden Vertragsbedingungen für die Beschaffung von Informationstechnik (EVB-IT) setzen Standards für die vertragliche Regelung von IT-Projekten. Bei komplexen IT-Beschaffungen, die eine Vielzahl verschiedenartiger IT-Leistungen aus einer Hand zum Gegenstand haben, geraten diese jedoch an ihre Grenzen. Was öffentliche Auftraggeber zur Verbindung, Kombination und Ergänzung verschiedener EVB-IT Vertragsbedingungen wissen müssen und wie sich der EVB-IT Baukasten rechtssicher nutzen lässt, wird nachfolgend aufgegriffen.

 

 

 

Was die EVB-IT leisten

Die Beschaffung von IT-Leistungen stellt öffentliche Auftraggeber und IT-Dienstleister aufgrund des stetigen Wandels vor immer neue Herausforderungen. Im Spannungsfeld zwischen IT-Dienstleistern mit standardisier­tem Leistungsangebot und zum Teil erheblicher Marktmacht auf der einen und den haushaltsrechtlichen Vorgaben der Verwaltung auf der anderen Seite, werden klare Richtlinien für die Zusammenarbeit benötigt.
 
Diese Lücke schließen die EVB-IT, die u.a. zwischen dem BMI und Bitkom ausgehandelt werden und so die Interessen beider Parteien berücksichtigen. Sie werden regelmäßig aktualisiert und um neue Vertragstypen ergänzt, zuletzt im vergangenen Jahr um die EVB-IT Cloud (s. Neues aus der Welt der EVB-IT: Länderübersicht und EVB-IT Cloud). Sie bieten eine gemeinsame Basis, um – ausgehend von diesem Standard – Regelungen für die individuelle IT-Beschaffung treffen zu können. Für den Bund und etliche Bundesländer besteht vor diesem Hintergrund eine Verwendungspflicht für die EVB-IT (s. EVB-IT: Wo sind sie anzuwenden?). Die EVB-IT stellen somit eine Reihe von Bausteinen rechtlicher Regelungen für IT-Leistungen zur Verfügung und bieten in Gestalt von Musterverträgen und Verwendungshinweisen Anleitung zu deren Verwendung.
 

Wo die EVB-IT an ihre Grenzen stoßen

Nach Einführung der EVB-IT Cloud finden sich viele der aktuell wichtigen Leistungsarten im IT-Bereich nun in den EVB-IT wieder. Vollständig ist der Baukasten der EVB-IT Vertragsbedingungen jedoch nach wie vor nicht. Ein Beispiel, das die Systematik der EVB-IT an ihre Grenzen bringt, sind agile IT-Beschaffungsprojekte (s. Ungeeignet für agile Beschaffungsprojekte). Um hier eine sachgerechte Risikoverteilung zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer zu erzielen, ist auch im Bereich Projektmanagement häufig ein Zusammenspiel dienst­vertraglicher und werkvertraglicher Elemente erforderlich. Letztere lassen sich durch die bestehende EVB-IT Vertragsbibliothek bislang nicht abbilden.
 
Doch auch, wenn alle einzelnen geschuldeten IT-Leistungen als Bausteine in der EVB-IT Vertragsbibliothek vorhanden sind, lässt sich nicht jeder Fall einer öffentlichen IT-Beschaffung durch einen standardisierten EVB-IT Vertrag realisieren. Im IT-Umfeld werden zunehmend umfassende IT-Lösungen aus einer Hand angeboten, die verschiedene Leistungsarten miteinander kombinieren. So steht hinter der Beschaffung einer IT-Lösung in aller Regel die Beschaffung einer Vielzahl verschiedenartiger Leistungen aus dem Software- und Hardware-Umfeld. Das lässt sich nur schwer in einem einheitlichen EVB-IT Vertrag abbilden. Auch wenn alle einzelnen Bausteine vorhanden sind, fehlt in der EVB-IT Vertragsbibliothek ein vertragliches Werkzeug zur projektspezifischen Verbindung außerhalb vorgesehener Projekt-Konstellationen.

Dieser Problemstellung wurde in der Vergangenheit bereits teilweise durch die Veröffentlichung der EVB-IT Systemverträge begegnet. Während die EVB-IT Basisverträge die Erbringung einer konkreten IT-Leistung zum Gegenstand haben, sehen die Systemverträge den Auftragnehmer als Generalunternehmer für mehrere IT-Leistungen, die auch in ihrer Interaktion vertragsgemäß sein müssen und vereinen mehrere Leistungskategorien (vgl. CIO Bund: EVB-IT Basis- und Systemverträge).

Die im letzten Jahr veröffentlichten EVB-IT Cloud sind jedoch noch nicht in dieses System eingebunden. Das stellt öffentliche Auftraggeber bei der Gestaltung der Beschaffungsverträge vor Herausforderungen. Möchte ein Auftraggeber z.B. ein on-premise IT-System, bestehend aus Hard- und Software beschaffen, wäre ein EVB-IT Systemvertrag die naheliegende Wahl. Soll eine Software-as-a-Service, also als Cloud-Lösung, beschafft werden, wäre die Verwendung der EVB-IT Cloud angezeigt. Problematisch wird es jedoch, wenn der Auftrag­geber zusätzlich zu einer Cloud-Lösung auch Hardware, oder eine hybride Software-Lösung, also eine Kombi­na­tion aus on-premise und Cloud-Lösung, in einer IT-Lösung beschaffen möchte. Diese Konstellation ist insbe­sondere in solchen Fällen relevant, in denen aus Gründen der IT-Sicherheit oder des Datenschutzes nicht alle Funktionalitäten einer Software über eine Cloud-Lösung realisiert werden sollen. Dabei handelt es sich nur um eines der denkbaren Beispiele, welches sich derzeit nicht durch die EVB-IT Vertragsbibliothek abbilden lässt.
 

Wie sich mehrere EVB-IT rechtssicher kombinieren lassen

Doch auch für IT-Beschaffungen, die sich starr einem EVB-IT Vertragstyp zuordnen lassen, müssen praxistaug­liche Vertragslösungen gefunden werden. Diese Herausforderung stellt sich insbesondere in Fällen, in denen eine Verwendungspflicht für die EVB-IT besteht. Dem lässt sich nur durch die Kombination verschiedener EVB-IT Vertragstypen in einer IT-Beschaffung sowie ergänzende und passende Regelungen begegnen.
 
Eine Möglichkeit ist die Verwendung mehrerer EVB-IT Vertragsformulare, die auf die jeweils zugrunde liegenden EVB-IT AGB Bezug nehmen. In der Praxis verbleibt es bei komplexen IT-Projekten jedoch in aller Regeln nicht beim Befüllen des Vertragsmusters, sondern es müssen ergänzende individuelle Regelungen in den Vertrag aufgenommen werden. So entsteht ein Flickenteppich aus verschiedenen Vertragsformularen, Ergänzungen und Anhängen, der sich nur schwer überblicken lässt. Es drohen Redundanzen und Widersprüche im Vertragswerk, die nicht nur eine rechtssichere Einbeziehung von AGB-Klauseln gefährden, sondern insbesondere nach der Vergabe bei der Durchführung des Projekts Konfliktpotential bieten.
 
Vorzugswürdig ist daher die Erstellung eines Individualvertrags, der – neben den durch die jeweiligen EVB-IT Vertragstypen vorgegebenen Inhalten – auch Regelungen zur Verklammerung und Rangfolge der einzubeziehen­den EVB-IT AGB trifft. So entsteht ein umfassendes und transparentes Vertragswerk, das die individuellen Besonderheiten der jeweiligen IT-Beschaffung berücksichtigt und dem dennoch die standardisierten Vertrags­bedingungen der EVB-IT zugrunde liegen.
 
Schließlich stellt das Gebot der losweisen Vergabe viele Auftraggeber immer wieder vor große Herausforde­rungen. Bei hochintegrierten Systemen, z.B. im Gesundheitsumfeld, entsteht nicht selten eine erhebliche Frag­mentierung von Projekten. Dann ist bei der Verklammerung einzelner Lose unter dem Dach eines Gesamt­projekts Kreativität in der Vertragsgestaltung gefragt, sofern unterschiedliche Bieter nicht als Konsortium auftreten. In Kombination mit der oben genannten Problematik ist offensichtlich, dass schematische Lösungen auf Vertragsseite nicht sachgerecht sind und eine individuelle Lösung gefunden werden muss.
 

Ausblick

Die EVB-IT unterliegen einem ständigen Prüfungs- und Aktualisierungsprozess. Nicht zuletzt müssen sich diese an der Verwendungspraxis der öffentlichen Auftraggeber messen lassen. Konkret für die EVB-IT Cloud wurde eine Evaluation achtzehn Monate nach Veröffentlichung angekündigt, die demnach im September 2023 an­steht. Ein wünschenswerter erster Schritt wäre die Eingliederung der EVB-IT Cloud-AGB in die bestehenden EVB-IT Systemverträge.
 
Doch aller Voraussicht nach wird es in komplexen IT-Beschaffungen auch weiterhin einer individuellen Prüfung bedürfen, ob und wie sich EVB-IT AGB vor dem Hintergrund der Verwendungspflicht im Einzelfall rechtssicher kombinieren lassen. In der Beratungspraxis zeigt sich, dass die schematische Verwendung einzelner Vertrags­typen der EVB-IT Vertragsbibliothek nur in seltenen oder nur in relativ einfach gelagerten Fällen sachgerecht ist. So gilt es für jede IT-Beschaffung die richtigen Bausteine auszuwählen und zu einer (rechts)sicheren und standfesten Konstruktion aufzubauen.

Kontakt

Contact Person Picture

Johannes Marco Holz

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Informationstechnologierecht, Datenschutzbeauftragter (GDDcert.EU)

Associate Partner

+49 911 9193 1511

Anfrage senden

Profil

Contact Person Picture

Anja Martina Müller

Rechtsanwältin

Associate

+49 911 9193 1694

Anfrage senden

Profil

Contact Person Picture

Freya Weber, geb. Schwering

Rechtsanwältin, Fachanwältin für Vergaberecht, Europajuristin (Univ. Würzburg)

Associate Partner

+49 (911) 91 93 – 35 11

Anfrage senden

Profil

Wir beraten Sie gern!

Mehr lesen?

Befehle des Menübands überspringen
Zum Hauptinhalt wechseln
Deutschland Weltweit Search Menu